Interieur Material

Deckengestaltung von der Gotik bis zum Hochbarock

Hohe Kunst an der Decke

Als Raumabschluss gotischer Innenräume kennen wir überwiegend steinerne Rippengewölbe. Verzierte Holzdecken sind selten, waren ursprünglich aber zahlreicher vorhanden. Sie fielen jedoch häufig Brandkatastrophen oder modischen Veränderungen späterer Zeiten zum Opfer.

Details der Decken des Sommerrefektoriums (links) und des Winterrefektorium im Kanonissenstift Möllenbeck  
Möllenbeck, Kanonissenstift © Gottfried Kiesow
Details der Decken des Sommerrefektoriums (links) und des Winterrefektorium im Kanonissenstift Möllenbeck

Im Sommerrefektorium des ehemaligen Kanonissenstifts von Möllenbeck (Stadt Rinteln/Weser) ist die originale spätgotische Holzdecke aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts erhalten. Die an den freitragenden Deckenbalken befestigten schmalen Felder begrenzen Holzprofile. Ihre halbrunden Endungen schmückt zartes Maßwerk, die Felder Blattranken im Wechsel mit Halbkreisen.


Wenige Jahre später wurde das Winterrefektorium in der Nordostecke der Klausur mit einer Stuckdecke ausgestattet. Ganz in der Tradition der Gotik bestimmen noch die Deckenbalken die Gliederung in längsrechteckige Felder. Die Balken werden von zartem, flach aufgetragenem Stuck mit Ranken- und Kandelabermotiven bedeckt. In den Deckenfeldern liegen kräftiger stuckierte Rosetten, die an gotische Schlusssteine erinnern.

In der Renaissance sind Stuckdecken eher die Ausnahme, zumeist findet man geschnitzte Holzdecken. Ein besonders prachtvolles Exemplar überdeckt den Audienzsaal in Schloss Jever (s. Kopfgrafik links), geschaffen 1560-64 von der Werkstatt des Antwerpener Meisters Cornelis Floris im Auftrag der Regentin Maria von Jever. Nach dem Vorbild antiker Kassettendecken, wie sie zum Beispiel beim Pantheon in Rom vorkommen, ist die Decke durch ein Gerüst von waagerechten und senkrechten Balken gleichmäßig in quadratische Felder geteilt. Die Balken aus Eichenholz und die weit eingetieften Felder sind reich mit Friesen und Hängezapfen ausgeschmückt. Die völlig flache Decke ruht an den Seiten auf Wandkonsolen.

Der Rittersaal des Schlosses Heiligenberg mit seiner reich geschmückten Lindenholz-Decke  
Heiligenberg, Schloss © Kurt Gramer
Der Rittersaal des Schlosses Heiligenberg mit seiner reich geschmückten Lindenholz-Decke

Bei der 1575-87 aus Lindenholz geschnitzten Decke im Rittersaal des Schlosses Heiligenberg (Bodenseekreis) sind die Wandkonsolen so stark ausgebildet, dass fast die Funktion einer Hohlkehle erreicht wird. An die Stelle einer gleichmäßigen Aufteilung in quadratische Kassetten sind große kreisförmige und kleinere kreuzförmige Mittelfelder umgeben von rechteckigen Randfeldern getreten. Die Rahmen sind mit dem für die Renaissance typischen Beschlagwerk belegt, die Felder schmücken figürliche und ornamentale Motive mit mehr als 1.500 Köpfen, Masken und Grotesken. Während die Decke in Jever in ihrer klassischen, in sich ruhenden Haltung ein charakteristisches Zeugnis für die Kunst der Renaissance nach italienischen Vorbildern darstellt, leitet die von Bewegung geprägte Decke von Heiligenberg bereits zum Manierismus über, jener kurzen Stilphase zwischen Renaissance und Barock.

Der Dreißigjährige Krieg mit seinen schrecklichen Verwüstungen war für die deutsche Kunst ein starker Einschnitt. Nach dem Frieden von 1648 dauerte es teilweise Jahrzehnte, bis in den oft stark entvölkerten Fürstentümern wieder Bauwerke entstanden, und mehr als ein halbes Jahrhundert, um erneut einen eigenen Stamm von Bauleuten und Kunsthandwerkern heranzubilden. In dieses Vakuum stießen italienische Baumeister und Stukkateure. Bevorzugte man in der Renaissance geschnitzte Holzdecken, so werden seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts überwiegend Stuckdecken verwendet. Sie liegen allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen auf Steingewölben, meist auf Holzschalungen, die an den Deckenbalken oder am Dachstuhl angebracht sind.

Detail der Stuckdecke in einem der Prunkgemächer des Herzogschlosses Celle  
Celle, Herzogschloss © Gottfried Kiesow
Detail der Stuckdecke in einem der Prunkgemächer des Herzogschlosses Celle

Georg Wilhelm (1665-1705), letzter in Celle residierender Herzog von Lüneburg, ließ sein Schloss barock umgestalten und in den Prunkgemächern des Nordflügels 1672-76 vom italienischen Stukkateur Giovanni Battista Tornielli die prachtvollen Stuckdecken schaffen. An die Kassettengliederung der Renaissance erinnert nun kaum noch etwas. Um große, mittels kräftiger Laubwülste und zarter Eierstäbe abgegrenzte Mittelfelder liegen breite Randfelder mit schwerem Stuck. Bevorzugte Formen im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts sind die fleischigen, spiralförmig gedrehten Akanthusranken, die fast vollplastischen Putten, die Palmettenfriese sowie jene Mischwesen aus menschlichem Rumpf und pflanzlichen Beinen, die ikonographisch auf die Metamorphosen des Ovid zurückgehen und an Berninis berühmte Gruppe "Apoll und Daphne", entstanden um 1623, erinnern.

Wie groß der Ruhm italienischer Stukkateure in jener Zeit war, erkennt man daran, dass sich der Niederländer Jan van Paeren, der 1686 die Stuckdecke in der Schlosskirche von Greifenstein (Westerwald, s. Kopfgrafik rechts) schuf, als Italiener ausgibt. Hier hängt der Stuck an der Holzkonstruktion des Dachstuhls, die Schrägen der Sparren ergeben eine Voute, jene große Hohlkehle, die zusammen mit der mittleren Flachdecke eine sogenannte Spiegeldecke ergibt. Wie schon in Celle ist der Stuck sehr schwer und kräftig, sind die Figuren fast vollplastisch. Das die Wand abschließende Gesims ist ein kräftiger Wulst aus Früchten, sein ockerfarbener Anstrich soll ebenso wie beim Rahmen des Mittelfeldes Gold imitieren. Vorherrschende Schmuckformen sind auch hier spiralförmige Akanthusranken, Voluten und Putten, die durch Flügel zu Engeln umgedeutet werden.

Barocke Pracht: Stuck und Gemälde im Gewölbe der Herrschaftskirche von Schloß Ricklingen  
Ricklingen, Schloss © Gottfried Kiesow
Barocke Pracht: Stuck und Gemälde im Gewölbe der Herrschaftskirche von Schloß Ricklingen

Zum Ende des 17. Jahrhunderts werden an den Stuckdecken Muscheln beliebt, wie man am Gewölbe der Herrschaftskirche von Schloß Ricklingen (bei Hannover) beobachten kann. Auch hier waren zwischen 1692 und 1694 italienische Handwerker tätig. Die für das späte 17. Jahrhundert typischen dicken Laubwülste zur Begrenzung der Mittelfelder und die spiralförmigen Akanthusranken leben weiter, dazu kommen Girlanden und C-Schwünge bei der Kartusche, die von zwei Engeln gehalten wird. Die Deckenfelder füllen Gemälde mit Szenen aus dem Neuen Testament. Die gerahmten Deckenfelder waren im Barock grundsätzlich für Gemälde gedacht, die jedoch nicht immer ausgeführt oder später übermalt und zerstört wurden. In Kirchen bleibt es natürlich bei der christlichen Ikonographie, in Schlössern bemüht man die griechische oder römische Geschichte und Mythologie oder stellt die Bauherren selbst dar.

In den rundbogigen Wandfeldern im "Steinernen Saal" des Residenzschlosses von Bad Arolsen ließ Fürst Friedrich Anton Ulrich von Waldeck sich, seine Gemahlin und seine Eltern darstellen. Im prachtvollen Stuck des Italieners Andreas Gallasini von 1715-19 erscheint in den Supraporten, die von Blumengirlanden gerahmt werden, Gitterwerk als neues Motiv. Spiegel über den Kaminen an den Schmalseiten des Raumes steigern die Raumwirkung. In den Wandfeldern zwischen den Gemälden findet sich ein weiteres neues Motiv: Das aus ineinander verschachtelten Bändern bestehende Bandelwerk, das von nun an bis etwa 1740 die barocke Ornamentik beherrscht.

Der Steinerne Saal im Residenzschloss von Bad Arolsen. Daneben eines der mit Bandelwerk geschmückten Wandfelder 
Bad Arolsen, Residenzschloss © Gottfried Kiesow
Der Steinerne Saal im Residenzschloss von Bad Arolsen. Daneben eines der mit Bandelwerk geschmückten Wandfelder

Die hier nur verkürzt und deshalb unvollständig geschilderte Entwicklung der Ornamentformen in den Holzdecken der Renaissance und den Stuckdecken von Früh- und Hochbarock sollen dennoch Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, einen ersten Anhaltspunkt für eigene Datierungsversuche geben. Stoßen Sie auf Holzdecken in gleichmäßiger Kassettierung mit den klassischen Eierstäben, Perlschnüren und Klötzchenfriesen, sind Sie einer Decke aus dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts begegnet. Hat die Holzdecke große Mittelfelder und kleinere Randfelder, treten Beschlagwerk, Grotesken und Hängezapfen auf, handelt es sich um ein Werk des Manierismus aus dem Zeitraum zwischen 1580 und 1618. Stuckdecken werden in Deutschland erst aus dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts zu finden sein, erkennbar an den dicken Laub- und Früchtewülsten, den spiralförmigen Akanthusranken und den nahezu vollplastischen Putten beziehungsweise Engeln. Dazu kommen gegen Ende des 17. Jahrhunderts Muscheln und Kartuschen mit C-Schwung. Vom ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts an treten Gitter- und Bandelwerk auf, bis die Rocaille ab ungefähr 1740 alle Dekorationen zu beherrschen beginnt.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow

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