Schlösser und Burgen Juni 2010

Schloss Friedelhausen braucht Hilfe

Denkmal in Not

Bei Sonne scheint das graue Schloss mit seinen Verzierungen und dem blau-gelben Turmfähnchen übermütig mit dem Licht zu kokettieren. Doch wenn sie sich hinter den Wolken versteckt, wirkt der Bau plötzlich düster, als ziehe er sich schmollend zurück.

"Dann hat er etwas von ­einem Bahnhofsgebäude - fehlt eigentlich nur noch die Uhr über dem Eingang", schmunzelt der Hausherr Christoph Graf von Schwerin über das eigenwillige Schloss seiner Jugend. Von einem Gerüst gehalten, stemmt der Bau seinen dunkelgrauen Basaltstein fest in die Uferböschung der Lahn. Der 64-jährige Förster versucht mit viel Enthusiasmus, sein desolates Baudenkmal, das über die Grenzen des hessischen Landkreises ­Gießen hinaus kaum bekannt ist, zu restaurieren.

Englische Neugotik in Hessen: Die Hauptfassade von Schloss Friedelhausen bei Lollar 
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Englische Neugotik in Hessen: Die Hauptfassade von Schloss Friedelhausen bei Lollar

Diesen Elan braucht er auch, denn Schloss Friedelhausen hat gebündelte Hilfe dringend nötig: Das Unheil kam für den Bau aus dem 19. Jahrhundert von oben, seitdem die schadhafte Dachfläche über Jahrzehnte unbemerkt Feuchtigkeit eindringen ließ, die sich zum ersten Obergeschoss ausgebreitet hat. Fäulnis und Hausschwamm setzen dem Denkmal heimtückisch zu, was seinem Eigentümer große Sorgen bereitet.

Es wäre schade um das trutzig-verspielte Schloss, das für die hessischen Lande ein ungewöhnliches Bauwerk darstellt, denn sein Architekturstil ist eine Reminiszenz des historistischen 19. Jahrhunderts an die englische Tudorgotik, wie der Übergang von der Gotik zur Renaissance in Großbritannien heißt.

Die Gartenseite des Schlosses. Nach der Restaurierung von Dach und Dachstuhl müssen auch die zahlreichen originalen Fenster aufgearbeitet werden 
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Gartenseite des Schlosses. Nach der Restaurierung von Dach und Dachstuhl müssen auch die zahlreichen originalen Fenster aufgearbeitet werden

Wie es für Fassaden im Tudorstil typisch ist, flankieren auch hier schlanke, achteckige Türme das breitgelagerte Gebäude. Zwillingsfenster, mit Maßwerk verziert und von rechteckigen und spitzbogigen Gesimsen überdacht, gliedern die unverputzten Fassaden. Ein Dreipassgesims sowie Zinnen verzieren die Dachkanten. Für die Inszenierung von William Shakespeares berühmter Balkonszene gäbe es in Friedelhausen reiche Auswahl: Ein Altan lockert die zweigeschossige, von einem Treppengiebel betonte Hauptfassade auf. Wie eine Tordurchfahrt mit großer Terrasse ist der Austritt vor das Eingangsportal gesetzt. Die Gartenfassade wird durch einen dreiseitigen Mittelrisalit mit einem schmaleren Altan hervorgehoben, der wiederum mit einem weiteren Erker an der Südseite korrespondiert. Kaminarchitekturen auf dem flachen Walmdach geben dem englischen Erscheinungsbild den letzten Schliff.

Zur Gartenseite an der Lahn fällt das Gelände steil ab, so dass man auch vom Untergeschoss des Schlosses, in dem sich Küche, Vorratskeller und einige Dienstbotenwohnräume befanden, einen weiten Blick über den englischen Landschaftsgarten hatte, der das Anwesen im 19. Jahrhundert umgab. In den 1920er Jahren formte der Dahlemer Gartenbauinspektor Willy Lange (1864-1941) den Bereich am Schloss wieder in einen formal strengeren Naturgarten mit Terrassen, Treppen und Einfriedungen um. Erbaut hatte Schloss Friedelhausen 1852-56 Freiherr Adalbert von Nordeck zur Rabenau, dessen alteingesessene Familie in der Gegend Besitzungen hatte. Der Freiherr war ein angesehener Diplomat und wurde als liberal gesinnter Abgeordneter nach Frankfurt am Main entsandt. In der Paulskirche lernte er die Engländerin Clara Philipps kennen und lieben, die dort als Korrespondentin für die "London Times" schrieb. Um seiner jungen Frau, die eine wohlhabende Vollwaise war, das Leben in der neuen Heimat leichter zu machen, holte er für sie ein Stück England nach Hessen.

Blick in die neugotische Halle des Treppenhauses 
© R.oland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Blick in die neugotische Halle des Treppenhauses

Mit dem Bau wurde der englische Architekt John Dobson (1787-1865) beauftragt, der in Nordengland, besonders in Newcastle, gerade für seinen neogotischen Tudorstil berühmt war. Auch in Hessen kam er seiner Aufgabe gewohnt gekonnt nach und schuf dem Paar ein Schloss in mittelalterlichem Ambiente mit gleichzeitig modernem sanitären Komfort. Für das Bauwerk verwendete er den örtlichen Londorfer Lungstein, einen recht witterungsbeständigen und gut zu bearbeitenden grauen Basalt, der von 1952 bis 1998 ebenfalls für die Restaurierung des Kölner Dom eingesetzt wurde.

Dobsons Talent bezog sich nicht nur auf den Baukörper, sondern gleichermaßen auf die Gestaltung der Innenräume. Vor allem seine Treppenhäuser wurden gerühmt. Auch Schloss Friedelhausen trägt seine Handschrift: Ein großzügiger, dreiläufiger Aufgang mit einem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer führt in eine Halle. Sie wird wie ein Thronsaal von Bündelpfeilern mit korinthischen Kapitellen getragen. Die große Wandfläche des Treppenhauses schmückt eine illusionistisch gemalte Loggia, durch die man auf eine Blumenwiese blickt. Ein Sternenhimmel überspannt den Aufgang, dessen Szenerie ein gläsernes Oberlicht in ein natürliches Licht- und Schattenspiel taucht. Urheber dieses illusionistischen Schmucks war kein Geringerer als der angesehene Dekormaler Reinhard Hochapfel (1823-1903) aus Kassel, der unter anderem auch auf Schloss Wilhelmshöhe tätig war.

Nur ein Jahrzehnt sollte das Paar auf Schloss Friedelhausen verleben, ein Sohn und zwei Töchter wurden ihnen geschenkt, dann starb Clara Philipps 1867.

Den Sonnenplatz auf dem Altan genoss auch der Dichter Rainer Maria Rilke. 
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Den Sonnenplatz auf dem Altan genoss auch der Dichter Rainer Maria Rilke.

Damit aber war die Geschichte des Schlosses noch nicht zu Ende, viele Menschen gingen dort ein und aus. Der berühmteste Gast war ohne Zweifel Rainer Maria Rilke (1875-1926). 1905 hatte die verwitwete Luise von Schwerin, eine Tochter Claras und Adalberts, den Dichter während eines Kuraufenthalts in Dresden kennengelernt. Die kunst- und literaturbewusste Gräfin lud den armen Poeten nach Schloss Friedelhausen ein. Sie protegierte ihn, bestärkte ihn in seiner Dichtkunst und vermittelte ihn an Karl von der Heydt, Bankier und Sammler, der Rilke als erster Mäzen von dieser Zeit an finanzierte. Noch zweimal wurde der Literat mit seiner Frau Clara und der Tochter Ruth zu erholsamen und kreativen Wochen an die Lahn eingeladen - bereichert durch anregende Gespräche mit vielen Freunden und Verwandten der Familie. Die Tochter kurierte dort auch eine Masernerkrankung aus, wie Anna Gräfin von Schwerin, seit vielen Jahren Lehrerin in einem benachbarten Ort, bei ihren Schlossführungen neben zahlreichen anderen Geschichten zu berichten weiß.

Obwohl das Ehepaar und seine Familie seit den 1970er Jahren nicht mehr selbst in dem Schloss leben, wird es bis heute genutzt. Der Ururenkel des Erbauers sieht es als seine Pflicht, das Anwesen für die Zukunft zu erhalten. Er weiß um den Reiz des Schlosses und das regionale Kulturgut - nicht nur wegen des besonderen Architekturstils, auch wegen seiner über 160 Jahre bewahrten Authentizität. Das Bauwerk wurde innen und außen kaum verändert. Das große Problem ist von jeher das flache Dach. Architekt Dobson hatte nämlich - um das gotische Erscheinungsbild nicht zu stören - auf Traufen am Zinnenrand verzichtet. Durch die mangelhafte Entwässerung drang über Jahrzehnte unbemerkt Feuchtigkeit in den Dachstuhl ein.

Zur Zeit können mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) und mit Mitteln des Landes Hessen die durch Fäulnis stark angegriffene Holzkonstruktion an den Tragwerken des ­Daches und des Dachstuhls instand gesetzt, die Anschlüsse der Ecktürme und die wackeligen Schornsteine gefestigt sowie eine vernünftige Entwässerung angebracht werden. Damit ist ein wichtiger Schritt für die Erhaltung des Denkmals getan. Doch bevor eine im Haus einmalige, von tiefen Rissen durchzogene Kassettendecke aus Stuck restauriert und die vielen originalen Holzfenster aufgearbeitet werden können, muss vordringlich der Altan am Eingangsportal gesichert werden, der wegzubrechen droht.

©  R. Rossner
© R. Rossner
Die sorgfältigen Steinmetzarbeiten stammen von örtlichen Handwerkern.
©  R. Rossner
© R. Rossner
Der Kasseler Dekormaler Reinhard Hochapfel (1823-1903) war auch in exotischen Pflanzen bewandert: So stellt er hier unter anderem eine Flamingoblume dar.
©  R. Rossner
© R. Rossner
Blick durch die neugotische Halle des Treppenhauses
©  R. Rossner
© R. Rossner
Blick in einen Raum der Erkertürme.
©  R. Rossner
© R. Rossner
Der Bauherr Adalbert Freiherr von Nordeck zur Rabenau (1817-92)
©  R. Rossner
© R. Rossner
Für die junge Engländerin Clara Philipps (1826-67) wurde Schloss Friedelhausen ab 1852 erbaut.
 
 
© R. Rossner
Die sorgfältigen Steinmetzarbeiten stammen von örtlichen Handwerkern.
1
© R. Rossner
Der Kasseler Dekormaler Reinhard Hochapfel (1823-1903) war auch in exotischen Pflanzen bewandert: So stellt er hier unter anderem eine Flamingoblume dar.
2
© R. Rossner
Blick durch die neugotische Halle des Treppenhauses
3
© R. Rossner
Blick in einen Raum der Erkertürme.
4
© R. Rossner
Der Bauherr Adalbert Freiherr von Nordeck zur Rabenau (1817-92)
5
© R. Rossner
Für die junge Engländerin Clara Philipps (1826-67) wurde Schloss Friedelhausen ab 1852 erbaut.
6

Aus den Einkünften seiner Holzwirtschaft versucht der Förster Chris­toph von Schwerin nach Kräften, die anstehenden Restaurierungsmaßnahmen zu finanzieren. Doch diese Geldmittel allein werden nicht ausreichen. Um das unbekannte, verwunschen daliegende "englische" Schmuckstück zu erhalten, würde die DSD gerne die dringend durchzuführenden Baumaßnahmen an dem Denkmal weiter unterstützen und freut sich, wenn Sie ihr durch Ihre Spende dabei ­helfen.

Christiane Rossner

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

  • Von Seekisten und Seeleuten 08.11.2012 Seekisten Was auf der hohen Kante lag

    Was auf der hohen Kante lag

    In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.

  • Otto Bartning und seine Kirchen 09.03.2016 Bartning Kirchen Spiritualität in Serie

    Spiritualität in Serie

    Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.

  • Mittelalterliche Wandmalereien in Behrenhoff 16.01.2018 Die Hölle Vorpommerns Die Hölle Vorpommerns

    Die Hölle Vorpommerns

    In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.

Service

Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


 
 
Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


1
Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland
2
Monumente Abo



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


3

Newsletter

Lassen Sie sich per E-Mail informieren,

wenn eine neue Ausgabe von Monumente

Online erscheint.

Spenden für Denkmale

Auch kleinste Beträge zählen!

 
 
 
 
7 Kommentare

Lesen Sie 7  Kommentare anderer Leser

  • Kommentar als unangemessen melden
    Janosch Hertstein schrieb am 21.03.2016 13:56 Uhr

    Ich wohne ganz in der Nähe dieses wunderschönen Bauwerkes und hoffe auch, dass es hier einmal Führungen geben wird.

    Ich fasziniere mich schon eine Weile für das Mittelalter und freue mich jedes Mal bei einem Spaziergang an den wundersamen Gebäuden in meiner Nähe.

    Ich wohne neben der Ruttershäuser Kirche, am Kirchberg, und auch diese ist ein wunderbarer Anblick aus fast vergessenen Zeiten.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Dieter Mohr schrieb am 21.03.2016 13:56 Uhr

    Ich hatte das Glück, vor wenigen Tagen mit einer Gruppe das Treppenhaus des Schlosses zu besichtigen. Ich werde das Bauwerk in Zukunft mit anderen Augen sehen. Ich möchte allen danken, die das möglich gemacht haben.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Hannes Jost schrieb am 21.03.2016 13:57 Uhr

    Ich stimme zu, dass Führungen im Schloss angeboten werden sollten!

    Auch diese Einnahmen würden der Restaurierung zugute kommen.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Dr. Sabine Kötter schrieb am 21.03.2016 13:58 Uhr

    Während meines Studiums in Marburg und Giessen bin ich oft am Schloss mit dem Zug vorbeigefahren und habe das eigenartige Gebäude um 1970 einmal besucht. Von der damaligen Hausherrin wurde ich sehr freundlich begrüsst, die mir auch das Treppenhaus zeigte. Über die Biografie von Rilke wurde ich darauf aufmerksam und habe mich gewundert, dass es so wenig bekannt war!

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Dr. Rainald Simon schrieb am 21.03.2016 13:58 Uhr

    Friedelhausen ist ein ganz besonderer Ort, immer wenn ich auf der Main-Weser Linie unterhalb des Schlosses die Lahn querend vorbeifahre, wünsche ich mir, dass dort Führungen stattfänden, vielleicht zum Tag des Denkmals?

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Diana Wetzestein schrieb am 21.03.2016 13:59 Uhr

    Hallo,

    ich bin auf der Suche nach einem Porträt des Dekorationsmalers Reinhard Hochapfel. Kann mir jemand einen Tipp geben?

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Anita Odor schrieb am 06.10.2020 10:13 Uhr

    Ich bin in Friedelhausen 1955 geboren und würde gerne etwas über die Kriegsjahre dieses Ortes wissen. Meine Oma und ihre Tochter ( meine Mutter ), waren dort lange Jahre. Meine Oma war dort bei der Gräfin angestellt und wohnte eine Zeit lang im Schloss, bis man später kleine Hütten in den Wald baute. Sie waren für die Arbeiter bestimmt und in einer davon wurde ich geboren. Ich war einmal dort und war begeistert wie schön es dort ist. Etwas stolz bin ich darüber an einem so aussergewöhnlichen Ort geboren zu sein.

    Auf diesen Kommentar antworten

Schreiben Sie einen Kommentar!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
 

© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn