Historismus Material Dezember 2009

Die Villa Merkel in Esslingen

Palazzo aus Beton

Sie atmet den Geist einer Villa Farnesina in Rom: Umgeben von einem weitläufigen Landschaftsgarten, der bis zum Neckar reicht, verkörpert das Wohnhaus Merkel die Ideale der Neurenaissance.

Der Wintergarten muss noch restauriert werden. 
© R. Rossner
Der Wintergarten muss noch restauriert werden.

Der Bauherr wusste genau, was er 1872 beim prominenten Stuttgarter Architekten Otto Tafel in Auftrag geben musste, um mit seinem neuen Domizil vor den Toren Esslingens das Ansehen der Fabrikanten-Familie zu steigern. So ehrwürdig historisch die Hülle auf den ersten Blick erscheint, ist das annähernd quadratische, nahezu symmetrische Gebäude tatsächlich aber aus Beton. Das Mauerwerk besteht aus lageartig gegossenen und gestampften Schichten. Die Oberflächen wurden in Zementputz ausgeführt, die Zierelemente aus Betonfertigteilen.


Manch ein Zeitgenosse in Esslingen mag darüber die Nase gerümpft haben, denn damals ging es um Materialgerechtigkeit, um die Wahl "solider, echter" Baustoffe wie Back- oder Naturstein. Oskar Merkel war jedoch daran gelegen, neben der herausgehobenen sozialen Stellung auch seine Fortschrittlichkeit unter Beweis zu stellen. Dies ist ihm langfristig gelungen, denn seine in historisierendem Stil errichtete Villa gilt als erstes vornehmes Zementwohnhaus in Baden-Württemberg und erlangte unter Architekten und Denkmalpflegern als "Experimentalbau" und Pioniertat Berühmtheit. Merkels positive Einstellung zu dem in seiner Zeit noch heftig bekämpften Material rührte wohl auch daher, dass er gute Kontakte zu Betonherstellern hatte. 1903 war er an der Gründung der Zementfabrik in Blaubeuren beteiligt.

Seit 1973 ist die Villa Merkel Sitz der Städtischen Galerie Esslingen für zeitgenössische internationale Kunst. Nachdem sich vor zwei Jahren Schmuckelemente von der Fassade gelöst hatten, wurde die Not offenkundig: Das Dach war schadhaft, der Wintergarten feucht, und viele Fenster der Villa befanden sich in einem desolaten Zustand. Nachdem man Alarm geschlagen hatte, half die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ab 2006 zusammen mit der Stadt Esslingen und dem Land bei der Instandsetzung der stark verwitterten Südfassade. Die Stiftung stellte 50.000 Euro für die Arbeiten zur Verfügung. Sie bedeuteten eine große Herausforderung: Naturwissenschaftliche Forschungen über die Zusammensetzung der Gesteinsmischung und Versuchsfelder am Bau machten es erst möglich, das für seine Zeit ungewöhnliche Baumaterial in den Griff zu bekommen.

Die Betonfassade der Villa Merkes ist bereits wiederhergestellt. 
© R. Rossner
Die Betonfassade der Villa Merkes ist bereits wiederhergestellt.

Geplant ist darüber hinaus die Restaurierung des Gebäudeinneren und des Wintergartens. Da die Villa Merkel weiterhin öffentlich zugänglich bleibt, werden noch kommende Generationen dieses ganz spezifische Umschmieden klassischen Formengutes in Beton nacherleben können. Was in der Erbauungszeit als trügerischer Schein galt, hat sich im Lauf der Zeiten zu einer besonderen Qualität entwickelt.

Christiane Schillig

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

  • Mittelalterliche Wandmalereien in Behrenhoff 16.01.2018 Die Hölle Vorpommerns Die Hölle Vorpommerns

    Die Hölle Vorpommerns

    In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.

  • Die neue Lust am Bungalow 08.11.2012 Bungalows Die Leichtigkeit des Steins

    Die Leichtigkeit des Steins

    Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.

  • Otto Bartning und seine Kirchen 09.03.2016 Bartning Kirchen Spiritualität in Serie

    Spiritualität in Serie

    Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.

Service

Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


 
 
Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


1
Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland
2
Monumente Abo



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


3

Newsletter

Lassen Sie sich per E-Mail informieren,

wenn eine neue Ausgabe von Monumente

Online erscheint.

Spenden für Denkmale

Auch kleinste Beträge zählen!

 
 
 
 
0 Kommentare

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
 

© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn