Interviews und Statements Dezember 2010

Interview mit Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn

Die Faszination der mittelalterlichen Burgen

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn, Vorsitzender der Deutschen Burgervereinigung e. V., über Mythos und Realität mittelalterlicher Burgen

©  Erdmanski 
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MO: Burgen als mächtige steinerne Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit ziehen die Menschen noch heute in ihren Bann und beflügeln unsere Phantasie vom Leben im Mittelalter. Weit verbreitet ist die Ansicht, in Burgen hätten Ritter gelebt. Dabei sind viele dieser Bauwerke schon im 8. und 9. Jahrhundert errichtet worden, als es noch gar keine Ritter gab. Drei große Ausstellungen haben sich 2010 mit dem "Mythos Burg" beschäftigt und aufgezeigt, dass das allgemein herrschende Bild über Burgen revidiert werden muss. Denn sie waren Wehrbauten und dienten der Machtrepräsentation ihrer Besitzer. Darüber hinaus waren sie aber auch wirtschaftliche und administrative Zentren der Herrschaft sowie handwerkliche Produktionsstätten. Wer bewohnte die mittelalterlichen Burgen?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: In der Tat gab es vom 8. bis 10. Jahrhundert großflächige, meist aus Holz und Erde errichtete Befestigungen, die man früher gerne als "Fliehburgen" bezeichnet hat, von denen man heute aber weiß, dass sie durchaus schon Mittelpunktsfunktionen haben konnten.

Ab dem 11. Jahrhundert entwickelt sich dann die "klassische" Adelsburg, die ihre Blüte im 12. und 13. Jahrhundert hatte. Der gern verwendete Ausdruck "Ritterburg" ist dabei allerdings unzutreffend und irreführend. Er entstand erst in der Romantik des 19. Jahrhunderts. Als Initiatoren des Burgenbaus treten sowohl Angehörige des hohen Adels wie Edelfreie, Grafen, Fürsten, aber auch hohe geistliche Würdenträger auf, als auch des niederen Adels wie Dienstleute, Ministeriale. Der ritterliche Adel, von dem sicher die zahlenmäßig meisten Burgen genutzt wurden, ging dann zumeist aus der Ministerialität hervor. Burgen waren repräsentative wehrhafte Wohnbauten des Adels, die darüber hinaus aber noch ein ganzes Bündel weiterer Funktionen wahrnehmen konnten: Verwaltungssitz und Mittelpunkt einer Herrschaft bzw. Wirtschaftseinheit, Gerichtsort und Residenz, bis hin zu Spezialfunktionen wie Grenzburg oder Zollburg. Zahlreiche Burgen waren Keimzellen von dazugehörigen Siedlungen.

Die Burgen wurden nicht nur von der adeligen Familie oder von adeligen Funktionsträgern (zum Beispiel dem Vogt) allein bewohnt, sondern auch von dem zugehörigen Gesinde und Wachpersonal. Allerdings übertraf die Gesamtzahl im Hochmittelalter selten mehr als 20 bis 30 Personen.

MO: Wie muss man sich den damaligen Alltag vorstellen?

Seit 2006 fördert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Sanierungsarbeiten der auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden Burg in Runkel bei Limburg a. d. Lahn. 
Runkel, Burg © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Seit 2006 fördert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Sanierungsarbeiten der auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden Burg in Runkel bei Limburg a. d. Lahn.

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Der Alltag war genauso vielschichtig wie die Burgen. Kleine Adelsburgen wiesen nur einen bescheidenen Haushalt auf, während wir bei Residenzburgen mit großartiger Hofhaltung und entsprechendem Personal zu rechnen haben. Zudem unterschied sich der Alltag des Burgherrn von dem des Gesindes. In der Regel war der Alltag aber eher eintönig und wenig komfortabel. Hier war das Aufkommen des Kachelofens im Laufe des 12. Jahrhunderts eine wichtige Entdeckung, ermöglichte er doch eine gleichmäßige und zudem rauchfreie Erwärmung der wenigen beheizten Räume. Gegessen wurde meist aus hölzernen oder tönernen Gefäßen, Glasbecher waren eine Luxusware. Die Raumausstattung war ausgesprochen karg. Als Toiletten dienten aus der Burgmauer nach außen vorragende Aborterker. Die Wasserversorgung wurde durch Brunnen oder Zisternen gewährleistet. Schauplatz von kriegerischen Auseinandersetzungen und Belagerungen waren tatsächlich nur wenige Burgen, auch wenn sie für diesen Ausnahmefall konzipiert waren.

MO: Welche sind die typischen Bauelemente einer Burg?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Zu den typischen Bauelementen gehören der weithin sichtbare Hauptturm (Wohnturm oder Bergfried) und ein repräsentativer Wohnbau mit Saal (Palas). Bei bedeutenderen Burgen waren zudem eigene Kapellenbauten ein wichtiges Bauelement. Weitere Wohn- und Wirtschaftsbauten konnten sich in der Kernburg, vor allem aber auch in der durch einen Graben oder Torbau abgetrennten Vorburg befinden. Eine Ringmauer schützte die Anlage, die teilweise durch Türme verstärkt sein konnte. Ab dem 13. Jahrhundert wurden Burgen auch häufig von einem Zwinger umgeben.

MO: Weiß man, wieviele Burgen es im Mittelalter auf dem Gebiet Deutschlands gab und wieviele heute noch existieren?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Hierzu gibt es bisher keine genaue Erhebung. Schätzungen gehen von 20.000 bis 30.000 Burgen allein auf dem Gebiet Deutschlands aus, wobei die Tendenz eher in den oberen Bereich gehen dürfte. Etwa ein Drittel davon dürfte heute noch erhalten sein. Im Europäischen Burgeninstitut der Deutschen Burgenvereinigung wird mit EDV-gestützten Methoden und ehrenamtlichem Engagement versucht, nach und nach diese Burgenzahlen und die dazu gehörenden Daten zu erheben. Sie sind in dem Internetportal www.ebidat.eu veröffentlicht.

MO: Nicht alle Burgen werden von den Nachfahren ihrer einstigen Bewohner genutzt. Viele sind im Besitz von Kommunen, die ihre teure Unterhaltung auf Dauer nicht leisten können. Manche stehen sogar leer. Wie lässt sich die aktuelle Situation der Burgen in Deutschland beschreiben?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Dies ist in den verschiedenen Regionen unterschiedlich. So stehen Regionen mit einer hohen Dichte an noch erhaltenen Burgen, die sich vor allem in den westlichen Bundesländern häufig in Privatbesitz befinden, Landschaften mit einer hohen Zahl an Ruinen gegenüber.

Westlich des Rheins waren die Burgen während des 17. Jahrhunderts weitgehend zerstört worden. Eine von wenigen Ausnahmen ist die heute noch in Privatbesitz befindliche Burg Eltz, die versteckt in einem Seitental der Mosel völlig unzerstört als Meisterwerk des Burgenbaus erhalten blieb. Dagegen wurde unsere linksrheinisch gelegene Burg Sayn im Dreißigjährigen Krieg ein Opfer der Schweden. Sicherlich ist die Finanzierung der baulichen Unterhaltung sowohl für die in privater Hand als auch die in öffentlichem Besitz befindlichen ähnlich schwierig. In den neuen Bundesländern ist die Situation besonders unglücklich. Dort wurde nach der Wende das Eigentum an historischen Gebäuden systematisch von dem Eigentum der dazu gehörenden Güter, die ursprünglich den Erhalt der Substanz sichergestellt hatten, getrennt veräußert.

Blick auf die zu Beginn des 12. Jahrhunderts erbaute Burg Eltz, deren Sanierung die Deutsche Stiftung Denkmalschutz finanziell unterstützt.  
Burg Eltz © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Blick auf die zu Beginn des 12. Jahrhunderts erbaute Burg Eltz, deren Sanierung die Deutsche Stiftung Denkmalschutz finanziell unterstützt.

MO: Bereits 1899 gründete sich die Deutsche Burgenvereinigung e.V. Sie ist die älteste überregional tätige Denkmalschutzinitiative in Deutschland. Welche Aufgaben und Ziele hat der Verein?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Wie sich schon aus dem Untertitel unseres Vereinsnamens erkennen lässt, wollen wir uns für die "Erhaltung der historischen Wehr- und Wohnbauten" einsetzen.

Die Burgen spielen hier die Hauptrolle. Se sind Leuchttürme unseres baulichen Erbes. Unser Bemühen richtet sich aber auch auf benachbarte Denkmalkategorien, wie Schlösser und Gutshäuser. Hier verschwimmen die Grenzen oft. Genauso reicht das Spektrum unseres Interesses von der untergehenden Ruine bis zu dem heute noch genutzten Baudenkmal. In erster Linie wollen wir natürlich den Verfall stoppen, also uns und zukünftigen Generationen möglichst viel ursprüngliche Bausubstanz als Zeugnis unserer Geschichte und der handwerklichen Leistungen früherer Zeiten bewahren.

Genauso engagieren wir uns aber gegen die Verfälschung des ursprünglichen Erscheinungsbildes unserer Burgen, sei es durch einen schon seit dem 19. Jahrhundert populären, historisierenden Wiederaufbau von Ruinen oder durch zu wenig auf das vorhandene Kulturgut Rücksicht nehmende moderne Umbauten.

Die Marksburg oberhalb von Braubach ist die einzige nie zerstörte mittelalterliche Höhenburg am Mittelrhein. Sie ist Sitz der Deutschen Burgenvereinigung e. V. und wird derzeit unter anderem mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz restauriert.  
Braubach, Marksburg © Touristikgemeinschaft Tal der Loreley e.V.
Die Marksburg oberhalb von Braubach ist die einzige nie zerstörte mittelalterliche Höhenburg am Mittelrhein. Sie ist Sitz der Deutschen Burgenvereinigung e. V. und wird derzeit unter anderem mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz restauriert.

MO: Wer engagiert sich in der Deutschen Burgenvereinigung?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Ich kenne keine Denkmalorganisation in Europa, deren Zusammensetzung der Mitglieder so breit gefächert ist wie unsere. Das ist nicht nur unsere Stärke als Interessensvertretung für das Baudenkmal, das ermöglicht auch einen äußerst wertvollen Erfahrungsaustausch über Berufs- und Interessengruppen hinweg. Hier trifft der Burgbesitzer auf den Denkmalpfleger, mit dem er sonst gelegentlich "Berührungsängste" hat, und hier schöpft der Laie aus dem Erfahrungsschatz des Wissenschaftlers.

MO: Ein Anliegen der Burgenvereinigung ist auch die Erforschung der historischen Bauwerke. Wo werden die Ergebnisse publiziert?

Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Sayn: Die Publikation der Forschungsergebnisse gehört zu einem wichtigen Anliegen der Deutschen Burgenvereinigung. Hierzu dient insbesondere die viermal jährlich erscheinende eigene Fachzeitschrift "Burgen und Schlösser". In unserem Europäischen Burgeninstitut werden auch monographische Einzelforschungen, Tagungsbände unseres Wissenschaftlichen Beirats und Burgenführer herausgegeben. Die nächste Tagung des Wissenschaftlichen Beirats findet übrigens vom 4. bis 6. Februar 2011 in Würzburg statt zum Thema "Burg und Kirche - Herrschaftsaufbau im Spannungsfeld zwischen Politik und Religion" und ist für jeden Interessierten zugänglich.

MO: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Julia Ricker

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1 Kommentare

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  • Kommentar als unangemessen melden
    Franz Posset schrieb am 29.11.2010 00:00 Uhr

    Wollte Sie kurz darauf aufmerksam machen, dass neueste Forschungen, vor allem von Prof. Hans Schneider, nun davon ausgehen, dass Luther NICHT 1510/1511, sondern 1511/1512 seine Romresie als Sozius unternahm.\n \n

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