Städte und Ensembles Sehen und Erkennen Februar 2011
Die überwiegende Zahl unserer Städte entstand im 12. und 13. Jahrhundert, zumeist allmählich und damit weitgehend planlos von einer Burg oder einem Kloster als Keimzelle ausgehend. Zum ersten Typ gehört zum Beispiel die nordhessische Stadt Fritzlar, die der nördlichste Vorposten der Erzbischöfe von Mainz war. In der Entfernung eines Tagesritts legte deren ärgster Rivale, Landgraf Ludwig III. von Thüringen, nach 1194 die Stadt Melsungen an.
Wie man an ihrem regelmäßigen Grundriss erkennen kann, erfolgte diese Stadtgründung planmäßig. Wichtigstes Gliederungselement ist das Straßenkreuz aus der Fritzlarer und der Brückenstraße mit der Kasseler und der Rotenburger Straße, in deren Schnittpunkt der quadratische Markt mit dem Rathaus in der Mitte liegt. Durch Parallelgassen einerseits zur Kasseler und Rotenburger Straße und andererseits zur Fritzlarer und Brückenstraße entstand ein regelmäßiges, wenn auch nicht geometrisch exaktes System von Baublocks. Von diesen wurde einer für die Anlage des Marktes, der westlich daneben liegende für den Kirchhof ausgespart.
Für die planmäßige Neugründung von Städten bedienten sich die Landesherren siedlungswilliger Kaufleute, die in Urkunden als "locatores" bezeichnet werden und sich zur Schwurgilde der "conjuratores" mit zwölf oder 24 Mitgliedern zusammenschlossen. Zum Abstecken des Stadtgrundrisses und der Aufteilung der Bauflächen in Parzellen wurden wahrscheinlich jene Baumeister herangezogen, die später auch die Kirchen, Rathäuser und Stadtbefestigungen errichteten. Sie waren darin geübt, mit Hilfe von Maßbändern aus regelmäßig geknoteten Schnüren und Pflockzirkeln komplizierte Kirchen- und Klostergrundrisse anzulegen.
Wenn also der Stadtgrundriss von Melsungen - wie auch der fast aller anderen Städte des 12. und 13. Jahrhunderts - kein regelmäßig-gradliniges Raster aufweist, kann dies nicht auf Unbeholfenheit zurückgehen, sondern muss Absicht sein. Es war nämlich das Ziel, in sich geschlossene Straßen- und Platzräume zu schaffen, in denen sich das überwiegend in der Öffentlichkeit stattfindende Leben ungestört wie in einem Saalraum ohne Decken abspielen konnte. Dass es dabei auch galt, Zugluft zu vermeiden, erkannte schon der römische Architekt Vitruv, der im sechsten Kapitel seiner "Zehn Bücher über Architektur" aus der Zeit um 31 v. Chr. Anweisungen zur "Ausrichtung der Straßenzüge mit Rücksicht auf die Winde" gibt. Da im atlantischen Klima von Deutschland im Unterschied zum Mittelmeerraum nicht mit feststehenden Windrichtungen zu rechnen war, mussten sich die mittelalterlichen Städteplaner anderer Mittel zu Vermeidung von Zugluft in den Straßen und Plätzen bedienen.
Dies waren zum Ersten die Krümmung von Straßen, zum Zweiten das Hineinragen von Häusern in die unregelmäßig ausgebildeten Kreuzungen und zum Dritten das gegeneinander versetzte Einmünden von Seitengassen in Straßen. Als Straßen wurden nur die bezeichnet, die zu Stadttoren und damit zu den über Land führenden Wegen führten, alle anderen heißen Gassen. In Melsungen wird das bis heute konsequent unterschieden.
Die Straßenkrümmung als Mittel für die optische Raumbegrenzung wurde in Melsungen bei der Fritzlarer, Kasseler und Mühlenstraße sowie bei der Quergasse angewendet, kommt aber in den meisten mittelalterlichen Städten vor, zum Beispiel bei der Lübschen Straße in Wismar, der Pölle in Quedlinburg, der Baldinger Straße in Nördlingen, der Grapengießerstraße in Lüneburg und der Neißstraße in Görlitz, um nur einige zu nennen.
Ähnlich stark verbreitet sind unregelmäßige Kreuzungen, in die Gebäude ragen und so den Straßenraum abschließen, wie dies in Melsungen zum Beispiel beim Blick vom Markt in die Mühlenstraße der Fall ist. Das Prinzip, Seitengassen nicht über die Einmündungen in eine Straße fortzusetzen, sondern die Verlängerung durch eine andere, in die gleiche Richtung führende Gasse seitlich versetzt anzuordnen, ist in Melsungen bei der Toten-, Rosen- und Steingasse, aber auch in nahezu jedem anderen Stadtgrundriss jener Zeit zu finden.
Durch diese drei Gestaltungsprinzipien wird erreicht, dass der Blick nie ins Freie fällt, sondern stets auf Gebäude, die die Räume begrenzen. Für das Wohlbefinden der Menschen spielt aber außerdem ein harmonisches Verhältnis von der Platzgröße zur Höhe der Randbebauung eine wichtige Rolle.
Nicht ohne Grund sind Altstadtfeste, Jahr- und Wochenmärkte, Wahlkampfveranstaltungen und Freilichtaufführungen auf mittelalterlichen Plätzen so beliebt. Keinem würde einfallen, dies auf den riesigen, von freistehenden Hochhäusern umgebenen Verkehrsplätzen des 20. Jahrhunderts - etwa auf dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin - stattfinden zu lassen, zum einen, weil man sich dort auf Grund der übermenschlichen Dimensionen winzig und verloren vorkäme, zum andern, weil man ständig jener Zugluft ausgesetzt wäre, die schon Vitruv als schädlich für die Gesundheit erkannte.
Prof. Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow
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