Wohnhäuser und Siedlungen Städte und Ensembles Sehen und Erkennen Dezember 2010

Wie der Zug zum Licht die Häuserlandschaft veränderte

Von traufen- und giebelständigen Häusern

Die mittelalterlichen Städte Deutschlands haben überwiegend die giebelständige Bauweise gewählt, das heißt, die schmalen, dafür aber sehr tiefen Häuser stehen mit dem Giebel zur Straße. Dies ergibt, wie man an der Altstadt von Landshut erkennen kann, ein sehr lebendiges, in der Dachzone malerisch bewegtes Straßenbild.

Der „Altstadt“ genannte langgezogene Platz im bayerischen Landshut mit seinen Giebelhäusern 
Landshut, Altstadt © Gottfried Kiesow
Der „Altstadt“ genannte langgezogene Platz im bayerischen Landshut mit seinen Giebelhäusern

Von dieser allgemein bis zum Ende des Mittelalters üblichen städtebaulichen Gruppierung weichen jedoch die Städte im Harz und seiner Umgebung ab. Hier stehen die Häuser mit der Breitseite - also mit der Dachtraufe - zur Straße. So ist es auch in Braunschweig, Goslar, Quedlinburg (s. Kopfgrafik rechts) und vielen anderen Städten bis hinunter in den Süden Niedersachsens nach Hannoversch Münden und Göttingen. Und dies war von Anfang an so, wie das Haus Rote Straße 25 in Göttingen beweist, das durch die Altersbestimmung des Bauholzes mit Hilfe der Jahresringe auf 1276 datiert werden konnte.

Traufenständige Häuser in Göttingen. Rechts das Haus Rote Straße 25 
Göttingen @ Gottfried Kiesow
Traufenständige Häuser in Göttingen. Rechts das Haus Rote Straße 25

Die giebelständige Bauweise hatte den Vorteil, dass man die kostbaren Grundflächen an den Marktplätzen und wichtigsten Straßen in doppelt so viele, allerdings sehr schmale Parzellen aufteilen konnte. Der Nachteil ist, dass die weit in die Tiefe reichenden Häuser nur durch Fenster an der schmalen Fassade und an der - häufig noch durch ein Hinterhaus verbauten - Rückfront Licht erhalten. Auch ist ein Giebelhaus innen schwer zu erschließen, weil bei der beschränkten Breite ein mittlerer Flur nur kleine, zum Teil fensterlose Seitenräume zulässt, wie der Grundriss des Bürgermeister-Hintze-Hauses in Stade zeigt.

Der Grundriss des Bürgermeister-Hintze-Hauses in Stade zeigt den typischen Aufbau eines Giebelhauses mit seiner geringen Breite zur Straße hin. 
Stade, Bürgermeister-Hintze-Haus © Gottfried Kiesow
Der Grundriss des Bürgermeister-Hintze-Hauses in Stade zeigt den typischen Aufbau eines Giebelhauses mit seiner geringen Breite zur Straße hin.

Es wurde 1621 am Wasser West erbaut und hatte damals wie wohl die meisten der historischen Handelshäuser aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg im Erdgeschoss eine einzige große Halle, in der sich das ganze Leben abspielte. Erst als man im Barock die Wohnnutzung mit einer differenzierten Aufteilung der Einzelräume entsprechend ihrer Funktion bevorzugte, wurden die dünnen Zwischenwände nachträglich eingefügt.

Den schmalen rückwärtigen Anbau nennt man in den Hansestädten an der Ostsee Kemladen, Der Name lässt sich von der Kemenate ableiten, dem massiven hinteren Anbau, den man im Unterschied zu den stark feuergefährdeten Fachwerkbauten heizen konnte und deshalb den Frauen und Kindern überließ.

In traufenständige Häuser fällt mehr Licht, da man an der gesamten Breitseite zur Straße und nach hinten Fenster anordnen kann, wie der Grundriss des Hauses Lange Gasse 26a in Quedlinburg demonstriert. Er zeigt die sehr viel leichtere Erschließung der einzelnen Räume durch den Mittelflur, von dem aus auch die Treppe in das Obergeschoss führt. Diese Vorzüge der traufenständigen Bauweise für die Wohnnutzung waren auch der Grund, warum man vom späten 17. Jahrhundert an vielfach zwei oder mehr schmale Giebelhäuser abbrach und an ihrer Stelle ein breites Traufenhaus errichtete, wie man eindrucksvoll in der Großen Petersgrube von Lübeck (s. Kopfgrafik links) beobachten kann. Die traufenständige Bauweise hat auch den Vorteil, die zwischen den Satteldächern der Giebelhäuser liegenden Schluchten zu vermeiden, in denen sich Schneemassen sammeln und beim Auftauen durch undichte Stellen in den Dachraum einsickern können. Vielleicht ist dies der Grund, warum man in dem klimatisch rauhen Harz und seinem Umland von Anfang an die traufenständige Bauweise bevorzugte.

Bei den giebelständigen Handelshäusern an der Ostseeküste hat man in der Gotik einen besonderen Haustyp entwickelt, das Hausbaumhaus. So wird auch das Haus Wokrenter Straße 40 in Rostock genannt, das die Deutsche Stiftung Denkmalschutz von der Stadt im Rahmen eines langfristigen Pachtvertrages übernommen hat.

Typische traufenständige Häuser in Quedlinburgs Langer Gasse: links Haus Nr. 7, rechts der Grundriss von Haus Nr. 26a 
Quedlinburg, Lange Gasse @ Gottfried Kiesow
Typische traufenständige Häuser in Quedlinburgs Langer Gasse: links Haus Nr. 7, rechts der Grundriss von Haus Nr. 26a

Die Straßenfront zeigt den für die Erbauungszeit um 1380 typischen Treppengiebel. Wegen des Kemladens an der Rückseite erhielt die einst große Halle im Erdgeschoss nur sehr wenig Licht. Auch hier hat man nachträglich im Barock Wände, Galerien und Treppen eingebaut, um Einzelräume zu erhalten. Auf der rechten Seite erkennt man aber noch den - einst freistehenden - Hausbaum, der den Längsunterzug trägt. Dieser war zur Unterstützung der quergespannten Deckenbalken erforderlich, um sie vor dem Durchbiegen bei einer so großen Spannweite zu bewahren. Damit der Längsunterzug seitlich vom Hausbaum nicht durchbiegt, hat man breite Kopfbänder eingefügt und ein Sattelholz unterlegt.

Das Hausbaumhaus in der Rostocker Wokrenter Straße. Im Keller ruht der Hausbaum auf einem Findling (rechts). 
Rostock, Wokrenter Straße Hausbaumhaus @ Gottfried Kiesow
Das Hausbaumhaus in der Rostocker Wokrenter Straße. Im Keller ruht der Hausbaum auf einem Findling (rechts).

Die Hauptlast der gesamten Decke aber trägt der Hausbaum, der bis zum Fußboden des Kellers herabreicht, und dort auf einem großen Granitfindling ruht. Er wurde um 180 Grad gegenüber seinem Wuchs gedreht, um eine Astgabelung zu nutzen und ihn immer dann hoch zu keilen, wenn die Deckenkonstruktion wegen der großen Lasten im oberen Lagergeschoss nachgegeben hatte. Deutlich sind die kleinen, nachträglich untergeschobenen Feldsteine zu sehen. Man kann nur staunen, mit welch einfachen, aber doch wirkungsvollen Mitteln einer auf Erfahrung und nicht auf Berechnungen fußenden Mechanik die gotischen Baumeister die statischen Probleme lösten - ebenso wirkungsvoll wie haltbar und schön.

Prof. Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow

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