Landschaften, Parks und Friedhöfe August 2009
Um ihn herum versank die althergebrachte Welt im Chaos, die Monarchie in ihrer absoluten Ordnung drohte abgeschafft zu werden, in ganz Europa schwelte seit Jahren der nationale Aufstand, die Revolution von 1848 lag nicht mehr fern. Und was tat Friedrich Wilhelm IV., seit 1840 preußischer König? Er träumte sich - wie er es in seiner Italienbegeisterung schon so lange tat - ins römische Arkadien und malte sich die Potsdamer Landschaft als antikes Ideal aus.
Unzählige Skizzen fertigte er an, entwarf Gebäude - majestätische wie die Orangerie neben Schloss Sanssouci, anrührende wie die Römischen Bäder, würdevolle wie die Friedenskirche. Und jede Menge intime Gartenarchitekturen, gedacht für den Rückzug ins Nachdenken. Für die Momente, in denen die anstrengende Politik weit entfernt sein sollte und sich der König im Geiste ganz der Kunst hingeben wollte.
Immer - schon als Kronprinz - hatte er einen hauptamtlichen Architekten zur Seite. Der brachte die sprudelnden Ideen des Monarchen - wieder und wieder von ihm überarbeitet und mitunter auf Servietten und sogar auf Tischplatten gekritzelt - in die rechte Form und zur Ausführung. Nach Karl Friedrich Schinkels Tod 1841 hatte die Position der gebürtige Potsdamer Ludwig Persius inne. Unter seiner Hand kamen die Gärten der preußischen Residenzstadt in der brandenburgischen Weite dem antiken Vorbild schon ziemlich nahe. So nahe, dass noch heute an warmen Sommertagen ein Hauch der Gedanken Plinius' des Jüngeren über der Parklandschaft zu liegen scheint. Seine Briefe, in denen er um 100 n. Chr. seine römischen Landgüter Laurentinum und Tusculum beschreibt, waren es, die den Hohenzollern-Herrscher Jahrhunderte später, 1.500 Kilometer weiter nördlich, inspirierten.
Tatsächlich findet sich in einer Konche im Potsdamer Refugium eine gebogene Marmorbank, die ihm seinen Namen gab. Eigentlich aber handelt es sich bei dem sogenannten Stibadium um eine etwas eigenwillige Konstruktion, denn es ist nichts anderes als ein Atrium. Das Atrium war im römischen Wohnhaus der zentrale Raum mit einer Öffnung im Dach, durch die Regenwasser das Impluvium, ein Wasserbecken, füllen konnte. Hier in Potsdam wird der zentrale Raum zum einzigen Raum, keine weitere bauliche Anlage umgibt ihn. Innenwände werden zur Fassade, und Pergolen, die um das Gebäude angelegt sind, sollen die fehlenden Räume andeuten. Das Stibadium ist ein Staffagebau, er ist nicht zum Wohnen gedacht, noch nicht einmal zum hemmungslosen Schlemmen, wie der Name denken ließe, sondern zur stillen Sammlung.
Da saß er also, König Friedrich Wilhelm IV., in seinem Stibadium auf der halbrunden Bank, von der aus man einen ausgeklügelten Blick durch das Atrium und die geöffnete Ostwand hindurch auf die Wasserkaskade im Paradiesgarten hat. Gerahmt wird die Sicht durch die Terrakottasäulen, die das quadratische Impluvium umstehen und die das Dachgebälk stützen. Stetes Wasserrauschen betäubt die Sinne, die Augen entspannen sich zwischen sorgfältig ausgewählten Blicken in die Natur oder auf die italienischen Landschaften, die Karl Lompeck in pompejanischer Manier an die Innenwände des Stibadiums malte. Und stellt man sich einen strahlenden Sommertag vor - den braucht das Stibadium für seine Inszenierung -, dann funkeln neben den Wasserspielen als besondere Pointe noch die 40 weißen, rubinroten, blauen und grünen Glasvasen. Sie stehen in den Öffnungen des Triglyphenfrieses, der als eine Art Balustrade das Viereck des Atriums auf dem Dach umrahmt, und tauchen den Raum in ein magisches Licht: eine vollendete Idylle.
Einzig die Skulpturengruppe des Brunnens von Friedrich Leopold Bürde, die recht dramatisch einen ein Reh zerfetzenden riesigen Adler zeigt, lässt erahnen, dass die Welt nicht nur aus Vogelgezwitscher, Licht- und Wasserspielen besteht. Ist sie ein Hinweis auf das gefährliche Universum außerhalb der Potsdamer Gartenspielereien? Auf den preußischen Adler, dem schwache Rehe niemals die natürliche Rangordnung streitig machen dürfen, über die ein angegriffener König nachdenkt? Oder ist es nur ein Kunstgriff, um einen Moment der Bewegung in das kompositorische Gleichgewicht dieser Kleinarchitektur zu bringen? Und um sie noch geschickter zu dem zu machen, was sie immer sein sollte und jetzt - wie am Tag des offenen Denkmals zu sehen sein wird - auch wieder ist: ein durch und durch angenehmer Ort des ästhetischen Genusses.
Beatrice Härig
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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