Menschen für Denkmale August 2009

Ein Schulprojekt im Kraichgau

Mit den Weils fing es an

Reiseführer rühmen den Kraichgau als die badische Toskana. Rebhänge, Streuobstwiesen, fruchtbare Böden und eine sanfte Hügellandschaft locken Besucher in eine der ältesten Kulturregionen Europas. Orte wie das für seine Fachwerkhäuser berühmte Eppingen, die Melanchthonstadt Bretten oder das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Maulbronn zeugen zwischen Odenwald und Schwarzwald von einer Region voll bewegter Geschichte.

Die Schüler erhielten von einer Nachfahrin der Familie Weil ein Bildnis von Hermann Weil. 
© S. Bastl
Die Schüler erhielten von einer Nachfahrin der Familie Weil ein Bildnis von Hermann Weil.

Doch ein Kapitel wird gerne ausgespart, weil es ein sehr unrühmliches ist: der Terror gegen die Juden. Wie in ganz Deutschland erfasste die Gewalt gegen die jüdische
Bevölkerung auch viele Orte im Kraichgau. Der Pogromnacht vom 9./10. November 1938
folgte im Oktober 1940 die Deportation der badischen Juden nach Gurs in Südfrankreich, womit das jüdische Leben im Kraichgau beendet war.

Vielen Jugendlichen heute ist der Holocaust unbegreiflich und das jüdische Leben fremd. Die Geschichte des Judentums wieder aufzuarbeiten und ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Lokalpolitik zu tragen, hatten sich im Schuljahr 2006/2007 vier kooperierende Schulen in dem von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz initiierten Schulprogramm "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" zur Aufgabe gemacht. Mit einem Erfolg, der bis heute Früchte trägt.

Ihr Projekt hatten das Adolf Schmitthenner-Gymnasium in Neckarbischofsheim, das Wilhelmi-Gymnasium in Sinsheim, das Hartmanni-Gymnasium in Eppingen und die federführende Realschule Waibstadt unter das Motto "Suchen - finden - bewahren" gestellt. Die Schülerinnen und Schüler aus den 9. bis 11. Klassen setzten es sich damals zum Ziel, die untergegangene jüdische Kultur im Kraichgau wiederzuentdecken und aufzuarbeiten. Es wurden Bücher studiert und Historiker wie Zeitzeugen befragt. Bei ihrer Spurensuche benötigten die Jugendlichen oftmals detektivisches Gespür, um die ehemaligen Synagogen, die meist schlichte Bet- und Versammlungshäuser waren, zu lokalisieren und zu dokumentieren.

Kalenderblatt mit Ansichten des jüdischen Friedhofs in Waibstadt. Das 1927 erbaute Weil-Mausoleum wurde beim Judenprogrom 1938 zerstört. 
© c) Realschule Waibstadt
Kalenderblatt mit Ansichten des jüdischen Friedhofs in Waibstadt. Das 1927 erbaute Weil-Mausoleum wurde beim Judenprogrom 1938 zerstört.

Das Resultat der gemeinsamen, über die "denkmal aktiv"-Teilnahme hinaus geführten Spurensuche der vier Schulen war ein Kalender über jüdische Denkmale in der Region. Ein Jahr später - im April 2008 - veröffentlichten sie mit Unterstützung der Heidelberger Hochschule für jüdische Studien eine Themenkarte zu den jüdischen Kulturobjekten im Kraichgau, die sie ebenfalls erfolgreich verkauften. Der Erlös beider Veröffentlichungen kam der ehemaligen Synagoge in Steinsfurt zugute. Denn die Schulen hatten sich zusammen mit dem Verein "Alte Synagoge Steinsfurt e.V." ein höheres Ziel gesteckt: Die Rettung des Gebäudes als ein sichtbares Denkmal der untergegangenen jüdischen Geschichte.

Schon Jahre vor dem "denkmal aktiv"-Projekt hatte die Realschule Waibstadt Kontakt zu den weltweit verstreut lebenden Nachfahren der in der Region bekannten Familie Weil geknüpft. Diese lebte vom 18. Jahrhundert bis 1937 in Steinsfurt. Der angesehene Mäzen Hermann Weil (1868-1927) war vor allem als Getreidegroßhändler bekannt, der um die Jahrhundertwende mit seiner argentinischen Getreidefirma Hermanos Weil & Cie. den Weltmarkt mitbeherrschte. 1907 nach Deutschland zurückgekehrt, gründeten er und sein Sohn Felix (1898-1975) an der Frankfurter Universität 1923 das Institut für Sozialforschung, das später als "Frankfurter Schule" in die Annalen einging. Dank ihrer amerikanischen Handelsbeziehungen waren die meisten Angehörigen der Weilfamilien ausgewandert.

Schülervertreter des seit 1999 an der Realschule bestehenden Projektes "Judentum im Kraichgau" wurden 2002 zu einem Verwandtschaftstreffen der Weil-Familien nach Fort Lauderdale in Florida eingeladen, wo ihr Video über die ehemaligen jüdischen Häuser in Steinsfurt und Umgebung begeisterten Anklang fand. Auch in der Kraichgauer Heimat zeigte die Öffentlichkeitsarbeit der Schüler und Lehrer der vier Schulen Wirkung: Nach zähen Verhandlungen gelang es der Stadt Sinsheim, mit der damaligen Privatbesitzerin der Steinsfurter Synagoge einen Erbpachtvertrag über 50 Jahre zu schließen. Dieser wesentliche Schritt machte den Weg frei für die Sanierung des Gebäudes. Eine Erfolgsgeschichte: Im April dieses Jahres konnten die Schülerinnen und Schüler im Beisein der jüdischen Weil-Nachkommen die Ernennung zum Denkmal feiern - eine Feier, die zu einem Fest der Versöhnung wurde. Einen schöneren Abschluss des von den vier Kraichgauer Schulen begonnenen "denkmal-aktiv"-Projektes kann man sich nicht wünschen.

Die Steinsfurter Synagoge vor der Restaurierung. 1893 wurde sie für die stetig wachsende jüdische Gemeinde errichtet. 
© R. Rossner
Die Steinsfurter Synagoge vor der Restaurierung. 1893 wurde sie für die stetig wachsende jüdische Gemeinde errichtet.

Und doch haben die Jugendlichen der Realschule Waibstadt eine weitere Herausforderung im Blick: Es ist in den vergangenen Jahren soviel in der Lokalpolitik und bei den Bürgern bewegt worden, dass diese gute Entwicklung aus dem Schulprojekt nicht im Sande verlaufen sollte. Als nächstes nehmen sie die Rettung des heruntergekommenen Mausoleums der Familie Weil neben dem jüdischen Friedhof in Waibstadt in Angriff. Es wurde Kontakt zum Landesdenkmalamt Baden-Württemberg aufgenommen und im Juni ein handlungsfähiger Verein, in dem unter anderem auch Schüler Mitglieder sind, gegründet. Dieser Tage kam der offizielle Bescheid, dass Bund und Land Fördermittel in Höhe von insgesamt 180.000 Euro bereitstellen. Die Restaurierung des Weil-Mausoleums kann beginnen!

Christiane Rossner

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