Öffentliche Bauten Material Restaurierungstechniken Februar 2010 B

Wann Bücher zerfallen und wie man sie erhalten kann

Mal zerlesen, mal zerfressen

Gnadenlos fressen sie sich durch die Zeilen, vernichten Buchstabe um Buchstabe der wertvollen Handschrift aus dem 14. Jahrhundert. Wo einmal lateinische Gedichte zu lesen waren, erscheinen jetzt nur noch dunkle Flecken. An den Rändern sind die Blätter schon bedrohlich ausgefranst. Die Schädlinge machen auch vor dem Einband nicht halt, tun sich gütlich an Leder und Leim und greifen den hölzernen Buchdeckel an.

Hort wertvoller alter Bücher: die 1728 eröffnete Bibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale. 
© ML Preiss
Hort wertvoller alter Bücher: die 1728 eröffnete Bibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale.

Ein Buch bietet bekanntlich nicht nur geistige Nahrung: Seiten und Hülle können ein idealer Nährboden für Insekten, Bakterien und Pilze sein. Der berüchtigte Schimmelpilz Aspergillus niger etwa ist weltweit als zerstörerischer und zudem gesundheitsschädlicher Kostgänger in Bibliotheken und Archiven gefürchtet.


Der Notenhandschrift ergeht es nicht besser: Hier treibt der sogenannte Tintenfraß sein Unwesen. Die in früheren Jahrhunderten verwendeten Tinten enthalten oft Eisen- oder Kupfersulfate, die Papier oder Pergament auf Dauer angreifen. Zunächst bricht die Tinte aus und verfärbt das Blatt. Im weiteren Verlauf verursacht der Tintenfraß einzelne Risse, dann wird das gesamte Papier brüchig - im Endstadium bleibt nur ein Häufchen Staub übrig. Dass Johann Sebastian Bach sich gerne eine Spezialtinte zusammenstellte, macht die Bewahrung seiner Autographen für die Nachwelt heute besonders schwierig.

Dieser Bach-Autograph ist vom berüchtigten Tintenfraß befallen. 
© ZFB Zentrum für Bucherhaltung GmbH
Dieser Bach-Autograph ist vom berüchtigten Tintenfraß befallen.

Dabei ist das Alter einer Schrift gar nicht unbedingt ausschlaggebend: Abgesehen von gravierenden Schäden, die durch Wasser, Schimmel oder Wurmfraß hervorgerufen werden, hat manche mittelalterliche Inkunabel bessere Überlebenschancen als ein Buch aus dem 20. Jahrhundert.

Als die Chinesen im zweiten Jahrhundert n. Chr. erstmals Papier herstellten, gewannen sie die Pflanzenfasern aus Stoffabfällen, Hanf und Maulbeerbaumrinde. Bis sich die Papierproduktion aus Leinen- und Baumwoll-Lumpen in Europa durchsetzte, sollten tausend Jahre vergehen. Man verwendete hier weiterhin Pergament. Da Papier aber wesentlich kostengünstiger anzufertigen und leichter zu bedrucken war, trat es mit der Erfindung des Buchdrucks endgültig seinen Siegeszug an. Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde an der Zusammensetzung des Papiers wenig geändert. Mit Wasser aufgeschwemmte und gestampfte "Hadern" blieben der Grundrohstoff. Allerdings brachte die 1807 von Moritz Illig eingeführte Harzleimung neue Gefahren in Gestalt von Säure.

1843 entwickelte der sächsische Weber und Blattbinder Friedrich Gottlob Keller das Holzschliffpapier, indem er anstelle von Textilien Holz mechanisch zerfaserte. Damit war eine billige Variante gefunden, die jedoch weitere ungeahnte Folgen hatte: Das auf diese Weise hergestellte Papier enthält säurebildende Stoffe, die den Zerfall der Fasern schon vorprogrammieren. Mittlerweile wird Holzschliffpapier nur noch für Zeitungspapiere oder Pappen verwendet. Von den tückischen Säuren, die das Material erst vergilben und es dann brüchig werden lassen, sind Zeitungen und Archivalien besonders betroffen, aber ebenso Bücher, die zwischen 1850 und 1970 gedruckt wurden.

Die in der Leipziger Universitätsbibliothek verwahrte liturgische Handschrift entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Zustand vor der Restaurierung. 
© Universitaetsbibliothek Leipzig, Ms 1638, fol. 1v, 2r
Die in der Leipziger Universitätsbibliothek verwahrte liturgische Handschrift entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Zustand vor der Restaurierung.

Seit Anfang des letzten Jahrhunderts versucht man dem Zahn der Zeit, der an Papier und Einbänden nagt, professionell entgegenzutreten - mit dem Bewusstsein, dass eine Restaurierung kein Werk in seinen Urzustand zurückversetzt. Eine Schrift soll in erster Linie weiter zu benutzen sein. Sie kann aber auch als Ganzes einen kulturgeschichtlichen Wert haben, der einen Schmuckeinband, ein Exlibris oder sogar handschriftliche Vermerke umfasst. Schließlich hat auch ein Buch seine Geschichte.

Schäden an der Substanz können nur bis zu einem gewissen Grad behoben werden, die entsprechenden Verfahren sind äußerst zeit- und damit kostenaufwendig. Mittlerweile vereinen sich traditionelle Handwerkstechniken mit neuen Technologien. Letztere sind vor allem gefragt, wenn ganze Bibliotheksbestände in Gefahr sind.

Bei Wasserschäden schützt nur sofortige Gefriertrocknung vor Verklebung, Verlaufen der Tinten und Farben, und sie kann vor allem Schimmelbefall abwehren. Dem schnellen Altern von sauer geleimtem und holzschliffhaltigem Papier können sogenannte Massenentsäuerungsanlagen Einhalt gebieten: In riesigen Behältern werden Bücher aus industriell hergestelltem Papier gleich tonnenweise behandelt. Hat der Verfall jedoch schon eingesetzt, ist bei der Einzelblattrestaurierung Fingerspitzengefühl gefragt.

2002 unterstützte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Restaurierung der liturgischen Handschrift. 
© Universitaetsbibliothek Leipzig, Ms 1638, fol. 1v, 2r
2002 unterstützte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Restaurierung der liturgischen Handschrift.

Wenn es mit dem Schließen von Rissen oder dem Ansetzen von Ecken nicht mehr getan ist, bleibt als letzte Rettung das Papierspaltverfahren. Dafür klebt man das Originalpapier zwischen zwei mit Gelatine beschichtete Trägerpapiere. Zieht man diese Blätter auseinander, wird das innen liegende Papier horizontal gespalten. Eingefügt zwischen die beiden Hälften, sorgt nun ein dünnes, aber sehr reißfestes Kernpapier für die Stabilisierung - ein spezieller Leim dient zugleich der Entsäuerung des Dokuments. Wenn die Teile wieder zu einem Blatt zusammengefügt sind, wird die Gelatine ausgewaschen, so dass sich die Trägerblätter vom Original ablösen lassen.

Auch bei diesem Verfahren nutzt man inzwischen die Vorteile industrieller Papierkonservierung: Eine hochmoderne Papierspaltanlage kann pro Tag bis zu 4.000 Blätter bewältigen - manuell wären höchstens 200 möglich. Doch bei besonders sensiblen Blättern oder schweren mechanischen Schäden ist Handarbeit weiterhin unumgänglich.

Handwerklich versierte Buchrestauratoren sind auch bei der Bewahrung historischer Einbände gefragt: Hier kommen Nadel und Faden, Stempel und Fileten zum Einsatz. Ist der Einband doch der Teil des Buches, der normalerweise der größten mechanischen Beanspruchung ausgesetzt ist. Als nicht nur schützende, sondern ebenso schmückende Hülle kann er ein Kunstwerk für sich sein.

Selbst das Massenmedium Zeitung ist bedroht, wenn die letzten verfügbaren Exemplare einer Ausgabe beginnen, auseinander zu fallen. Hier eine Sondernummer der New York Times zum Untergang der Titanic. 
© ZFB Zentrum für Bucherhaltung GmbH
Selbst das Massenmedium Zeitung ist bedroht, wenn die letzten verfügbaren Exemplare einer Ausgabe beginnen, auseinander zu fallen. Hier eine Sondernummer der New York Times zum Untergang der Titanic.

Bücher sind uns längst selbstverständliche Gebrauchsgegenstände und brauchen dennoch Schutz - vor Licht und vor falschem Raumklima. Vor unsachgemäßer Behandlung kann man wertvolle Originale zwar durch Mikroverfilmung oder Digitalisierung bewahren. Allerdings ist auch dieser Segen trügerisch, denn selbst Zweitformen sind nicht vor Zerstörung gefeit. Vervielfältigungen bieten eine Alternative, aber niemals Ersatz. Das Gedächtnis der Menschheit lässt sich eben nicht einfach reproduzieren.

Bei allen Vorkehrungen zum Schutz der Bücher - die Angst vor der großen Katastrophe wird immer bleiben. Dramatische Verluste sind so alt wie das Medium selbst. Unter welchen Umständen die berühmte Bibliothek von Alexandria, die das gesamte Wissen der Antike vereinen sollte, wirklich verbrannte, beschäftigt Historiker bis heute. 1966 versanken in Florenz, der Wiege aller neuzeitlichen Bibliotheken, zwei Millionen Bücher in den Fluten des Arno - ein Unglück, das sich 2002 an Elbe und Mulde wiederholte. In Florenz wie in Sachsen war es letztlich den Restaurierungslabors zu verdanken, dass große Teile gerettet werden konnten.

Beim Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek am 2. September 2004 wurden neben der historischen Bausubstanz vor allem kulturgeschichtlich einmalige Buchbestände zerstört. Unter ihnen die Musiksammlung der Herzogin Anna Amalia. 118.000 geschädigte Objekte mussten damals versorgt werden. Um die auch durch Löschwasser beeinträchtigten Manuskripte zu retten, wurden sie zunächst im Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig gefriergetrocknet. 60.000 der einst geschädigten Bände konnten nach ihrer Restaurierung bereits am 24. Oktober 2007 zur Wiedereröffnung der Bibliothek genutzt werden.

Der Einsturz des Historischen Archivs in Köln am 3. März 2009 ist die jüngste Tragödie, die sogar zwei Todesopfer forderte. Als eines der größten historischen Archive Deutschlands beherbergte es etwa 30 Regalkilometer Originaldokumente aus über tausend Jahren kölnischer und rheinischer Geschichte, von denen inzwischen etwa 85 Prozent geborgen und gesichert werden konnten. Die einzelnen Dokumente befinden sich allerdings in sehr unterschiedlichen Erhaltungszuständen. Obwohl man damit rechnet, dass etwa 70 bis 80 Prozent der Bestände wiederherzustellen sind, wird dies wohl Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Rund 300-500 Millionen Euro werden dazu benötigt. Die Stadt erhofft sich, die Gelder unter anderem durch die Gründung einer Stiftung aufbringen zu können.

Große Unterstützung findet derzeit das "Digitale Historische Archiv Köln", in dem Nutzerinnen und Nutzer die während ihrer Recherchen angefertigten Kopien, Fotos oder Mikrofilme von Archivalien im Internet zur Verfügung stellen. Den Reproduktionen kommt eine große Bedeutung zu, da viele Originale durch den Einsturz vernichtet oder stark beschädigt sind. Das digitale Archiv soll aber keineswegs als Ersatz für die Originaldokumente verstanden werden, sondern Internetnutzern weltweit die Kölner Schätze bekannt machen und als offener Lesesaal die Möglichkeit zum Austausch und zur Kommunikation bieten.

Bettina Vaupel und Julia Ricker

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