Kurioses 1925 Dezember 2010
Ein Jahr lang suchte die Hotelierfamilie Kühn in ganz Deutschland nach einem schönen Haus, in dem sie Übernachtungen mit Frühstück anbieten wollte. Angekommen in Bad Harzburg, schlossen die Kühns das Café Winuwuk sofort in ihr Herz.
Sie waren begeistert von dem Gebäude, das keine gerade Wand besitzt und noch dazu von geschwungenen und natürlich gewachsenen Eichenbalken gestützte Dächer aufweist sowie farbenfroh verzierte Schnitzereien an Türen und Fenstern - und sie änderten ihre Pläne. Inzwischen bewirtschaften die Kühns seit 32 Jahren, jetzt in zweiter Generation, das hoch über Bad Harzburg, in der sogenannten Elfenecke gelegene Café Winuwuk und das gegenüberliegende Ausstellungsgebäude, den Sonnenhof.
Schon für die Bauherren, das Künstlerehepaar Dore und Walter Degener, war das phantastische Architekturensemble von 1922/23 die Verwirklichung eines Traums. Auch sie wollten in den zwanziger Jahren die avantgardistische Kunst in ihre Heimat holen und eine Möglichkeit für Ausstellungen und Lesungen schaffen. Da die Elfenecke damals abgelegen war, sollte eines der Gebäude zur Einkehr dienen. Für ihr Vorhaben gewannen sie Bernhard Hoetger (1874-1949), damals Professor an der Darmstädter Künstlerkolonie, dessen expressionistisches Werk Architektur, Bildhauerei, Malerei und Kunsthandwerk vereint.
Fasziniert von der einheimischen Bauweise verwendete Hoetger auch für die Fassaden der Bad Harzburger Fachwerkhäuser rote Dachziegel. Holz ist das vorherrschende Material der Innenräume, die imposante Gefüge aus knorrigen Balken besitzen. Beschnitzt und bemalt zeigen sie exotisch anmutende Wesen und Formen, die an indianische Kunst und die der Wikinger zugleich erinnern. Für beide Häuser erdachte der Künstler einen Mittelpunkt: im Café Winuwuk - der Name ist ein Akronym, das Hoetger aus den Anfangsbuchstaben von "Weg im Norden und Wunder und Kunst" zusammensetzte - eine wärmende Feuerstelle und im kreisrunden Atrium des Sonnenhofs einen erfrischenden Brunnen.
Hoetgers Kunst ist zwar durch germanische Mythen inspiriert, doch die Nationalsozialisten deklarierten seine Werke als entartet. 1939 mussten daher die Wandmalereien in den Innenräumen übertüncht und die figürlichen Darstellungen an Balken und Geländern entfernt werden. Die Gebäude, die später von den Engländern beschlagnahmt wurden und als Casino dienten, konnte die Familie Degener 1953 wieder übernehmen. Seither wird das Ensemble in seiner ursprünglichen Funktion genutzt. Inzwischen kümmern sich Dietmar Kühn und seine Schwester Petra, die ihre Diplomarbeit an der Kunsthochschule in Hamburg über Hoetger geschrieben hat, liebevoll um Café und Ausstellungsgebäude. "Ich kenne hier jeden Stein", sagt Dietmar Kühn, der von der Elektrik bis zur Aufarbeitung des von Hoetger entworfenen und noch vollständig erhaltenen Mobiliars alles selbst macht.
Doch inzwischen können die Besitzer die anfallenden Arbeiten nicht mehr alleine stemmen. Die Witterung hat der Holzkonstruktion zugesetzt. Sie leidet unter eindringender Feuchtigkeit und Pilzbefall. Auch das Fundament der Caféterrasse gibt nach. Seit September haben die Restaurierungsarbeiten an Terrasse und Eingangsgiebel des Sonnenhofs begonnen. An der Sanierung, bei der auch Teile der originalen Wandmalereien freigelegt werden, beteiligt sich neben dem Land, dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und den Eigentümern auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die zusammen mit der von ihr treuhänderisch verwalteten Horst v. Bassewitz-Stiftung zur Bauforschung 47.000 Euro zur Verfügung stellt.
Julia Ricker