Dezember 2010
Vor 20 Jahren, am 3. Oktober 1990, hat sich Deutschland nach Jahrzehnten der Trennung wieder vereinigt. Mit vielen Festen und Veranstaltungen, aber auch mit oft nachdenklichen Betrachtungen und Bestandsaufnahmen ist der Tag in diesem Jahr begangen worden. Es gab und gibt viele Gründe zum Feiern: Führen wir uns nur vor Augen, in welch desolatem Zustand die Städte und Dörfer in der ehemaligen DDR damals waren.
Die Vernachlässigung geschah dabei nicht nur aus Mangel an Material, oft fehlte auch der politische Wille zur Pflege und Erhaltung. Das betraf insbesondere die Gotteshäuser, vor allem die kleinen Kirchen auf dem Lande. Doch mit der Wende begannen viele Menschen in den Dörfern ihr Schicksal verstärkt in die eigenen Hände zu nehmen, und sie fanden dabei schnell große Unterstützung - auch von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und deren Förderern. Grund genug für uns, im Jubiläumsjahr der Stiftung mit Stolz auf die gemeinsame Arbeit und die Erfolge zurückzuschauen. Erreicht wurde bereits eine ganze Menge - doch noch immer ist unsere Hilfe an vielen Orten gefragt.
Hartnäckig hält sich im thüringischen Jena eine Legende: Die französischen Truppen hätten 1806 das in einem nahen Seitental liegende Dorf Laasan verschont, weil es Napoleon vom Windknollen aus - der höchsten Stelle in der Umgebung - verborgen blieb. Und das wohl auch deshalb, weil Laasan keine Kirche hat, deren Turm ihm die Existenz des Ortes möglicherweise verraten hätte.
Dabei ist Thüringen dafür bekannt, dass man fast von jedem Punkt aus einen Kirchturm in der hügeligen Landschaft erblicken kann. Einen jener Türme, von denen Lyonel Feininger 1913 in einem Brief schrieb, sie seien das Mystischste, was er von "sogenannten Kulturmenschen" kenne. So beeindruckt war er von der Architektur, die er "ungemein monumental" nannte, dass er sich immer wieder mit dem Skizzenblock auf sein Fahrrad schwang und die Dörfer der Weimarer Umgebung aufsuchte. Zahllose Skizzen, Zeichnungen und Gemälde sind entstanden, allen voran von der Kirche in Gelmeroda mit ihrem markanten spitzen Turm. Aber auch die Kirchen im Norden, etwa auf der Insel Usedom, hatten es dem Künstler angetan.
Für Feininger ebenso wie für Vorüberfahrende sind die Kirchtürme vor allem Landmarken und Wegweiser. Ihr Verlust würde das Bild unserer Kulturlandschaften völlig verändern. Die meist mitten in den Dörfern gelegenen ehrwürdigen Gebäude, zuweilen umgeben von einem alten Kirchhof, sind Anlaufpunkte für Besucher, die ein wenig innehalten möchten. Auch wenn sie dabei leider oft vor verschlossenen Türen stehen, so erzählen ihnen die jahrhundertealten Mauern von den Menschen, die hier ein und aus gingen, und von ihrer reichen Geschichte.
Professor Dr. Gottfried Kiesow nennt die Gotteshäuser Orte, an denen sich Himmel und Erde berühren. Denn hierhin zieht es die Menschen seit Jahrhunderten, um neue Kraft zu schöpfen und innere Einkehr zu halten. Hier fanden Taufen, Hochzeiten, aber auch Trauerandachten statt, hier traf man sich zu den Gottesdiensten, erlebte Ostern, Pfingsten, Erntedankfeste und feierte Jahr für Jahr die Geburt Christi am Heiligen Abend.
Selbst wenn heute vergleichsweise wenige Menschen regelmäßig an den Gottesdiensten teilnehmen und viele dem Glauben fern sind, behalten die Kirchengebäude ihre Funktion als Orte, an denen man zusammenkommen kann - gerade in unserer Zeit, wo in immer mehr Dörfern Geschäfte und Gaststätten geschlossen sind. Das konnte man vor allem auch in der ehemaligen DDR beobachten, wo nach jahrzehntelang propagiertem Atheismus Religion für viele Leute fremd ist.
Dass heute die Landschaften in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen noch immer von einer großen Vielfalt an Kirchen geprägt ist, ist vor allem den Menschen in den Gemeinden zu verdanken, denen es mit viel Phantasie und großem persönlichen Einsatz gelungen war, ihre Gotteshäuser so gut wie möglich zu pflegen und instand zu halten. Denn es gab dafür vor 1990 kaum Unterstützung von staatlicher Seite, und es war fast unmöglich, Baumaterial für Kirchenbauten zu bekommen. Ohne dieses nicht hoch genug einzuschätzende Engagement wäre bei einigen der meist liebevoll und prächtig ausgestatteten Kirchlein aus Feldstein, Fachwerk oder Backstein wohl nichts mehr zu retten gewesen.
Trotz aller Bemühungen war der Sanierungsbedarf 1990 unübersehbar: Einige Gebäude hatte man bereits aufgeben müssen. Bei anderen waren Dachstühle oder Türme teilweise zerstört, Wände zeigten deutliche Risse. Kaputte Dächer und Dachrinnen hatten Wasser eindringen lassen, Hausschwamm und schädliche Insekten hatten sich eingenistet. Fast überall warteten Altäre, Emporen, Kanzeln und Gestühle auf ihre dringende Restaurierung. Gewölbe- und Wandmalereien drohten gar endgültig verlorenzugehen. Viele Hilferufe erreichten auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die sich direkt nach der Wiedervereinigung in den damals sogenannten neuen Bundesländern engagierte.
1991 legte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ein spezielles Dorfkirchenprogramm auf. Schon in den ersten zwei Jahren konnten so die dringendsten Maßnahmen an etwa 90 Dorfkirchen durchgeführt werden. Um die weitere Zerstörung zu stoppen, wurden vor allem Dächer abgedichtet, stark gefährdete Türme gesichert, Wände abgestützt - eine Voraussetzung für eine nachfolgende behutsame Sanierung. Auch Monumente, das Förderermagazin der Stiftung, hatte sich im Februar 1992 unter dem Titel "Die kleine Herrlichkeit" dieses Themas angenommen und erste Erfolge aufgezeigt.
Damit wurde etwas in Gang gesetzt, was wohl in der Geschichte einzigartig ist. Gemeinsam mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützten immer mehr Menschen und Organisationen schon bald den manchmal verzweifelten Kampf der Gemeinden für ihre Kirchengebäude: Neben den vielen Förderern unserer Stiftung sind das überregionale Vereine wie Dorfkirchen in Not in Mecklenburg und Vorpommern e. V. oder der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V., die wiederum lokale Fördervereine miteinander vernetzen. Dazu kommen Partner wie die KiBa, die von den evangelischen Kirchen getragene Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland, die Hermann Reemtsma Stiftung und die Rudolf-August Oetker Stiftung. Sparkassen, Banken und ihre Stiftungen beteiligen sich ebenso wie die Lottogesellschaften, die vor allem mit den der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zufließenden Erträgen der GlücksSpirale einen wesentlichen Anteil an der Rettung haben. Auch die inzwischen 48 von unseren Förderern errichteten Stiftungen, die Dorfkirchen gewidmet sind und von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz treuhänderisch verwaltet werden, sowie der Dorfkirchenfonds und sechs Namensfonds tragen in nicht unerheblichem Maße zum Gemeinschaftswerk bei. Nicht zu unterschätzen ist natürlich das Engagement der jeweiligen Landeskirchen, Kirchenkreise sowie das von Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen.
Doch das alles hätte in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht zu so großen Erfolgen geführt, gäbe es nicht überall in den Dörfern Menschen, deren persönlicher Einsatz und Überzeugungskraft zuweilen sogar deutschlandweit ausstrahlt. Oft gelingt es aber auch Einzelnen, durch ihr Vorbild und ihre Tatkraft zur Hilfe zu motivieren.
Zum Beispiel im thüringischen Zimmernsupra, gelegen zwischen Erfurt und Gotha: Dort zeigt die ehemalige Kindergärtnerin Gisela Baumbach, deren Vater sich bereits um die Kirche St. Jakobus gekümmert hat, ein einzigartiges Engagement. Sie hat nicht nur die Bewohner des Dorfes auf ihre Seite gezogen, allen voran die Kinder, die sie gern durch St. Jakobus führt und so deren Interesse und das der Eltern weckt. Sie hat auch die Kirchenbücher gewälzt und deutschlandweit Briefe an Menschen geschrieben, die in der Kirche getauft, konfirmiert oder getraut wurden. Die Resonanz war überwältigend: Von jedem der Angeschriebenen kam eine Spende! Nach den ersten größeren Maßnahmen, die zur Sicherung der Anfang der 90er Jahre baupolizeilich gesperrten Kirche notwendig waren und von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert wurden, haben in den letzten Jahren viele kleine Schritte dazu geführt, dass die Kirche wieder ein wahres Schmuckstück ist. Stolz erzählt Gisela Baumbach, dass vor kurzem eine zweite neue Glocke eingeweiht werden konnte. Und nun hofft sie, dass auch das Geld für eine dritte Glocke zusammenkommen wird, damit das 1943 entfernte Geläut bald wieder vollständig erklingen kann.
Vielerorts hat man sich zu Fördervereinen zusammengetan, in denen sich oft auch Menschen engagieren, die der Religion fern stehen. Ihnen ist aber keineswegs gleichgültig, was mit den Dorfkirchen geschieht. Sie sehen sie als wichtigen identitätsstiftenden Mittelpunkt des Dorfes, zumal sie oftmals der einzige öffentliche Raum geblieben und damit unverzichtbar für die Dorfgemeinschaft sind.
Je weiter die Sanierungen fortschreiten, desto mehr gewinnen die Kirchen an Aufmerksamkeit. Allenthalben wird der Wunsch laut, die Türen für Besucher so oft wie möglich zu öffnen und die ehrwürdigen Räume häufiger als nur für die seltenen Gottesdienste zu nutzen. Es soll wieder mehr Leben in die Gotteshäuser einziehen. Überregionale Initiativen unterstützen die Gemeinden dabei. Besucher können sich so im Internet oder in Broschüren über die jeweiligen Öffnungszeiten informieren. Immer mehr Radfahrerkirchen, meist nahe beliebten Fernradwegen, laden ähnlich wie Autobahnkirchen zu Rast und Besinnung ein.
Kirchenführungen, Dorffeste und Veranstaltungen wie Lesungen und Ausstellungen - meist von Künstlern der Region - finden ein sehr aufmerksames Publikum.
Und natürlich die Musik, sie darf in unseren Gotteshäusern nicht fehlen. Glücklich sind die Gemeinden mit einer intakten und wohlklingenden Orgel, wie etwa das sächsische Forchheim mit seinem von Gottfried Silbermann geschaffenen Instrument. Orgel-, Chor- und Solokonzerte, aber auch Kammermusik und Jazz ziehen Besucher aus der ganzen Umgebung an. Und so füllen sich die Räume, die oft viele Jahre lang beinahe vergessen waren, wieder mit Leben.
Die wiedererstandenen Kirchen mit ihrer vielfältigen Nutzung sind heute Ansporn für Menschen aus Dörfern, die sich nicht sofort an das große Werk herangetraut haben.
Zum Beispiel im thüringischen Dermsdorf: Dort sollte die hübsche kleine Kirche abgerissen werden, zu baufällig erschien sie allen Beteiligten. Doch die Kirchenälteste Sigrid Schwarz rechnete nach und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Der Abriss allein würde so viel Geld verschlingen, wie ein neues Schieferdach kosten würde. Sie konnte die Gemeinde überzeugen, das kaputte Dach wurde ersetzt. Und angesichts des neuen Schieferdachs gibt das Kirchlein ein ganz anderes Bild ab. Deshalb hat man Mut gefasst und packt es - auch mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz - weiter an. Nun glauben alle fest daran, dass die Dermsdorfer Kirche wieder ein Schmuckstück werden kann.
Unsere Stiftung erreichen auch nach 20 Jahren noch zahlreiche Hilferufe von Gemeinden zwischen Rügen und Vogtland, zwischen Neiße und Werra. Manche Kirchengebäude sind akut gefährdet, bei anderen sind zwar die Dächer bereits dicht, Wände und Türme gesichert. Aber nun möchte man auch hier gern die schönen Räume nutzen, sorgt sich deshalb um die wertvolle Ausstattung. Denn durch die zuvor lange eingedrungene Feuchtigkeit sind Malereien an Wänden, Decken und Gewölben ebenso gefährdet wie Emporen, Kanzeln, Altäre, Orgeln und Gestühle.
Nicht nur engagierte Menschen aus Dörfern in der ehemaligen DDR treten heute an uns heran. In vielen Regionen der "alten" Bundesrepublik stehen ebenfalls dringende Sanierungsarbeiten an. Auch diese Gemeinden sind mit den Kosten überfordert. So waren in Monumente in den letzten Jahren bereits zahlreiche Kirchen aus den westlichen Bundesländern zu finden, darunter einige in der Rubrik "Denkmal in Not".
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte den Gemeinden, Fördervereinen und den vielen engagierten Menschen in den Dörfern natürlich weiterhin helfen. Doch dafür brauchen wir Sie, liebe Leserinnen und liebe Leser. Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer Spende, damit die kleinen Dorfkirchen, die unser Land so prägen, wieder zu dem werden, was sie seit eh und je waren: Orte des Glaubens und der Besinnung, aber auch lebendige Mittelpunkte der Dorfgemeinschaften.
Dorothee Reimann
Kopfgrafiken:
links: Arbeiten im Turm der Dorfkirche von Stendell (Brandenburg)
rechts: Die Dorfkirche im brandenburgischen Busendorf-Kanin wurde erfolgreich saniert.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
Ihr Einsatz für den Erhalt der Dorfkirchen ist beispielhaft und ich werde Ihnen hierfür umgehend eine kleine Spende überweisen. Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit auch auf die Dorkirche von Großrudestedt, das zur Verwaltung Sömerda gehört, die ich kürzlich besichtigt habe, aufmerksam machen. Die Kirche ist nicht nur baulich hilfsbedürftigt. Auch die Orgel funktioniert nicht mehr und muss restauriert weden. Die Einwohner von Großrudestedt machen sehr viel in Eigenregie, so wurde mir gesagt. Aber wenn das Wasser durch die Decke in den Kirchraum tropft, muß schnellstens tatkräftigere Unterstützung her, sonst fällt bald den Kirchgängern die Decke auf den Kopf. Teilweise ist sie schon runtergekommen. Ich habe Fotos davon gemacht. Wenn es Sie interessiert, schicke ich Ihnen diese gerne zu.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und ein gesegnetes Weihnachtsfest
Ihr
Karl-Friedrich Bräker
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