Sehen und Erkennen Dezember 2009

Selbstbildnisse der Baumeister des Mittelalters

In Stein gehauen für die Ewigkeit

So wie Maler und Bildschnitzer blieben auch mittelalterliche Baumeister in der Anonymität einer Zeit, in der die vom Glauben und von der ständischen Ordnung geprägte Gemeinschaft sehr viel, der einzelne wenig galt. Zwar kennen wir bereits den Baumeister, der in der Zeit um 800 für Kaiser Karl den Großen die Pfalzkapelle in Aachen erbaute. Seinen Namen, Odo von Metz, überliefern uns Schriftquellen aus dem Ende des 9. Jahrhunderts. Mehr aber nicht, so dass wir uns kein Bild von seiner Persönlichkeit oder von seinen anderen Werken machen können.

Im frühen und hohen Mittelalter war die Fähigkeit des Schreibens und Lesens fast ausschließlich auf die Geistlichkeit beschränkt, die Baumeister und Handwerker besaßen sie genauso wenig wie Kenntnisse in der Mathematik. Pergament war kostbar, die wenigen auf Bauwerke bezogenen Urkunden sollten in erster Linie Rechtsverhältnisse festhalten, auch Weihen oder Ablasserteilungen, nicht aber das Baugeschehen. Wenn in den Schriftquellen ein "magister fabricae" oder "magister operis" genannt wird, ist nicht immer restlos zu klären, ob damit der Baumeister als künstlerischer Leiter oder der Bevollmächtigte und Rechnungsführer des Bauherren gemeint ist. Es sei denn, es gibt ein Bildnis mit den Attributen des Baumeisters, dem Zirkel oder Winkeleisen.

Mit Winkeleisen und Reißbrett: Baumeisterfigur am Portal des Colmarer Münster 
© G. Kiesow
Mit Winkeleisen und Reißbrett: Baumeisterfigur am Portal des Colmarer Münster

Denn so dünn die schriftliche Überlieferung ist, so zahlreich sind die figürlichen Darstellungen mittelalterlicher Baumeister und Werkführer. Das hängt damit zusammen, dass die Werkmeister stets auch Steinmetzen und Steinbildhauer waren und deshalb leicht die Gelegenheit für ein Selbstbildnis am Bau nutzen konnten. Doch ist es bei den sehr zahlreichen Köpfen, Büsten und ganzfigürlichen Darstellungen an Konsolen, Portallaibungen, Gewölbediensten und anderen Bauteilen nicht immer einfach festzustellen, ob tatsächlich ein Baumeister gemeint ist.

Ganz eindeutig trifft dies auf die Figur im Profil des äußeren Portalbogens am Münster im elsässischen Colmar zu, denn zum einen trägt sie mit dem Winkeleisen und dem Reißbrett die Standeszeichen des mittelalterlichen Baumeisters, zum anderen wird sie durch die daneben stehende Inschrift als "Maistres Humbret" bezeichnet. Aus dem französischen Titel schloss Kurt Gerstenberg, der 1966 das grundlegende Buch über die deutschen Baumeisterbildnisse des Mittelalters geschrieben hat, dass Humbret seine Ausbildung in Frankreich abgeschlossen hat.

St. Marien in Gelnhausen: Während die Figur im Querschiff den Baumeister Heinrich Vingerhut zeigt (s. Kopfgrafik links), stellt diese Chorkonsole wohl etwas anderes dar. 
© G. Kiesow
St. Marien in Gelnhausen: Während die Figur im Querschiff den Baumeister Heinrich Vingerhut zeigt (s. Kopfgrafik links), stellt diese Chorkonsole wohl etwas anderes dar.

Die Wanderschaft durch fremde Bauhütten nach Abschluss der Steinmetzlehre gehörte zur Voraussetzung für die Ausbildung zum Baumeister. Frankreich war dabei für deutsche Steinmetze ein erstrebenswertes Ziel, weil sich dort die Gotik einige Generationen früher entwickelt hatte. So war wohl auch Heinrich Vingerhut in der Bauhütte einer französischen Kathedrale tätig, bevor er um 1220 in Gelnhausen die Bauleitung für die Marienkirche übernahm und sich am nördlichen Querschiff mit der Namensbeischrift darstellte (s. Kopfgrafik links). Von der Haltung und der Kleidung entspricht die Darstellung der für Baumeister üblichen: eine hockende Tragefigur mit halblangem Gewand, die langen Ärmel mit enganliegenden Bündchen.

Die französische Schulung von Heinrich Vingerhut erkennt man bei der Marienkirche in Gelnhausen an den frühgotischen Formen der turmreichen Ostteile, die sich darin von den schlichten romanischen Westteilen unterscheiden, aber auch an den ausgezeichneten bildhauerischen Arbeiten der Konsolen im Chor. Das frei herausgearbeitete, spiralförmig verschlungene Rankenwerk hat sein Vorbild in den Rankenkapitellen der Kathedrale von Laon. Ein Kapitell im Erdgeschoss des Querhauses von 1180 zeigt das Motiv der im Rankenwerk hockenden männlichen Figur, in Haltung und Tracht einem Werkmeister ähnlich. Sie hat aber wohl eine andere Bedeutung, denn darunter ist eine zweite Figur zu sehen, auf welche die obere die Füße setzt. Vielleicht ist hier der in die Sünde verstrickte Mensch gemeint.

Die Figurengruppe an einer Chorkonsole in der Mariä-Himmelfahrt-Kirche von Rufach 
© G. Kiesow
Die Figurengruppe an einer Chorkonsole in der Mariä-Himmelfahrt-Kirche von Rufach

Der hockenden Figur außen an der Südseite der Kollegiatskirche von San Quirico d´Orcia in der Toskana (s. Kopfgrafik rechts) fehlen die Attribute eines Werkmeisters. Sie wird deshalb als Atlant gedeutet. Auch die Konsolfiguren im Chor der auch St. Arbogast genannten Mariä-Himmelfahrt-Kirche im elsässischen Rufach stellen wohl kaum Baumeister dar, denn es kommen gleich vier vor, jede mit einem Evangelistensymbol kombiniert. Ist hier Christus gemeint, der auf seinen Schultern die Welt trägt?

Im Bogenscheitel des Portals im unvollendet gebliebenen Westbau des Domes von Wetzlar befindet sich die Darstellung eines männlichen Kopfes, die als Selbstporträt des Baumeisters Tyle von Frankenberg gilt. Die runde, flache Kopfbedeckung kommt sehr häufig bei Baumeisterfiguren vor, so auch über der Vierung im Regensburger Dom in der ähnlichen Situation eines Bogenscheitels.

Um die Mitte des 14. Jahrhunderts beginnen sich mit den Namen der Baumeister Vorstellungen über ihr Lebenswerk herauszubilden. So schuf Tyle von Frankenberg nicht nur den neuen Ostchor und die Marienkapelle an der Frauenkirche im hessischen Frankenberg, sondern er gilt aufgrund einleuchtender Stilvergleiche auch als der Schöpfer des unvollendet gebliebenen Westbaues des Domes in Wetzlar und des Wohnturmes der Burg Hermannstein am dortigen Stadtrand.

Gilt als Selbstporträt des Baumeisters Tyle von Brandenburg: Figur mit Kappe am Westportal des Wetzlarer Doms 
© G. Kiesow
Gilt als Selbstporträt des Baumeisters Tyle von Brandenburg: Figur mit Kappe am Westportal des Wetzlarer Doms

Tyle von Frankenbergs Tätigkeit erstreckte sich auf die Zeit um 1350 bis 1380, in der auch Peter Parler tätig war, mit dem die Spätgotik beginnt. Sein umfangreiches Lebenswerk ist mit dem Veitsdom und der Allerheiligenkapelle auf der Prager Burg, dem Altstädter Turm der Karlsbrücke, St. Bartholomäus in Kolin sowie St. Barbara in Kuttenberg verbunden. Eine Büste im unteren Triforium des Veitsdomes zeigt sein Antlitz. Von hier an nimmt auch die schriftliche Überlieferung ständig zu, wird das Bild der Baumeister für uns immer deutlicher.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow

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