Städte und Ensembles Interviews und Statements
Städtebauliche Überlegungen über Vergangenheit und Zukunft der Hauptstadt des Saarlands
MO: Der Name "Saarbrücken" ist weithin bekannt. Aber inhaltlich verbindet man mit der Stadt - außer dass sie Hauptstadt des Saarlandes ist - wenig. So weiß man vielleicht nicht, dass die Großstadt in ihrer heutigen Form erst 100 Jahre alt ist.
Prof. Dr. Josef Baulig: Saarbrücken als Großstadt entstand erst 1909 aus einem Zusammenschluss verschiedener, bis dato eigenständiger Städte und Dörfer. Das heutige Stadtgebilde ist das Resultat einer Gebietsreform im Jahre 1974, als sich die damalige Stadt bevölkerungsmäßig um 70 Prozent und flächenmäßig um 217 Prozent vergrößerte. Bereits vor dieser Gebietsreform stellte sich Saarbrücken als äußerst heterogener Siedlungsraum dar, ohne einer gewachsenen Siedlungsstruktur. Bis heute lassen sich die jeweils spezifischen Stadtteilcharakteristika sowohl im Siedlungsbild als auch in der Lebensart ihrer Bewohner ablesen.
MO: Wie hatten sich die einzelnen Stadtteile bis dahin entwickelt?
Prof. Dr. Josef Baulig: Den Siedlungskern des späteren Saarbrückens können wir am Fuße des Halbergs in Form eines römischen Kastells mit Vicus, also einer Ansammlung von Gehöften, festmachen. Das Kastell diente dem Schutz eines wichtigen Verkehrsknotenpunkts, der Kreuzung zweier römischer Fernstraßen von Metz bis Worms und von Straßburg bis Köln in der Nähe eines Flußübergangs. Dieser Standort wurde nach der Völkerwanderung aufgegeben. In der fränkischen Zeit entstanden dann die Siedlungskerne, die sich später zu Städten bzw. Dörfern entwickelten: auf und vor dem Schlossfelsen auf der linken Saarseite die gräfliche, später fürstliche Residenzstadt Saarbrücken (heute Alt-Saarbrücken), östlich davon St. Arnual, vor den Toren eines Chorherrenstifts entstanden. Auf der rechten Saarseite bildete sich St. Johann als Bürger- und Kaufmannsstadt heraus; nordwestlich die Dörfer Burbach und Malstatt, die im 19. Jahrhundert zu dem wichtigsten Industriestandort wurden.
MO: Warum haben sich Bergbau und Stahlindustrie gerade nördlich der Saar angesiedelt?
Prof. Dr. Josef Baulig: Den wirtschaftlichen Aufschwung als Industriestandort erlebte Saarbrücken im 19. Jahrhundert als Teilgebiet der preußischen Rheinprovinz. Den Beginn dieser Entwicklung können wir bereits unter Fürst Wilhelm Heinrich im 18. Jahrhundert verzeichnen. Um Kohleförderung und Eisenproduktion zu steigern, wurde St. Johann 1852 an das Schienennetz Oberrhein-Paris angeschlossen; 1858 an die Strecke nach Trier. Durch den Ausbau der Montanindustrie bedingt, wuchsen die beiden Dörfer Burbach und Malstatt zwischen 1830 und 1900 von 1380 auf 31.200 Einwohner an. Für die Wahl als Industriestandort sprach in erster Linie der Umstand, dass die Ansiedelung neuer Betriebe wegen der Brandgefahr und Geruchsbelästigung außerhalb des Stadtgebietes vorzunehmen war und die ausgedehnten Flächen entlang der Saar, auf denen ab 1856 die Burbacher Hütte errichtet wurde, landwirtschaftlich nicht brauchbar waren. Hinzu kam, dass St. Johann mittlerweile die Schwesterstadt Saarbrücken bevölkerungsmäßig überflügelt hatte und mit dem großen Bahnhof über einen adäquaten Anschluss an die Eisenbahnlinie Saarbrücken - Trier - Luxemburg verfügte.
MO: Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs - etwa 80 Prozent der Bausbustanz Saarbrückens waren betroffen - entschied man sich für den originalgetreuen Wiederaufbau der Denkmale von besonderer Bedeutung, unter ihnen die Barockarchitektur am Schlossplatz und am Ludwigsplatz. Wo sind Neubauten innerhalb der noch erhaltenen historischen Substanz entstanden und in welcher Form nehmen sie Rücksicht auf die Sichtachsen der barocken Stadtanlage?
Prof. Dr. Josef Baulig: Die größten Kriegszerstörungen waren im Bereich des Stadtteils Alt-Saarbrücken zu beklagen. Als britische Bomber im Oktober 1944 von Südosten einen Angriff auf die Burbacher Hütte flogen, wurden im Vorfeld große Bereiche Alt-Saarbrückens zerstört, so auch mit Ludwigskirche und Ludwigsplatz eines der eindrucksvollsten Beispiele spätbarocken Städte- und Sakralbaus in Südwestdeutschland.
Bereits unmittelbar nach Kriegsende begann man mit deren Wiederaufbau. Interessant war in diesem Zusammenhang die denkmalpflegetheoretische Diskussion: Im Sommer 1946 wurde der Saarbrücker Architekt Rudolf Krüger mit der Wiederaufbauplanung der Kirche beauftragt. Auf Vorschlag der evangelischen Landeskirche Düsseldorf sollte das Äußere "im alten Sinn" wiederhergestellt werden (befundgetreue Neuanfertigung) und der Innenraum in einer einfachen Form, "die der heutigen Zeit und unserem Gotteshaus mehr entspricht als ein barocker Festsaal".
Der renommierte Kirchenbauarchitekt Otto Bartning vertrat 1952 als Gutachter die Auffassung, "dass die Ludwigskirche im Innern nicht in der gleichen Form, wie sie Stengel gebaut hat, wiederhergestellt werden darf, weil eine Kopie oder Doublette bekanntlich eine Fälschung ist. Die Kirche muss im Innern nach den Bedürfnissen unserer Zeit erneuert werden."
Nach einem Wettbewerb 1959 wurde der erste Preisträger, Rudolf Krüger, mit der Realisierung einer zeittypischen Lösung beauftragt. Dazu kam es jedoch nicht, da 1962 auf Intervention des damaligen Landeskonservators der befundgetreuen Neuanfertigung der barocken Fassung der Vorzug gegeben wurde. Beim Wiederaufbau der zerstörten Palais wurden Fassaden und Dach jeweils wie bei der Ludwigkirche befundgetreu wiederaufgebaut, das Innere jedoch zeittypisch "modern" gestaltet.
Bei der Instandsetzung des Schlosses in den 1980er Jahren wurde zuerst ebenfalls die Variante der befundgetreuen Neuanfertigung des barocken Mittelrisaliten präferiert. Nach einer mitunter kontrovers geführten Diskussion fiel dann die Entscheidung zugunsten einer zeitgenössischen Neuanfertigung, die mit dem Entwurf Gottfried Böhms die äußerst komplexe Baugeschichte des Schlosses konsequenterweise fortführt.
Der Umgang mit den barocken Sichtachsen in der Nachkriegszeit lässt sich besonders deutlich anhand zweier Neubauten charakterisieren: Mit Staatskanzlei und Finanzministerium beispielsweise wurden bewusst zwei Baukörper in die Sichtachsen Ludwigskirche-Ludwigsberg und Ludwigskirche-Alte evangelische Kirche positioniert.
MO: An die utopischen Stadtkonzepte Le Corbusiers erinnern die radikal-modernen Ideen, die Georges-Henri Pingusson 1945-1950 als Planer im Wiederaufbauamt für Saarbrücken entwickelte. Was wurde von seinen Entwürfen verwirklicht?
Prof. Dr. Josef Baulig: Pingusson als Mitarbeiter in der Section Urbanisme et Reconstruction du Gouvernement militaire de la Sarre legte dem Wiederaufbau und der Neuplanung von Saarbrücken die Prinzipien der Charta von Athen zugrunde.
Vor allem die seiner Meinung nach unorganische Entwicklung Saarbrückens zur Großstadt bedurfte einer neuen, zeitgemäßen Strukturierung. Dies stieß jedoch auf Widerstand unter den Saarbrücker Planern. So bezeichnete beispielsweise der kommunistische Bürgermeister und Beigeordnete Detjen, der zugleich auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der Saarbrücker Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft war, die Pläne Pingussons, das Industriegelände im Bereich des Saarbrücker Osthafens zu verlegen, als "nicht tragbar". Vor dem Hintergrund einer allgemeinen prodeutschen und antifranzösischen Einstellung wurde das städtebauliche Konzept Pingussons nicht realisiert. Lediglich einzelne Elemente wie das Französische Botschaftsgebäude von 1953/54 (später Sitz des saarländischen Kultusministers) oder der Bau von sogenannten Arkaden im Bereich der Bahnhof- und Kaiserstraße erinnern heute noch an den Ansatz Pingussons.
MO: Die autogerechte Stadt war eine der Kernideen des Wiederaufbaus in den 1950er und 1960er Jahren. Entlang der Saar entstand damals die Stadtautobahn, die die Altstadt vom heutigen Zentrum auf der St. Johanner Seite trennt. Wie bewertet man diese Verkehrslösung heute?
Prof. Dr. Josef Baulig: Beim Bau der Stadtautobahn wurden gegenüber der realisierten Version unmittelbar entlang der Saar auch Alternativen in Form von Umgehungen und Tangenten diskutiert. Die Entscheidung zugunsten der sogenannten Kammlösung fiel vor dem Hintergrund, dass eine Erschließung des innerstädtischen Bereichs über Tangenten zu kostspielig ausgefallen wäre. Ebenso wie die Berliner Promenade als uferbegleitende Struktur bildet die Stadtautobahn trotz ihrer hohen Lärmbelästigung jedoch in gestalterischer Hinsicht ein prägendes Element in der Stadtlandschaft. Vor allem der Faktor Lärmbelästigung führte dann in den 1990er Jahren zu einer Diskussion über Alternativen.
MO: Ist diese Diskussion noch Teil der aktuellen Städtebauprojekte?
Prof. Dr. Josef Baulig: Nach langen Vorüberlegungen erfolgte 2004 der Beschluss des Stadtrates zum Masterplan "Stadtmitte am Fluss". Ein wichtiges Thema dieser Planung ist die Neuordnung des Autobahnverkehrs durch Saarbrücken. Geplant ist in diesem Zusammenhang der Bau eines Tunnels zwischen Bismarck- und Luisenbrücke. Die durch den Tunnelbau freiwerdenden Flächen sollen in Verbindung mit der historischen Parkanlage "Am Staden" und der zur Zeit schon im Umbau begriffenen Berliner Promenade in Form neu gestalteter Uferzonen eine unmittelbare Verbindung zwischen den Innenstadtbereichen an der Saar ermöglichen. Aus denkmalpflegerischer Sicht bietet diese Planung die Chance, die Alte Brücke in ihrer stadtbauhistorischen Bedeutung aufzuwerten. Geplant ist in diesem Zusammenhang ein Rückbau der Brückenköpfe auf St. Johanner und Alt-Saarbrücker Seite im Sinne der ursprünglichen Situation.
MO: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Julia Ricker
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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