Interviews und Statements

Interview mit Dr. Stefan Rhein

Welterbe Luthergedenkstätten

Interview mit Dr. Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten, über die Lutherdekade 2008-2017

MO: Sie sind Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten, die bereits 1997 in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurden. Welche Wirkungsorte des Reformators gehören zu dem Verbund, und wie werden sie heute genutzt?


Dr. Stefan Rhein: In der Obhut der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt befinden sich derzeit vier Gebäude, die maßgeblich mit der Person Luthers und mit der Reformationsgeschichte verbunden sind: Luthers Geburtshaus und Luthers Sterbehaus in Eisleben sowie das Lutherhaus Wittenberg, das ehemalige Wohnhaus das Reformators. Es war über 35 Jahre lang sein Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Das vierte Gebäude ist das ehemalige Wohnhaus von Luthers engstem Weggefährten Philipp Melanchthon. Alle vier Häuser sind heute Museen. Das Lutherhaus Wittenberg, heute das größte reformationsgeschichtliche Museum der Welt, ist seit 1883 für Besucher geöffnet. In Luthers Geburtshaus entstand bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein öffentliches Museum für Lutherpilger. Damit ist es eine der ältesten Einrichtungen dieser Art im deutschsprachigen Raum.

MO: Welche Aufgaben nimmt die Stiftung Luthergedenkstätten wahr?

Das Geburtshaus von Martin Luther in Eisleben 
Eisleben, Lutherhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das Geburtshaus von Martin Luther in Eisleben

Dr. Stefan Rhein: Eine wichtige Aufgabe ist zunächst die Erhaltung und Pflege der vier Gebäude. Uns geht es dabei um die denkmalgerechte Instandhaltung des Weltkulturerbes, zugleich aber auch - bei den notwendigen Erweiterungsbauten - um das sensible Fortschreiben der jeweiligen Geschichte des Gebäudeensembles, also auch um einen Beitrag zur Baukultur. Darüber hinaus besitzt die Stiftung in ihrer Vielfalt einzigartige Sammlungen von Handschriften, Büchern, Grafiken, Münzen, Medaillen und Gemälden zu Luther, der Reformationsgeschichte und ihrer Rezeption. Diese werden von der Stiftung gepflegt, ausgebaut und für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zum Profil der Stiftung gehört selbstverständlich auch die wissenschaftliche Arbeit mit zahlreichen Forschungsprojekten und Veröffentlichungen.

Eine weitere zentrale Aufgabe ist die Vermittlung der Reformationsgeschichte. Das Angebot reicht von Führungen über Fachvorträge bis hin zu populärwissenschaftlichen Veranstaltungen. In allen vier Häusern bieten wir zudem ein umfassendes museumspädagogisches Angebot. Kinder und Jugendliche erhalten die Gelegenheit, sich auf spielerische Weise mit der Reformation und ihren Themen auseinanderzusetzen sowie deren Protagonisten kennenzulernen. Diese Aktivitäten zur kulturellen Bildung sind uns besonders wichtig, denn sowohl die Reformation als auch das UNESCO-Weltkulturerbe beinhalten als essentielle Aufforderungen den Auftrag zur allgemeinen Teilhabe an Bildung.

MO: 2017 jährt sich Martin Luthers Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg zum 500. Mal. Das Reformationsjubiläum ist in eine Lutherdekade eingebunden, die bereits 2008 begonnen hat. Geht es bei der Lutherdekade hauptsächlich darum, die Region bei Kulturtouristen bekannt zu machen? Gibt es auch andere Handlungsfelder?

Das Lutherhaus in Wittenberg 
Wittenberg, Lutherhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das Lutherhaus in Wittenberg

Dr. Stefan Rhein: Die Vorbereitungen für das große Reformationsjubiläum 2017 haben in der Tat bereits begonnen. Unter dem Dach der Stiftung Luthergedenkstätten wurde eine Geschäftsstelle eingerichtet, die die verschiedenen Aktivitäten koordiniert und bündelt. Natürlich sind beim Reformationsjubiläum auch Erwartungen an den Tourismus geknüpft, zumal weltweit rund 80 Millionen Lutheraner und über 400 Millionen Protestanten Wittenberg als zentralen Ort ihrer geistig-geistlichen Identität begreifen und viele bei ihren Reisen auf Luthers Spuren in eindrucksvoller Weise von den Ursprungsorten ihres Glaubens berührt werden.

In den letzten Jahren konnten viele wichtige Baumaßnahmen abgeschlossen werden, doch ist innerhalb der Lutherdekade noch manches zu tun: So warten die Wittenberger Schlosskirche oder Luthers Elternhaus in Mansfeld noch auf ihre umfassende Sanierung. Zu den touristischen Angeboten - unter ihnen zum Beispiel die Entwicklung des spirituellen Tourismus im evangelischen Kontext - und den notwendigen Baumaßnahmen kommen als weitere Handlungsfelder Forschungsvorhaben - so sind viele Archivalien und Briefwechsel der Reformationszeit noch unerschlossen und unediert - und Bildungsprojekte hinzu.

MO: In einer ZDF-Umfrage nach den berühmtesten Deutschen wurde Martin Luther auf Platz zwei gewählt. Welche Aktualität besitzt der Reformator für unsere heutige Gesellschaft?

Dr. Stefan Rhein: Lassen Sie mich mit einer Geschichte antworten: Vor einigen Wochen wurde ich gefragt, was man über Luther bei einer Jugendweihe-Feier erzählen könne. Mir war klar, dass der christliche Blick auf Luther etwa als "Vater im Glauben", um einen katholischen Theologen zu zitieren, hier wenig ausrichtet, aber auch die geläufige Perspektive auf Luther als zentrale Etappe deutscher Sprache und Literatur wohl wenig Aufmerksamkeit findet. Ich schlug dem Festredner deshalb die Wormser Szene vor: Luther auf dem Reichstag 1521, allein vor den Großen aus Reich und Kirche, ein beeindruckendes Beispiel von Zivilcourage, von Mut, des freien Worts, des Rückgrats - ein Beispiel auch für Schüler im Ringen um Selbstbewusstsein und Verantwortung.

MO: Auf welche Veranstaltungshöhepunkte im Rahmen der Lutherdekade dürfen sich unsere Leser in diesem Jahr freuen?

Das Melanchthonhaus in Wittenberg 
Wittenberg, Melanchthonhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das Melanchthonhaus in Wittenberg

Dr. Stefan Rhein: 2010 widmet sich die Lutherdekade Philipp Melanchthon, der vor 450 Jahren starb. Melanchthon ist nicht nur der Ökumeniker unter den Reformatoren, sondern auch der "Praeceptor Germaniae", der Lehrer Deutschlands. Ein erster Höhepunkt war die lange Melanchthon-Nacht mit einem Fernsehgottesdienst und einer Festrede der Bundeskanzlerin. Gerade wurde die Sonderausstellung "Neue Schätze für Melanchthon" mit noch niemals gezeigten Exponaten eröffnet, die bis Ende August 2010 in das Wittenberger Melanchthonhaus einlädt.

Eine oft unbekannte Seite Melanchthons ist sein literarisches Schaffen. Die Evangelische Akademie Wittenberg veranstaltet vom 26. bis 29. August 2010 die 1. Melanchthon-Literaturtage, die unter dem Titel "In den lieblichen Gärten der Alten" den literarischen Impuls Melanchthons in die Gegenwart weiterführen und Schriftsteller wie Durs Grünbein oder Rolf Hochhuth zu Lesungen und Diskussionen gewonnen haben.

Alle Veranstaltungen, nicht nur in Wittenberg und in Melanchthons Geburtsstadt Bretten, sondern in ganz Deutschland, findet man unter www.luther2017.de und www.melanchthon2010.de

MO: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Julia Ricker

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