Sehen und Erkennen Oktober 2009
Die Kunst des Barock hatte eine besondere Vorliebe, real existierende Räume mit Hilfe illusionistischer Malerei auszuweiten. In der Rotunde des Biebricher Schlosses in Wiesbaden erhielt das steinerne Kuppelgewölbe an der Innenseite eine Scheingliederung aus gemalten Pilastern und Kassetten.
Davor thronen die griechischen Götter des Olymp auf Wolken, die durch das scheinbar offene Oberlicht in den Raum geschwebt sind. Der italienische Freskomaler Luca Antonio Colomba schuf dieses Deckengemälde 1719-21. Es stellt die Aufnahme des Aeneas in den Olymp dar. In der barocken Baukunst kommt eine derartige Illusionsmalerei häufig vor. Weniger bekannt ist aber, dass sie bereits Vorläufer in der römischen Antike hat.
Besonders bei deren II. Stil etwa aus der Zeit 80-10 v. Chr. hatte man eine Vorliebe für die illusionistische Erweiterung von Räumen mit malerischen Mitteln. Ein Beispiel dafür ist der Saal links der Vorhalle in der Villa Poppaea von Oplontis (s. Kopfgrafik links), nahe der Stadt Torre Annunziata an der Bucht von Neapel gelegen. Die Wand erscheint im oberen Teil in Säulenstellungen geöffnet und gewährt so den Einblick in einen exakt perspektivisch gemalten Innenhof mit hochstehenden Säulengalerien. Die Villa wurde wie die Städte Pompeji und Herculaneum im Jahr 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuvs von der Asche des Vulkans und von Schlamm verschüttet und erst ab 1964 ausgegraben. Dabei kamen die kostbaren Malereien nahezu in der alten Farbkraft zum Vorschein.
Die romanische Baukunst täuschte mit Hilfe der Fugenmalerei ein anderes Material vor, als sich unter dem Putz tatsächlich befindet. Im Kreuzgang des Domes von Brixen sind die Wände über den Arkaden aus Backsteinen gemauert, die jedoch verputzt und mit einem roten Fugennetz in Quadergröße bemalt worden sind. Eine derartige Fugenmalerei findet sich häufig in der mittelalterlichen Baukunst, aber auch schon in der römischen Architektur.
Ein Haus in Herculaneum weist eine ähnliche Scheinquaderung mit roten Fugen auf, hier noch mit einem zusätzlichen Begleitstrich versehen. Die Gliederung der Wände durch eine gemalte oder plastisch in Stuck geschaffene Quaderung gehört dem 1. Stil der Malerei in Herculaneum und Pompeji aus der hellenistischen oder samnitischen Epoche von ca. 200-80 v. Chr. an. Aus dem aufgehackten Putz kann man schließen, dass die Quaderung beim Haus in Herculaneum später überputzt und wohl mit Fresken einer jüngeren Stilstufe überdeckt wurde, die jedoch nicht mehr zu erkennen sind.
Überall da, wo die mittelalterliche Baukunst Architekturgliederung aus Kostengründen nicht plastisch aus Stein arbeiten konnte, wurde sie illusionistisch gemalt, so in der sogenannten Schatzkammer des Hauses Untermarkt 5 in Görlitz, geschaffen um 1515. Die Rippen des Netzgewölbes sind in hellen Flächen und Schatten so täuschend gestaltet, dass man mit dem Licht des einzigen Fensters im Rücken glaubt, sie existierten tatsächlich in der Art einer offenen Laube mit dem Blick auf die Blumenpracht eines Gartens. Mit ähnlichen Mitteln wird in einem Haus in Herculaneum eine Kassettendecke vorgetäuscht, entstanden wohl zur Regierungszeit des Kaisers Augustus (30 v. Chr. bis 14 n. Chr.).
Bei der farbigen Innenraumgestaltung romanischer Kirchen wird auch das Mittel der Marmorierung angewandt, im Fall der Dorfkirche von Barnstorf (Kreis Diepholz, Niedersachsen, s. Kopfgrafik rechts) ist um 1200-25 bei den Ansichtsseiten der Gurt- und Schildbögen ein sogenannter Bohnenmarmor imitiert worden. Aus Mangel an echtem, reich gemaserten Marmor, dessen Steinbrüche bald erschöpft waren, hat man schon in der Antike Marmorimitationen auf den Putz gemalt, so in einem Raum der bereits erwähnten Villa Poppaea. Die hier erkennbaren Maserungen in Form großer, dunkelroter Linsen wurden später immer stärker vom natürlichen Vorbild abstrahiert, bis daraus ein beliebtes Muster wurde, das sich zum Beispiel auch aus der Zeit um 1140-60 in der romanischen Klosterkirche von Prüfening bei Regensburg erhalten hat.
Neben dieser einfachsten Art, Marmor zu imitieren, gibt es die edelste des Stuckmarmors, bei dem ein unterschiedlich eingefärbter Brei aus Marmormehl und Bindemitteln auf einen Holz- oder Mauerkern aufgetragen, geglättet und dann geschliffen wird. Die Herstellung von Stuckmarmor ist schwierig und sehr zeitaufwendig, deshalb ist er teurer als echter Marmor, der allerdings in so reichen Maserungen auch nicht mehr zu finden ist. Auch könnte man so komplizierte Formen wie die gewundenen Säulen am Hauptaltar der Ursulinen-Klosterkirche in Straubing nicht aus einem Marmorblock herausmeißeln. Entdeckt man also bei so großen Architekturteilen keine Fugen, handelt es sich um Stuckmarmor, wie er hier meisterhaft 1736-40 von Egid Quirin Asam geschaffen worden ist.
Weniger aufwendig, jedoch haltbarer als einfach auf den Putz gemalte Marmorierungen ist die Technik des Stuccolustro, bei dem auf einen Mauerkern eine Stuckmasse aus Kalk, Marmormehl und Kalkseife aufgetragen und dann in die noch nasse Masse der Grundton und eventuelle Maserungen aufgemalt werden. Nach dem Trocknen wird die Oberfläche bis zu Spiegelglanz geschliffen. So etwa entstanden die Säulen im sogenannten Haus des Telephos-Reliefs von Herculaneum.
Die behandelten Beispiele von der römischen Antike bis zum Barock zeigen, dass die Beurteilung von Architektur ohne die dazu gehörende Malerei unvollständig ist und deshalb unter Umständen zu fehlerhaften Interpretationen führen kann.
Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
Wieder in lehrreicher "Kiesow" - ob der dann auch im gedruckten Heft erscheint?
Die WEB-Ausgabe wird immer besser, und schon fürchte ich um die altmodische (und sicher auch teurere) Papierausgabe.
Ein lachendes - ein weinendes Auge...
Gruß aus Sauerlach
Anm. der Redaktion: Der Artikel ist eine aktualisierte Version eines bereits gedruckten Beitrags.
Die Printausgabe von Monumente wird es selbstverständlich auch weiterhin geben.
Das mit dem "Bohnenmarmor schmückt die Bögen im Gewölbe der Dorfkirche von Barnstorf" hätte ich gerne in Augenschein genommen, kann leider aber keine Abbildung entdecken.
Schöner Artikel, doch warum ohne Literaturliste?
Anm. der Redaktion: Das rechte Bild der Kopfgrafik zeigt ein Detail des Gewölbes.
Antwort auf: Direkt auf das Thema antworten
© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn
Spenden | Kontakt | Impressum | Datenschutz