Technische Denkmale Herrscher, Künstler, Architekten Handwerk Juni 2009 S
Teddy und Mecki waren vielgeliebte Gefährten meiner Kindheit. Ohne meine Stofftiere in sicherer Nähe wäre ich nicht eingeschlafen. Denn sie beschützten mich, und ich träumte häufig von ihren Abenteuern, die sie zu meinem Erstaunen stets ohne sichtbare Blessuren überstanden.
Teddys und Meckis Wiege stand in Giengen, genauso wie die ihrer geistigen Mutter Margarete Steiff. Als sie am 24. Juli 1847 in dem kaum 2.000 Einwohner zählenden Ort am Südrand der Schwäbischen Alb geboren wurde, trug er den Zusatz "bei Heidenheim". Nicht zuletzt der Firmenerfolg dieser beeindruckenden Unternehmerfamilie führte dazu, dass dort heute rund 20.000 Menschen leben. Inzwischen darf sich Giengen an der Brenz stolz "Große Kreisstadt" nennen.
Das Flüsschen Brenz wäre der kleinen Margarete und ihren drei Geschwistern Marie, Pauline und Fritz beinahe zum Verhängnis geworden: 1855 kippten sie mit einem Heuwagen um und landeten unsanft im Wasser. Sie wurden zum Glück von vielen helfenden Händen herausgezogen und ohne große Schäden bei ihrer entsetzten Mutter abgegeben.
"Einer Angst oder eines Schreckens kann ich mich nicht erinnern", vertraute Margarete später ihrem Tagebuch an. Obwohl sie es aus eigener Kraft nicht geschafft hätte, ans sichere Ufer zu gelangen. Denn sie war im Alter von anderthalb Jahren an Kinderlähmung erkrankt, konnte die Beine nicht bewegen, und der rechte Arm war sehr schwach.
Das Sorgenkind war dennoch der Sonnenschein der Familie - ein Sonnenschein mit einem heiteren Wesen, aber gleichzeitig zähem Willen. Viel wusste man damals nicht über Kinderlähmung. Kostspielige Operationen, die die Steiffs nur durch Unterstützung einer Stiftung bezahlen konnten, und Kuraufenthalte in Bad Wildbad halfen Margarete nicht. Mit 17 Jahren entschied sie sich gegen weitere Behandlungen.
Manch anderer hätte sich mit diesem Entschluss selbst aufgegeben. Anders Margarete, die das Zitherspielen erlernte, um ihre Arme zu stärken. Die die erste Nähmaschine in Giengen anschaffte, um die Schneiderei, die sie zunächst zusammen mit ihren Schwestern Marie und Pauline im Elternhaus betrieb, zu professionalisieren. Sie gab auch nicht auf, als sie merkte, dass ihr rechter Arm viel zu schwach war, um das Schwungrad der Maschine in Gang zu bringen. Sie fand heraus, dass sie sie einfach anders herum vor sich hinstellen musste, um die kräftigere linke Hand einsetzen zu können.
Ohne die enorme Unterstützung ihrer Familie hätte aus dem behinderten Mädchen kaum eine erfolgreiche Unternehmerin werden können. Ihr Vater, der in Giengen ein Baugeschäft betreibt, tut alles zum Wohl seiner Tochter, überrascht sie zu ihrem 27. Geburtstag mit den Plänen für eine eigene Werkstatt im elterlichen Wohnhaus. Damit Margarete von dort aus das Treiben auf der Straße verfolgen kann, entwirft er große Eckfenster, die er sich extra genehmigen lässt.
1877 ist aus der einfachen Schneiderei eine Filzkonfektionsfirma geworden, die Frauenunterröcke und Kindermäntel herstellt. Man arbeitet vor allem für eine Stuttgarter Firma, beliefert aber auch weiterhin Freunde und Verwandte in Giengen und Umgebung.
Besondere Freude bereitet Margarete das Schneidern der Kindermäntel. Als junges Mädchen saß sie sommers wie winters in einem Leiterwagen vor dem Elternhaus, um am Leben in Giengen teilhaben zu können. Frauen, die ihre harte Arbeit auf den Feldern verrichten mussten, vertrauten ihr gerne ihre Kleinkinder an. Margarete sang ihnen vor und erfand lustige und spannende Geschichten, um sie bei Laune zu halten.
Vermutlich hat diese Liebe zu Kindern ihren Blick für ein ganz besonderes Schnittmuster geschärft: Im Dezember 1879 findet sie in der Zeitschrift "Modenwelt" die Anleitung für einen "Elefanten aus Stoff als Spielzeug". Ihre mittlerweile geübten Finger stellen ihn rasch her - allerdings nicht aus dem empfohlenen Futterbarchent, einem Wäschestoff aus Baumwolle, sondern aus Filz. Das erste Stofftier und damit der Ahnherr der Teddys und Meckis meiner Kindheit ist geboren.
Es sollten aber noch einige Jahre vergehen, bis Margarete Steiff ausschließlich Stofftiere produziert. In ihrem 1883 erschienenen ersten Versandkatalog mit dem Titel "Preis-Liste des Filz-Versandt-Geschäfts von Gretchen Steiff aus Giengen a. Brz." überwiegen noch die Konfektionen. Erst auf der letzten Seite werden "Kinderspielwaren aus Filz - unverwüstlich und ungefährlich - Elefanten mit bunten Sätteln" in fünf verschiedenen Größen angeboten. "Das Fell des Elefanten", heißt es dort weiter, "ist lederzäher Filzstoff, die Füllung Filzabfälle. Kein neueres und beliebteres Kinderspielzeug am Markte." Die kuscheligen Stofftiere erobern schnell die Herzen der Kinder, die sich bislang mit hartem Spielzeug aus Holz, Metall oder Porzellan begnügen mussten. Wie schnell, belegen Zahlen: 1880 werden acht Elefanten hergestellt, drei Jahre später sind es bereits 103 und 1886 sage und schreibe 5.066! Zum Rüsseltier gesellen sich bald Affe, Esel, Pferd, Kamel, Hund, Katze und Hase. Als die Firma 1893 ins Handelsregister eingetragen wird, gehören mehr als 30 Tierarten zum Sortiment. Der Renner sind Figuren auf Gusseisenrädern, die die Kinder hinter sich herziehen können. Produziert werden sie bereits in neuen Räumen: Fritz Steiff, der 1888 die Firma seines Vaters übernommen hat, baut für seine Schwester in Giengen eine "Filz-Spielwaren-Fabrik" mit einem Ladenlokal, in dem sie ihre Stofftiere verkaufen kann.
1897 - der Jahresumsatz beträgt inzwischen 90.000 Mark - steigt Richard, der zweitälteste Sohn von Fritz Steiff, in die Firma seiner Tante ein. Bis zu ihrem Tod 1909 wird Margarete alle wichtigen Positionen in der Firma mit Familienangehörigen besetzt haben.
Noch während seiner Ausbildung an der Stuttgarter Kunstakademie verbringt Richard viele Tage im Nill'schen Tierpark, wo er Skizzen für die Schnittmuster zeichnet. Auch heute studieren Mitarbeiter der Firma Tiere in freier Wildbahn ganz genau, um entsprechende Vorlagen für die sehr lebensecht wirkenden Stofftiere erstellen zu können.
Richard Steiff ist nicht nur ein begnadeter Zeichner, er leistet für die Firma seiner Tante außerdem Pionierarbeit: Er entwirft für die aus allen Nähten platzende Fabrik neue Gebäude, die Architekturgeschichte schreiben sollen, sowie einen possierlichen Gesellen mit der Bezeichnung "Bär 55 PB", der als Teddy die Welt erobern wird.
Lange Zeit mochte man gar nicht glauben, dass Richard Steiff, der nie ein Architekturstudium absolviert hatte, tatsächlich die neuen Produktionsstätten plante. Vielmehr nennt man Walter Gropius den ersten, der für eine Fabrik eine kühne Eisen-Glas-Konstruktion erdachte, als er 1911 einen Auftrag des Fagus-Werks im niedersächsischen Alfeld erhielt.
Der erste Neubau für die Steiff-Fabrik wurde bereits 1903 errichtet. Richard Steiff schreibt 1931, er sei dem Schicksal dankbar, dass er nicht nur die grundlegenden Entscheidungen allein "ausdenken u. machen durfte", sondern dass es ihn auch den einzig richtigen Weg finden ließ. Und seine Konstruktion erweist sich als sehr solide: Während beim Fagus-Werk 40 Scheiben nach und nach aus den Verankerungen springen, bleiben dem Jungfrauenaquarium - diesen Namen tragen die Steiff-Gebäude aufgrund der vorwiegend unverheirateten Schneiderinnen und Näherinnen - größere Bauschäden erspart. 1904 und 1908 kommen zwei weitere Gebäude hinzu, bei denen das Stahltragewerk durch ein Holzrahmensystem ersetzt wird. Richards Bruder Hugo, ein Maschinenbauer, hatte sich diese Veränderung ausgedacht. So konnte er mit vorgefertigten Balken und Bohlen kostengünstiger arbeiten und war nicht auf die Firma "Eisenwerk München AG" angewiesen, die die Vorgaben Richard Steiffs 1903 umgesetzt hatte.
Die Mitarbeiterinnen sitzen nun in lichtdurchfluteten Räumen, die sich allerdings im Sommer arg aufheizen. Doch auch dafür gibt es eine Lösung: Die Scheiben streicht man kurzerhand mit Kalkfarbe, die im Winter ganz einfach wieder abzuwaschen ist. Für die Firmeninhaberin werden entsprechende Rampen konstruiert, damit sie mit dem Rollstuhl mühelos jeden Winkel ihrer Fabrikationsräume erreicht, die sich auf rund 15.000 Quadratmeter erstrecken.
Der Teddy erobert die Welt
Richard Steiff haben es während seiner Studien im Tierpark vor allem die Bären angetan. Zunächst zögert seine Tante, den Entwurf ihres Neffen für ein Stofftier mit beweglichen Gliedmaßen umzusetzen. Schließlich willigt sie ein und schickt Richard mit dem 55 Zentimeter großen beweglichen Bären aus Plüsch - daher die Bezeichnung 55 PB - 1903 zur Leipziger Frühjahrsmesse.
Ein weiteres Exemplar tritt zu Beginn desselben Jahres eine Reise nach Amerika an. Dort wird er auf den Namen Teddy getauft - nach dem Kosenamen des amerikanischen Präsidenten Theodore "Teddy" Roosevelt. Zu welchem Anlass und warum, konnte trotz intensiver Recherchen der Firma Steiff und der Familie Roosevelt nicht geklärt werden. Der Teddy verbindet beide bis heute, und so verwundert es nicht, dass die Margarete Steiff GmbH 1958 zum 100. Geburtstag von "Teddy" Roosevelt ein großes Fest in Giengen veranstaltete.
Der preisgekrönte Teddybär wird in der ganzen Welt zum Verkaufsschlager: Im Rekordjahr 1907 setzt die Firma beinahe eine Million Exemplare in unterschiedlichen Größen um. Insgesamt werden in jenem Jahr 1.700.000 Tiere und Puppen produziert.
Ein Jahr später lernt der Bär das Brummen. Der berühmte Knopf im Ohr, den alle Steifftiere seit 1904 tragen, geht auf eine Idee von Franz Steiff, ebenfalls ein Neffe von Margarete, zurück. Zunächst wird auf dem Metallknopf mit dem "Elefäntle", dessen Rüssel ein S für den Namen Steiff formt, das Tier gezeigt, das den Grundstein der Firma legte.
Die Margarete Steiff GmbH gerät durch die beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre und durch Konkurrenzunternehmen, die billigere Ware anbieten, in schwierige Situationen. Sie kann sie meistern, weil sie sich stets den Blick für Neues bewahrt. So reagierte sie in den letzten Jahren mit den Stofftieren Knut und Flocke prompt auf das Spektakel um die beiden Eisbärenbabys. Im September 2008 gelang der Firma ein weiterer Coup: Ein von Karl Lagerfeld entworfener, recht hochnäsiger Bär kam in limitierter Auflage auf den Markt.
In dem 2005 eröffneten Steiff Museum in Giengen an der Brenz, dessen Architektur an den berühmten Knopf im Ohr erinnert, sitzen die Näherinnen und erklären, wie so ein Lagerfeld-Bär entsteht. Die vielen glänzenden Augenpaare der erwachsenen Besucher lassen vermuten, dass sie mit ihren Kindern nicht ganz uneigennützig in das Erlebnismuseum kommen. Denn sie treffen dort die Gefährten aus ihrer Kindheit wieder: Teddy, Mecki und all die anderen.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
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