Ikonographie April 2010

Der Bilderreichtum der Sakramentsmühlen

Gottvater zwischen Sonne, Mond und Engeln

Die Kulturlandschaft von Mecklenburg-Vorpommern ist besonders reich an mittelalterlichen Bauten und an Werken der bildenden Kunst: Der Reichtum im Zeitalter der Gotik durch den Handel und Getreideanbau, die anschließende Verarmung nach dem Niedergang der Hanse und die relativ geringen Schäden im Dreißigjährigen Krieg sowie im Zweiten Weltkrieg haben uns hier Kunstwerke von ungewöhnlicher Form und besonderem Bildinhalt überliefert.

Die Sakramentsmühle auf der Mitteltafel des Mühlenaltars im Doberaner Münster 
© ML Preiss
Die Sakramentsmühle auf der Mitteltafel des Mühlenaltars im Doberaner Münster

Dazu gehören die sogenannten Sakramentsmühlen auf den Mühlenaltären. Der Älteste erhaltene Altar dieser Art steht im südlichen Seitenschiff des Münsters in Bad Doberan, der Kirche des ehemaligen Zisterzienserklosters. Das mit Tafelgemälden ausgestattete Triptychon entstand um 1410-20, der Maler ist unbekannt. Im oberen Streifen des Mittelbildes sieht man in der Ecke links neben dem Regenbogen einen knienden Herrscher mit Krone und eine Frau, die mit der Hand nach rechts weist. Sie werden als Herzog Albrecht von Mecklenburg (gest. 1412) und seine Gemahlin gedeutet. In der rechten Bildecke erscheint die Mutter Gottes mit einer Sonne. Die vier Evangelisten, vertreten durch ihre Symbole Adler, Engel, Stier und Löwe, schütten Spruchbänder mit prophetischen Texten des Alten Testaments in den Trichter oberhalb der Mühlsteine. Das Mahlwerk der Mühle wird mittels einer großen Kurbel von den zwölf Aposteln angetrieben. Ein aus dem Mahlwerk kommendes Spruchband mit der Inschrift "... factum est in habitavit et vidimus gloriam" (Johannes 1, 14: "Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit") wird von den vier Kirchenvätern in einem Kelch aufgefangen. Zu beiden Seiten knien Mönche und Laien in Erwartung der Transsubstantiation, der Wandlung des Wortes zum Brot und Leib Christi.

Sakramentsmühle im Mittelteil des Hochaltars von St. Thomas in Tribsees 
© ML Preiss
Sakramentsmühle im Mittelteil des Hochaltars von St. Thomas in Tribsees

Im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts - also um 1425-50 - stellte ein unbekannter Bildschnitzer im Mittelschrein des Hochaltars der Thomaskirche in Tribsees ebenfalls die Sakramentsmühle dar, die hier jedoch mit dem Wasser der vier Paradiesflüsse Pison, Gihon, Euphrat und Tigris angetrieben wird, wobei je zwei der zwölf Apostel die Wasserzufuhr regeln. Ganz realistisch wirkt die Darstellung des hölzernen Zahnrades im unteren Bildteil. Davor erscheint der Christusknabe im Kelch, den die Kirchenväter Gregor und Hieronymus halten, flankiert von Ambrosius und Augustinus. Links unten, neben dem Mittelteil, reicht ein Mönch seinen Brüdern den Kelch, rechts ein Bischof weltlichen Würdenträgern die Oblate. In der Mitte über der Mühle ist zwischen Sonne, Mond und anbetenden Engeln der segnende Gottvater mit der Weltkugel zu sehen.

Die in der zeitlichen Reihenfolge dritte Darstellung einer Sakramentsmühle befindet sich auf dem Hochaltar der Kirche des Klosters zum Heiligen Kreuz in Rostock, hier nicht wie in Bad Doberan und Tribsees im Mittelteil des Altars, sondern auf der Außenseite des rechten Außenflügels. Sie wird in die Zeit um 1450 datiert. Das Mahlwerk wird hier wie in Bad Doberan mechanisch durch eine Kurbel angetrieben, die fünf der zwölf Apostel drehen. Wie in Tribsees halten Gregor und Hieronymus den Kelch mit dem Jesusknaben, begleitet von Ambrosius und Augustinus. Das hölzerne Räderwerk zur Kraftübertragung von der Kurbelwelle auf den Mühlstein ist funktionell ganz realistisch wiedergegeben.

Die Sakramentsmühle ziert den rechten Außenflügel des Hochaltars der Heilig-Kreuz-Kirche in Rostock. 
© Archiv Heilig-Kreuz-Kirche Rostock
Die Sakramentsmühle ziert den rechten Außenflügel des Hochaltars der Heilig-Kreuz-Kirche in Rostock.

Die jüngste in diesem Beitrag behandelte Darstellung einer mittelalterlichen Sakramentsmühle findet man auf einem Flügel des Altars der Dorfkirche von Retschow im Kreis Bad Doberan. Wegen seiner Darstellung der Natur wird er in das letzte Drittel des 15. Jahrhunderts datiert, sichtbar in dem Ersatz des bis dahin üblichen Goldhintergrunds durch eine Landschaft mit Bäumen und Büschen sowie einem blauen Himmel. Die Mühle soll unter einem Walmdach stehen, was perspektivisch hier nicht gelungen ist. Hier drehen sechs der zwölf Apostel die Kurbelwelle. Im übrigen gibt es eine Verwandtschaft zum Altar in Rostock in der realistischen Wiedergabe des Räderwerks.

Alle vier Altäre gehen auf die Zisterzienser zurück, denn Bad Doberan ist eine Abtei dieses Ordens, die die Patronatsrechte über die Kirche von Retschow besaß. Die Heilig-Kreuz-Kirche in Rostock, heute Universitätskirche, gehörte zum Zisterzienserinnenkloster, und auch in Tribsees soll es Beziehungen zu den Zisterziensern gegeben haben. Zweck aller Darstellungen der auch Hostienmühle genannten Sakramentsmühle ist es, den Gläubigen sinnlich das Geheimnis der Transsubstantiation zu erklären, nämlich die Wandlung des Wortes der Propheten zum Brot als Leib Christi, fußend auf Matthäus 26, Verse 26-28: "Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte, und brach's, und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset, das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden." Die meisten Menschen des Mittelalters konnten weder lesen noch schreiben, ihnen musste man das Geheimnis der Eucharistie bildlich vermitteln.

Hostienmühle auf dem Altar der Dorfkirche im mecklenburg-vorpommerschen Retschow 
© ML Preiss
Hostienmühle auf dem Altar der Dorfkirche im mecklenburg-vorpommerschen Retschow

Die auffällige Häufung von Sakramentsmühlen im Raum Rostock-Bad Doberan wird auf das zur gleichen Zeit entstandene Mühlenlied zurückgeführt. Davon gibt es eine ganze Reihe von Fassungen. Die eine mit dem plattdeutschen Titel "Dat moelen leeth" liegt in einem späteren Druck von 1512/13 in der Universitätsbibliothek Rostock vor und gibt Teile der Messehandlung unter dem Bild der Mühle wieder. Der Inhalt ist folgender: "Der Dichter spricht: Ich will eine Mühle bauen und würde sofort beginnen, wenn ich das Werkzeug hätte. Das nötige Bauholz hole ich mir vom Libanon. Kunstreiche Männer sollen helfen, auch Moses, der Mann des alten Bundes. Hieronymus, Ambrosius, Gregorius und Augustinus sollen auf das Triebwerk achten, zu dem die vier Paradiesströme das Wasser liefern. Die zwölf Apostel setzen die Mühle in Gang, eine Jungfrau bringt einen Sack mit Weizen. Dies ist schon lange vorgesehen von den Propheten. Die vier Evangelisten nehmen ihn an, um das Korn in die Mühle zu gießen. Papst, Kaiser und Prediger helfen. Jedermann eile herbei, zu seinem Heile die rechte Seelenspeise von der Mühle zu erhalten. Den Dichter geleite Gott ins Paradies."

Es ist müßig zu fragen, ob das Mühlenlied die bildlichen Darstellungen oder umgekehrt diese das Lied beeinflusst haben. Beide dienen demselben Zweck, nämlich den Gläubigen das Sakrament des Abendmahls zu erklären.

Außer den vier Beispielen von Sakramentsmühlen in Mecklenburg-Vorpommern sind im deutschen Sprachraum von den einst sicher sehr zahlreichen Beispielen nur noch wenige erhalten, darunter als Glasgemälde in der Lorenzkirche zu Nürnberg, im Münster zu Bern und in der Leonhardskirche von Tamsweg (Steiermark). Auf Altarbildern findet man sie in den Museen von Göttingen und Ulm, im Dom zu Erfurt und als Miniatur in München. Die ältesten Darstellungen - noch aus dem 12. Jahrhundert stammend - sind wohl ein Glasgemälde in der Abteikirche von St. Denis bei Paris sowie ein Kapitell in der Abteikirche von Vézelay.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow

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