Juni 2010

Taufsteine im niederdeutschen Raum

Löwen, Taustäbe und Palmetten

Nach dem Beispiel der Taufe Christi durch Johannes im Jordan pflegte man in der frühen Christenheit die Erwachsenentaufe vorzunehmen. Das geschah in Baptisterien, wie sie mit ihren Taufbecken aus dem 4. Jahrhundert im römischen San Giovanni in Fonte und in St. Jean, Poitiers, noch erhalten sind. Vom frühen Mittelalter an wurden Kinder bereits kurz nach der Geburt getauft, und zwar tauchte man sie ganz ins Taufbecken. Heute begnügt man sich damit, ihnen einige Tropfen lauwarmen Wassers auf die Stirn zu träufeln, ebenso wie denen, die erst als Erwachsene in die Kirche eintreten. Die Baptisten haben bis heute ausschließlich die Erwachsenentaufe beibehalten.

© G. Kiesow 
© G. Kiesow
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So wie die Taufkapellen der Spätantike meist im Westen der Kirche angeordnet waren, standen auch die romanischen und gotischen Taufsteine im Westeingang der Kirche. Nach der Vorstellung des Mittelalters kam das Böse aus dem Westen, das Allerheiligste dagegen befand sich im östlich gelegenen Chor. Nur Getaufte sollten sich dem Chor der Kirche nähern dürfen.

Bei den Grabungen in der Kirche von Marienhafe (Ostfriesland) konnten Studenten unter meiner Leitung einen in der Mittelachse des Westjochs liegenden Taufbrunnen freilegen: Kreisförmig hatte man hier keilartig ausgestochene Torfsoden mit Mörtel vermauert. Der Brunnen diente bei Sturmfluten sicher auch zur Trinkwasserversorgung der in die Kirche geflüchteten Bewohner.

Die ältesten Taufsteine im niederdeutschen Küstenraum bestanden aus Granit, der in Gestalt von Findlingen mit den Gletschern der Eiszeit in die hochgelegenen Geestgebiete gekommen war. Meist sind es schlichte Becken in Form eines Kegelstumpfes ohne Verzierungen. Diese konnte man nur mühsam in das harte Gestein einmeißeln. Ein derartiges Exemplar steht in der lutherischen Dorfkirche von Buttforde. In der Kirche von Dunum - beide in Ostfriesland - ist der Granittaufstein dagegen mit vier archaisch wirkenden Relieffiguren ausgestaltet. Ihre Unterkörper sind ähnlich den Runddiensten geformt, die in schwächerer Form zwischen den Figuren erscheinen. Ein etwa gleichzeitig um 1200 entstandenes Werk befindet sich in der Kirche des unweit gelegenen Funnix.

Über eigene Natursteinvorkommen verfügen die niederdeutschen Küstengebiete nicht. Der nördlichste Steinbruch befindet sich in Bad Bentheim, das westlich von Osnabrück auf einem Sandsteinfelsen aus der Ebene ragt. Von hier aus wurden Grabplatten und vor allem Taufsteine als Fertigprodukte exportiert, nicht nur in die nähere Umgebung, wie nach Gehrde im Landkreis Osnabrück, sondern auch in das gesamte niedersächsische Küstengebiet. Die Taufsteine des sogenannten Bentheimer Typs sind auf den ersten Blick an ihrer auch in Gehrde vorkommenden Grundform zu erkennen: Das zylindrische Becken wird von vier Löwen um einen runden Fuß getragen.

© G. Kiesow 
© G. Kiesow
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Abgesehen von den eher an Hofhunde als an Löwen erinnernden Trägerfiguren finden sich die einzigen Ornamente an der Wandung des Beckens. Taustäbe und stilisierte Rankenfriese sind die ersten wohl noch im 12. Jahrhundert entstandenen Verzierungen. Im Verlauf dieses Jahrhunderts treten sie immer häufiger auf. So finden sich am Taufstein von Marienhafe zusätzlich ein zweiter unterer Taustab und ein zweiter unterer stilisierter Palmetten- und Bogenfries. Der Stein stammt vom romanischen Vorgängerbau aus der Mitte des 12. Jahrhunderts und wurde in der heutigen gotischen Kirche in unmittelbarer Nähe oder oberhalb des Taufbrunnens aufgestellt.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wurden die Ornamentfriese an der Beckenwandung der Bentheimer Taufsteine naturalistischer und plastischer, wie es deutlich am Beispiel aus der lutherischen Kirche in Remels (Uplengen) zu erkennen ist. Er dürfte zu den letzten dieses Typs gehören, der nach der Mitte des 13. Jahrhunderts nicht mehr auftaucht.

© G. Kiesow 
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Aus der Zeit danach habe ich westlich der Elbe bisher keine Taufsteine aus Bentheimer Sandstein finden können. An ihre Stelle treten in Ostfriesland die Arbeiten aus einem sehr weichen Sandstein, der in den Baumbergen bei Münster gewonnen wurde. Dieses Material ermöglichte formenreiche Arbeiten wie Taufsteine und zum Beispiel auch Sakramentshäuser, die im Kircheninneren erhalten blieben. Wenn sie draußen stehen, verwittern die Figuren und Ornamente jedoch schnell.

In Ostfriesland sind mir bisher vier vollständig erhaltene und ein schwer beschädigter Taufstein dieses Typs bekannt. Auch bei ihnen hat sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein Stilwandel von frühgotischen wie in Nesse (Norderland) zu dem in Middels bei Aurich vollzogen. Beide gleichen sich im Gesamtaufbau des Kegelstumpfes durch den oberen plastischen Rankenfries und die darunter liegenden Szenen aus dem Neuen Testament. Während in Nesse die Gestalten einer Szene wie die der Anbetung der Könige noch sehr statuarisch gestaltet und auf drei Bogenfelder verteilt sind, fällt diese Trennung in Middels weg. Vor allem aber sind die Darstellungen hier von einer für das gesamte 13. Jahrhundert ungewöhnlich dramatischen Bewegung erfüllt. Ähnlich kennen wir sie nur am Westlettner des Naumburger Doms. Dies wird besonders bei der Szene der Öffnung der Hölle durch Christus spürbar. Mit welch schwungvoller Bewegung hier der Erlöser die Lanze in den Kopf des Teufels stößt!

© G. Kiesow 
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Wenn der Sandstein aus der Nähe von Münster kommt, liegt es nahe, auch dort nach dem genialen Künstler zu suchen. Ich konnte jedoch in der Region nichts Vergleichbares finden. Es besteht aber eine stilistische Verwandtschaft zur Verkündigungsgruppe im Chorumgang der Ludgerikirche in Norden bei der Art, wie der Engel in schreitender Haltung von links auf Maria zugeht und diese ob des schweren Auftrags erschrocken und abwehrend die rechte Hand hebt. Die Verkündigungsgruppe stammt aus der bis 1756 restlos abgebrochenen zweiten Pfarrkirche St. Andreas. Sie fand zusammen mit anderen für zwei Jahrhunderte im Südgiebel von St. Ludgeri Aufstellung und ist deshalb entsprechend verwittert.

© G. Kiesow 
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Diese anderen Figuren und die 1829 beim Abriss der alten Kirche von Marienhafe geborgenen Statuen - darunter eine ähnliche der Maria - sind das Werk von Schülern des genialen Meisters der Verkündigungsgruppe in Norden. Er könnte auch den Taufstein in Middels geschaffen haben.

Zur Gruppe der aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammenden Taufsteine aus Baumberger Sandstein gehört eventuell auch der in der Dorfkirche des sehr viel weiter östlich gelegenen Assel im Kreis Stade. Leider sind hier alle plastischen Reliefs so stark abgewetzt, dass sich eine direkte Verwandtschaft zur ostfriesischen Gruppe zwar annehmen, aber schwer nachweisen lässt.

In Mecklenburg-Vorpommern sind kelchförmige Taufsteine mit Bogenfriesen an der Kuppa - dem eigentlichen Taufbecken - sehr verbreitet. Die Beispiele des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts sind aus Granit und befinden sich unter anderem in Hohenkirchen bei Wismar, in Steffenshagen bei Bad Doberan und in Teterow. Die jüngeren aus der Mitte oder der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden aus Kalkstein hergestellt, der wohl mit Schiffen von der Insel Gotland nach Wismar - der Taufstein aus St. Georgen steht jetzt im Münster von Bad Doberan -, nach Grevesmühlen, Parkentin oder Rerik transportiert wurden. Von der Mitte des 14. Jahrhunderts an verwendete man im niederdeutschen Küstengebiet für die Taufbecken immer häufiger Bronze.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow

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