Städte und Ensembles Barock Herrscher, Künstler, Architekten August 2010
Als Ludwig Wilhelm von Baden-Baden sechs Jahre alt war, ließ ihm sein Vater, Markgraf Ferdinand Maximilian, eine Medaille prägen. Auf der Rückseite zeigt sie einen Adler, dem ein kleinerer Adler folgt. Beide fliegen der Sonne entgegen, in der eine Krone leuchtet. Über dem Motiv steht "Non Deteriora Sequendo" - "Nichts Geringeres verfolgen". Der Hintergrund dazu: 1661 bewarb sich das badische Fürstenhaus um den polnischen Königsthron und präsentierte auch Ludwig Wilhelm als Kandidaten. Das geschah insgesamt dreimal und jedesmal vergeblich: 1661, 1674 und 1697.
In den Bemühungen, den eigenen Rang zu erhöhen, sah niemand etwas Anstößiges, als sich der Absolutismus entfaltete. Jeder spielte sich so gut in den Vordergrund, wie er konnte. Die Badener aber waren geradezu besessen von diesem Ziel. Vielleicht auch, weil ihr Geschlecht einst bedeutend war. Es geht auf die Zähringer zurück, die im Mittelalter weite Teile Südwestdeutschlands und der Schweiz beherrschten.
Im Leben von Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (1655-1707) gibt es immer wieder Schlüsselerlebnisse, die sich genau um dieses Thema drehen - um seinen großen persönlichen Ehrgeiz, der den vorgegebenen Rahmen eines kleinen deutschen Fürstentums sprengte. Er war ein glänzend organisierter, strategisch denkender Feldmarschall, der zu Überheblichkeit und Besserwisserei neigte, jähzornig war und durch undiplomatisches Handeln am Hofe auffiel. Ludwig und seine Frau waren Persönlichkeiten mit vielen Facetten; er, der für seine 57 Schlachten berühmt ist, in denen er niemals besiegt wurde und sie, die man auf ihren eigenen Wunsch als arme Sünderin im einfachen Holzsarg beisetzte. Er verlor seine Markgrafschaft und vor allem den Bestand seiner Herrscherlinie über ein Vierteljahrhundert lang nicht aus den Augen, und seine Frau tat es ihm zwanzig Jahre lang nach. Vielleicht gelingt es, das Bild vom Haudegen und seiner frommen Gattin zu entstauben.
Der Vater Ferdinand Maximilian vermittelte Ludwig Wilhelm von Geburt an das Bewusstsein, einer der ältesten Dynastien Deutschlands anzugehören. Die eigentlich noch erlauchtere französische Herkunft wurde vom "alleinerziehenden" Ferdinand Maximilian dabei unterschlagen. Schließlich hatte sich die Mutter, Prinzessin Luise Christine von Savoyen-Carignan, eine Cousine des französischen Königs Ludwig XIV., geweigert, nach der arrangierten Vermählung im Jahr 1654 von Paris ins "neblige und kalte Germanien" zu gehen. Sie zog ein Leben als Hofdame der Königinmutter Anna in Paris dem Leben in der Kleinstadt vor. Ihr Sohn kam am 8. April 1655, sieben Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, im Hôtel de Soissons in Paris zur Welt, einem illlustren Ort für einen Badener Erbprinzen. Der Palast war der gesellschaftliche Treffpunkt der Seine-Metropole schlechthin, in der Nähe des Louvre gelegen, eine Geburtsstätte, die herrschaftlicher nicht sein konnte. Hier im Haus der Familie Condé war der französische König Stammgast. Er wurde Pate von Ludwig Wilhelm, aber das nützte den Badenern wenig. Selbst Ludwig XIV. konnte oder wollte nicht durchsetzen, dass seine Cousine ihrem Angetrauten folgte. Die strategisch gedachte Heirat, um eine gute Nachbarschaft zu Frankreich zu begründen, scheiterte sang- und klanglos.
Die Markgrafschaft Baden-Baden entstand 1553 wie die Markgrafschaft Baden-Durlach durch Erbteilung der Markgrafschaft Baden und gehörte zu den kleineren Territorien des heiligen Römischen Reiches. Ihr rechtsrheinisches Kerngebiet reichte von Ettlingen bis Steinbach. Neben den Ländereien am mittleren Oberrhein mit Baden als Residenz gehörten ihr auch Gebiete an Mosel und Nahe. Baden-Baden wurde zweimal rekatholisiert, während sich in Baden-Durlach der Protestantismus durchsetzte. Als Ludwig Wilhelm 1677 die Regierung antrat, umfasste sein Herrschaftsgebiet rund 2.000 Quadratkilometer mit etwa 96.000 Einwohnern. Nachdem dieses und die Residenzstadt Baden im Pfälzischen Erbfolgekrieg total zerstört waren, verlegte Ludwig Wilhelm seinen Sitz 1705 nach Rastatt und baute dort die erste Barockresidenz am Oberrhein. Als er 1707 an einer Kriegsverletzung starb, war das Schloss noch nicht vollendet. Seine Gattin Sibylla Augusta von Sachsen-Lauenburg (1675-1733) regierte von 1707 bis 1727 vormundschaftlich für ihren Sohn Ludwig Georg (1702-61) das Land Baden-Baden. Sie ließ ab 1710 das Lustschloss Favorite errichten und gestaltete seit 1728 ihren Witwensitz in Ettlingen neu. Nach dem Tod seines Bruders Ludwig Georg regierte der kinderlose August Georg (1706-71) die Markgrafschaft. Die Linie Baden-Baden endete mit Augusts Tod. Um das Erbe nicht an die evangelische Linie Baden-Durlach fallen zu lassen, mit der es zur badischen Wiedervereinigung kam, wurden die Hinterlassenschaften des Baden-Badener Zweiges Kaiserin Maria Theresia übertragen.
Auf das Kind scheint Luise Christine keinen Wert gelegt zu haben. Aber Ludwig Wilhelm fehlte es nicht an Bezugspersonen, als er im Neuen Schloss in Baden-Baden ohne seine Mutter aufwuchs. Der Vater tat für ihn, was er konnte und stellte einen dezidierten Ausbildungsplan zusammen. Der Markgraf wünschte, dass sein Sohn in sechs Sprachen, darunter einer slawischen, unterrichtet würde. Auch Philosophie, Bibellektüre und Politik sollten ihm von einem adligen Hofmeister, einem "cavalier", keinem "pedant", nahegebracht werden. Die ritterlichen Exerzitien - das Reiten, Fechten und Tanzen sowie Übungen zum Festungsbau - gehörten in dieser Instruktion gleichfalls dazu wie der Besuch von Ratssitzungen. Er pochte darauf, Ludwig "in der oeconomihe nicht zu einer leidlichen erbsenzehlerei sondern firstlicher oeconomia .... (zu) erziehen." So legte Ferdinand Maximilian in seinem Sohn früh das Selbstbewusstsein an, das sich zu Eigendünkel auswachsen sollte.
Nachdem Kaiser Leopold I. 1664 beide badischen Häuser mit dem Titel "Durchleuchtigst" für Siege gegen die Türken ausgezeichnet hatte, begann das Geschlecht, von der Kurwürde zu träumen. Zehn Jahre später trat der 19-jährige Ludwig folgerichtig selbst ins österreichische Heer ein. Er eroberte das Vertrauen des Kaisers im Sturm: Er siegte gegen Frankreich im heimischen Philippsburg (1676) und schlug 1683 fast ohne Verluste die türkischen Truppen vor Wien zurück. Der Kaiser belohnte ihn mit der Ernennung zum General der Kavallerie. 1689, kurz vor dem Zenit seiner militärischen Laufbahn, der 1691 gewonnenen Schlacht von Slankamen, "belohnte" der Kaiser den 34-jährigen ein zweites Mal: Ludwig Wilhelm kam nicht nur seinem Wunsch, im Stand erhöht zu werden, ein Stück näher, sondern durch die Vermittlung einer Braut bescherte ihm Leopold - eher ungewollt - das größte Lebensglück. Als Vormund über zwei äußerst begüterte lauenburgische Prinzessinnen, deren Vater gestorben war, gestattete Leopold I. es, dass Ludwig um die Hand einer der beiden Damen anhielt. Am 10. Januar 1690 traf Ludwig Wilhelm im böhmischen Schlackenwerth bei Anna Maria Franziska und Sibylla Augusta ein. Er wandte sich spontan der jüngeren, erst 14-jährigen zu und verlobte sich schon vier Tage später mit ihr. Seine Methode war wie beim Militär offensiv und wirkungsvoll.
Der Kaiser hätte es zwar lieber gesehen, die vier Jahre ältere Anna unter die Haube zu bringen und die jüngere an Ludwigs Cousin Prinz Eugen von Savoyen zu geben. Aber die Hochzeit wurde eilig auf den 27. März 1690 gelegt, und niemand wagte es, sich den Turtelnden entgegenzustellen. Nicht einmal Sibyllas Brautkleider, die Ludwig Wilhelm in Paris bestellt hatte, waren rechtzeitig zur Hochzeit eingetroffen.
Bis 1690 blieb Ludwig wenig Zeit zum Regieren, geschweige denn sich niederzulassen. Er hatte zwischen 1683 und 1691 die Türken aus fast ganz Ungarn, Siebenbürgen, Teilen Serbiens und der Walachei verdrängt. Und auch mit Sibylla Augusta verbrachte er die ersten Jahre der Ehe meistens unterwegs. Wie damals durchaus üblich, zogen sie mit dem gesamten Mobiliar und einem Teil des Personals umher. Ihre neun Kinder in den zwölf Jahren Ehe gebar Sibylla in Günzburg, Augsburg, in Nürnberg, Aschaffenburg und in Rastatt. Weil sie ihren Gatten sehr liebte, folgte sie ihm sogar ins Feldlager. 1697 aber waren die Jahre der Unruhe und der Wanderschaft zu Ende. Inzwischen hatte der Cousin Prinz Eugen Ludwigs Nachfolge im Krieg gegen die Osmanen angetreten - und ging an seiner Stelle als Türkenbesieger in die Geschichte ein. Ludwig trug, vom Kaiser an die "heimische Front" zurückgerufen, bis 1697 maßgeblich zur Vertreibung der Franzosen aus dem Linksrheinischen bei. Er war ein famoser Schanzenbauer und errichtete seit 1692 die rund 550 Kilometer lange defensive "Schwarzwaldlinie", die im Süden in Bad Säckingen beginnt.
Sein Land lag in Schutt und Asche, und der Herrschersitz, das Neue Schloss in Baden-Baden, war zerstört. Trotz der Erfolge verwehrte der Kaiser ihm den Aufstieg zum Hochadel. Der "Türkenlouis" war außer sich und setzte sich in seiner Art zur Wehr. Er wählte den Marktflecken Rastatt zur neuen Residenzstadt und ließ dort ein alle Rahmen sprengendes Schloss nach dem Vorbild von Versailles errichten. Wenn man ihm schon keinen Titel verlieh, verhalf er sich selbst zu Ansehen: Er verpflichtete den Italiener Domenico Egidio Rossi als Baumeister, den er am kaiserlichen Hof in Wien kennengelernt hatte. Schon im Herbst 1705 bezog die markgräfliche Familie das noch nicht ganz fertiggestellte Schloss, aber Ludwig Wilhelm konnte seine Residenz nur noch ein gutes Jahr genießen, ehe er den Verletzungen eines neuerlichen Gefechts am Schellenberg - das er dann doch wieder für den Kaiser ausfocht - erlag.
Das Schloss diente der Verherrlichung des badischen Hauses. Ludwigs Zeitgenossen, gewöhnt an Allegorien und mythologische Inhalte, konnten in seinen Fresken und Stuckplastiken mühelos wie in einem Buch lesen. Der Mittelbau der imposanten Dreiflügelanlage im wienerischen und italienischen Geschmack wird von einem überlebensgroßen Jupiter bekrönt, der seine Blitze unmissverständlich gen Westen ins nahegelegene Fort Louis schleudert. Im Treppenhaus des Corps de Logis - Aufgang und Festsaal zugleich - erfährt man von der segensreichen Regentschaft des "Türkenlouis": Er lässt sich wie sein Patenonkel als Apoll, den Sonnengott, darstellen, dem alleine es gelingt, den Feuerwagen über das Himmelsgewölbe zu lenken, begleitet von Personifikationen des Reichtums und der Staatskunst.
Im Ahnensaal fanden rauschende barocke Feste, vor allem Maskenbälle statt. Ludwig Wilhelm und seine Frau Sibylla Augusta liebten die Verkleidung und traten besonders gern als türkisches Sklavenpaar in Kostümen aus der Kriegsbeute auf. 56 kleinformatige Gemälde auf Pergament, die um 1700 entstanden, sind erhalten. Sie zeigen die Markgrafen mal als Mohr und Mohrin oder mit ihren Kindern als Jäger, Diana, Musikanten und Kaminfeger. Der Festsaal ist mit Gold und Kriegstrophäen aus Stuck phantasiereich geschmückt. Ausgezehrte osmanische Krieger kauern als vollplastische Figuren unter dem Deckengewölbe, das sie voller Schmerzen zu tragen scheinen. Seine Erhöhung gipfelt im zentralen Fresko, der Apotheose des Herkules. Hier wird der "Türkenlouis" als Held mit dem starken und tugendhaften Jüngling gleichgesetzt, der von Putten getragen in den leuchtenden Himmel der Unsterblichen aufsteigt. Opulente Stuckrahmen an den Wänden nehmen die Ahnengalerie auf. Vieles davon ließ Ludwig Wilhelm schaffen, als sein Kriegsruhm verblasst war, er an einer unheilbaren Wunde litt und Karikaturen den gegen Frankreich nur mittelmäßig Erfolgreichen als "Kleinen Ludwig" verspotteten. Er hatte zwar zeitlebens alle politischen Anforderungen als katholischer Reichsfürst, kaiserlicher Generalleutnant und erfolgreicher Kämpfer gegen die Türken erfüllt, aber am Ende des 17. Jahrhunderts verließ ihn sein militärisches Glück. Mangelnde finanzielle Unterstützung durch Leopold I. (1640-1705) führte zu einem schlechten Verhältnis zum Kaiserhaus, und der "Türkenlouis" wartete vergeblich auf Entschädigung für sein zerstörtes Land.
Sibylla Augusta blickte vom nicht vollendeten Schloss Rastatt auf eine verwüstete Markgrafschaft, als ihr Ehemann am 4. Januar 1707 starb.
Das Testament des Markgrafen machte die erst 32-jährige
Witwe 1707 zur „Oberlandesregentin“ mit allen Vollmachten. Nur vier ihrer neun
Kinder hatten bis dahin überlebt. Erbprinz Ludwig Georg (1702–71) war gerade
fünf Jahre alt, das Land Baden-Baden hoch verschuldet und zu großen Teilen
vernichtet. Im Holländischen Krieg (1672–78) und dem Orléanschen Erbfolgekrieg
(1689–97) ließ Ludwig XIV. systematisch die badischen Markgrafschaften
brandschatzen und zwischen Hochrhein und Kurpfalz nahezu alle Ortschaften,
Burgen und Schlösser zerstören. Nach dem Abzug der Reichstruppen zogen Plünderer
durch Baden, die Bewohner flüchteten in die Wälder, Bauern wanderten ab, und
mehrere Ernten fielen aus.
Ehe sich Sibylla Augusta ab 1710 den schönen
Dingen des Lebens, nämlich dem Bau des Lustschlosses Favorite, widmen konnte,
durchlebte sie harte Zeiten. Dabei half ihr der tiefe Glaube.
Kaum war Markgraf Ludwig Wilhelm am 6. Januar „ohne gepräng“ bestattet, entließ Sibylla Augusta von Baden-Baden mehr als die Hälfte ihrer Bediensteten. Von 325 Hofangestellten mussten 170 gehen.
Mit diesem Paukenschlag – heute würde man es Super-Sparpaket nennen – begann die Markgräfin ihre vormundschaftliche Regierung. Sibylla Augusta zögerte nicht, die Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen noch in den ersten Trauermonaten in Angriff zu nehmen. Zwei Vertrauten ihres Mannes, Hofrat Johann Christoph Freiherr von Greiffen und Baron Wolfgang von Forstner, zeigte sie „unverhohlen ihre Ungunst“. Im selben Jahr quittierten sie ihren Dienst als Gesandte am Wiener Hof. Zum neuen Präsidenten der badischen Hofkammer ernannte Sibylla den schon 74-jährigen, altverdienten Freiherrn Carl Ferdinand von Plittersdorf, der 20 Jahre lang ihr Ratgeber blieb. Schon als Kind hatte ihr Großvater Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg sie in Regierungstätigkeiten eingeführt und dafür gesorgt, dass ihre Erziehung selbst für eine Prinzessin ungewöhnlich vielseitig ausfiel. Nach dem frühen Tod des Vaters verwaltete Sibylla Augusta die böhmischen Besitzungen selbst. Die Herrschaft über Baden-Baden traf sie daher nicht unvorbereitet.
Als im Mai 1707 französische Truppen den Rhein überquerten und Marschall Villars am 23. des Monats Stadt und Festung Rastatt einnahm, flüchtete die Markgräfin mit der verbliebenen Dienerschaft zunächst nach Ettlingen und im Sommer nach Baden-Baden.
Man hätte ihr nach dem Tod ihres geliebten Mannes einen Rückzug in die ruhigere Heimat kaum verübelt, aber sie blieb. Das Land ihres Gatten war zerstört, die Bevölkerung verängstigt oder geflohen. Die beiden Mitvormünder, die der Markgraf im Testament eingesetzt hatte, wollten an ihr vorbei die laufenden Geschäfte mit Hilfe von Ministern regeln, aber Sibylla Augusta ließ sich das Zepter nicht aus der Hand nehmen und entschied lieber selbst.
1708 löste sie die für Baden peinliche Verpfändung der Grafschaft Eberstein im Murgtal aus. Dafür belieh sie ihr väterliches Erbe mit 15 Diamanten. Dies sind die Tatsachen, die Geschichtsforscher unausgewerteten Quellen entnahmen. Sie widersprechen dem Bild von der frömmelnden, weltabgewandten böhmischen Prinzessin, als die sie Historiker noch vor 100 und sogar noch vor 20 Jahren beschrieben. Durch den Wechsel der Sicht auf Sibylla entstand 2008 eine völlig neue Biographie.
Obwohl Sibylla, die aus einem der wohlhabendsten Fürstenhäuser des Reiches stammte, die Kunst liebte, nahm sie sich dafür zu Beginn ihrer Regentschaft zunächst einmal kaum Zeit und Geld.
Als Kind erlebte sie die Gestaltung der Residenz von Schlackenwerth intensiv mit und war durch die Nähe der Stadt Prag kulturell verwöhnt.
In Baden-Baden hingegen verzichtete sie ohne Klage auf einen Musenhof. Selbst die Stelle des Hofkapellmeisters fiel 1707 ihrem Rotstift zum Opfer. Die komplette Hofkapelle wurde aufgelöst. Nur für die Repräsentation unentbehrliche Trompeter durften bleiben – fünf an der Zahl. Für manche Musiker fand Sibylla eine kreative Lösung: Sie übten gleichzeitig „Brotberufe“ als Lakaien und Schreiber aus. Die Hofmaler Dominicus Mayr und Ludwig Ivenet waren als Kammerdiener tätig, und den kostspieligen Hofarchitekten Domenico Egidio Rossi tauschte sie umgehend gegen Michael Ludwig Rohrer aus. Er war der Sohn des herzoglich sachsen-lauenburgischen Müller-, Zimmer- und Brunnenmeisters Michael Anton Rohrer, der am Schlackenwerther Schlossbau mitarbeitete, den Markgrafen auf Feldzügen begleitete und Fortifikationen errichtete – ein Vertrauter der Familie also. Um 1700 hatte der Türkenlouis den Sohn samt Familie in Baden-Baden aufgenommen.
Nach dem Rastatter Frieden 1714 war es nun theoretisch möglich, das ausgeblutete Baden von Grund auf zu sanieren. Zunächst holte die Landesmutter die geflohenen Untertanen zurück, zog selbst wieder nach Rastatt, erließ neue Zunftordnungen, um die Wirtschaft anzukurbeln und gründete eine gebührenfreie Schule, das Piaristenkolleg. 1715 reiste sie zum ständigen Reichstag nach Regensburg, um eine Minderung der Abgaben zu erreichen. Außerdem forderte sie das Gehalt ein, das noch der Großvater des „Türkenlouis“ als Gesandter zu bekommen hatte – immerhin standen 60.000 Gulden aus und Markgraf Wilhelm war schon 38 Jahre tot!
Dies alles waren „Peanuts“ im Vergleich zu den Forderungen gegen den Kaiser. Die beliefen sich auf über zwei Millionen Gulden. 1715 konnte Sibylla Augusta nur mit Mühe von einer Reise an den Kaiserhof abgehalten werden, aber 1721 fuhr sie dann nach Wien. Durch zähes Verhandeln mit Karl VI. erreichte sie eine Teilzahlung von 750.000 Gulden. „Und weillen in dieser Sach mit einem so großen herrn nicht zu marchandiren [zu feilschen] wahr“, berichtete sie ihrem Berater, nahm sie Karls Angebot an. Wie ruiniert musste dessen Haushalt sein, wenn er sogar die Schuldscheine seines Vaters nicht anerkannte.
Im Laufe ihrer Regentschaft tilgte Sibylla immer wieder Schulden aus eigenen Mitteln – und zwar in Höhe von 840.000 Gulden. Zum Vergleich: Der Jahressold ihres Kapellmeisters betrug 250 Gulden.
Soweit das Charakterbild der klar denkenden, mutigen Regentin. Diese
Eigenschaften gehören zu Sibylla wie ihr Kunstsinn und ihre Sammelleidenschaft.
Ab 1710 widmete sich die Markgräfin einer Herzensangelegenheit. Parallel zu
ihrem Sparpaket verwirklichte sie das Schloss Favorite in Förch bei Rastatt,
das in diesem Jahr sein 300-jähriges Bestehen feiert.
Noch heute liegt es als Relikt des frühen 18. Jahrhunderts unverändert zwischen Wiesen und Wäldern, eingebettet in einen weitläufigen Park. Verschlungene Wege und ein malerischer Weiher ergänzen die geraden Achsen und die Orangerien aus der Zeit des Barock.
Viel zu wenige Menschen außerhalb von Rastatt, wo Favorite ein Wochenend-Ausflugsziel für Familien ist, kennen das Kleinod. Die „Grottenfassade“ besticht durch ihre Verkleidung mit Kieselsteinen aus dem Flüsschen Murg. Sie verleihen dem leichten, kuppelbekrönten Lustbau etwas Archaisches. Wer die original erhaltenen Innenräume besichtigt, erlebt den persönlichen Geschmack Sibylla Augustas und kommt ihr dabei besonders nahe: Farben und Formen soweit das Auge reicht, Dekoration im Überfluss. Ein Ort für Feste und Jagdgesellschaften. Die ganze Bandbreite kunsthandwerklicher Techniken ist versammelt, japanische Lackmöbel, bunte Deckengemälde mit mythologischen Motiven, ausgefallene Kronleuchter aus böhmischem Glas, Wandverkleidungen und Bettbehänge aus Seide und glänzende Böden. Tafeln aus Stuckmarmor, Schmucksteinen, Glas und Perlmutt schmücken die Wände, darunter kostbare Pietra-Dura-Arbeiten aus Florenz, dem Zentrum der Steinschneidekunst der Medici. Mit ihnen war Sibylla verschwägert und nutzte die familiären Beziehungen. 1719 orderte sie aus der Medici-Werkstatt Bildtafeln und gab Motive nach eigenen Vorstellungen in Auftrag. Leidenschaftlich sammelte sie Porzellan und Fayencen. Weil sie eine lebenslange Freundschaft mit August dem Starken verband, lebte sie an der Quelle zum „Weißen Gold“ und erwarb die ersten Stücke aus der Meißner Manufaktur. Allein 150 frühe Meißner Porzellane sind erhalten. Die große Kennerschaft auf diesem Gebiet vermittelte der Vater. Er vererbte ihr die eigene Sammlung. Obwohl vieles von dem, was Sibylla zusammentrug, verloren ist, verblieben 1.500 Stücke, darunter 700 Porzellane.
Eine ganz andere Schöpfung als die dem schönen Schein verpflichtete Favorite ist die 1723 geweihte Schlosskirche zum Heiligen Kreuz in Rastatt. Auch sie ist das geistige Werk von Sibylla Augusta und verkörpert den spirituellen Gegenpol ihres Wesens. Genau wie Schlösser zu errichten, war auch das Stiften von Kirchen ein Mittel der Selbstdarstellung. Das rechtfertigte kostspielige Bauvorhaben, erforderte sie sogar, um zu zeigen, dass die eigene Herrschaft von Gottes Gnaden kam – selbst, wenn man so sparsam war wie Sibylla. Konsequenterweise zahlte sie den Bau der Schlosskirche aus ihrem privaten Vermögen.
Die Markgräfin hatte von Kind an einen tiefen Marienglauben. Mehrmals im
Jahr ging sie auf Wallfahrten. Ein Schlüsselerlebnis war sicherlich die zweite
Wallfahrt nach Einsiedeln in der Schweiz. Auf der Fahrt dorthin begann ihr
sechsjähriger Sohn, der bis dahin stumme Erbprinz Ludwig Georg, seine ersten
Worte zu sprechen. 1715 nahm ihr Leben noch einmal eine Wende, als sie den
nahezu gleichaltrigen Jesuiten Kardinal Damian Hugo von Schönborn (1676–1743)
kennenlernte. Er wurde ihr engster Freund und Berater. Wie so oft in ihrem
Leben ließ sie sich stark von Personen aus dem direkten Umfeld beeinflussen. Er
brachte ihren Glauben zum Glühen. Möglicherweise stiftete er sie auch an,
intoleranter zu den Juden und Protestanten ihres Landes zu sein. 1722 ermahnte
sie der Kaiser, die Rechte der Andersgläubigen nicht länger zu verletzen.
Nach dem Vorbild ihrer böhmischen Heimat legte Sibylla mit vielen kleinen Kapellen ein vom Glauben „besetztes“ Herrschaftsgebiet an. Verantwortlich für alle diese Bauten zeichnete Michael Ludwig Rohrer aus Böhmen. Sie verwandelten Baden-Baden in eine heilige katholische Landschaft. Vielleicht aus Heimweh nahm sie diese Tradition auf und zog sich immer häufiger als Büßerin mit Geißelwerkzeugen in die Eremitage der Favorite vom Regierungsgeschäft zurück. Damit pflanzte sie Versatzstücke ihrer Heimat in die badische Erde und verzichtete auf den moderneren französischen und italienischen Stil.
Weil Sibylla die Teilnahme an einer Reliquienprozession zu ihrem 45.
Geburtstag am 21. Januar 1720 zwingend forderte und das Fortbleiben unter harte
Strafe stellte, verscherzte sie sich die Sympathie vieler Untertanen. Bis dahin
hatte man sie als maßvolle Regentin geschätzt. Dass sie ihrem Sohn 1727 das
Land schuldenfrei überließ und die Menschen in Baden nach ihrem Tod 1733 besser
denn je dastanden, wurde aufgrund ihrer religiösen Eskapaden vergessen. Die
hingegen hallten jahrhundertelang nach, und feiner Spott überzieht die Berichte
von der reumütigen Sünderin bis heute.
In der freskierten Decke der Rastatter Schlosskirche ließ die Markgräfin sich ein Denkmal schaffen. Auch diese Darstellung stammt von einem Künstler aus Böhmen. Johann Hiebel erzählt die Legende der Auffindung und Erhöhung des heiligen Kreuzes. Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, verehrt das eben auf dem Hügel Golgatha ausgegrabene Kreuz. Daneben ist dargestellt, wie die Kaiserin den heidnischen Tempel einreißen lässt. Links steht schon die von ihr selbst errichtete, überkuppelte Kirche. Das Besondere: Ihre Gesichtszüge sind die der Markgräfin. Sie lässt sich in der Rolle der Kaisermutter, Kreuzfinderin, Vertreiberin der Heiden und Bauherrin bedeutender Kirchen feiern. Zwar konnte sie sich nicht wie ihr Mann als Herkules oder Apoll darstellen, mit der heiligen Helena aber übertrumpft sie ihn noch und fand ein machtvolles Bild für ihre glaubensgeleitete Herrschaft.
Christiane Schillig
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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