Barock Interieur April 2009

Die Ornamentik im Rokoko und Klassizismus

Von Zöpfen, Muscheln und Rocaillen

Die Architektur des Barock ist reich an Zierformen. Zwischen 1690 und 1735 - im Hochbarock - waren Muscheln, C-Schwünge und Bandelwerk die bevorzugten Ornamente. Danach tauchte eine neue Schmuckform auf, die dem Rokoko als Spätstil des Barocks seinen Namen gab: die Rocaille. Sie wurde in Frankreich zur Regierungszeit König Ludwigs XV. ungefähr ab 1730 geschaffen und ist in Deutschland bereits wenige Jahre später in München-Nymphenburg anzutreffen.

Rokoko in reinster Form: Links in München-Nymphenburg, im Jagdschloss Amalienburg, rechts im Spiegelkabinett des Fuldaer Stadtschlosses. 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Rokoko in reinster Form: Links in München-Nymphenburg, im Jagdschloss Amalienburg, rechts im Spiegelkabinett des Fuldaer Stadtschlosses.

Die dortige Amalienburg wurde 1734-39 unter der Leitung von François de Cuvilliés d. Ä. errichtet. In ihren von Joachim Dietrich und Johann Baptist Zimmermann überreich mit vergoldeten und versilberten Holzschnitzereien oder Stukkaturen dekorierten Innenräumen finden sich die ersten Rocaillen. Sie entwickelten sich aus dem hochbarocken Muschelwerk und den C-Schwüngen, die jetzt an ihrem äußeren oder inneren Rand mit gezackten, muschelartigen Verzierungen ausgestattet wurden. Im Bild sind die Rocaillen am unteren Rahmen des Wandbildes und an den oberen Ecken des Türrahmens zu erkennen.


Treten sie hier noch vereinzelt an eher untergeordneter Stelle auf, so beherrschen sie im Spiegelkabinett des Stadtschlosses von Fulda das gesamte Rahmenwerk von Gemälden und Spiegeln. Franz Adam Weber schuf 1757-59 die geschnitzten und vergoldeten Rahmen für die Gemälde von Johann Andreas Herrlein. Holz erlaubte besonders elegante, spritzige Formen, die durch ihre Vergoldung auf dem farbigen Untergrund von köstlicher Wirkung sind. Deutlich wird hier - gerade im Vergleich zu den zwanzig Jahre zuvor entstandenen frühen Formen in der Amalienburg - die Vorliebe des fortgeschrittenen Rokoko zur Asymmetrie sowohl in der Großform des Rahmens als auch in den Details. Bei den Wandfeldern wurden die Rocaillen bevorzugt an den Ecken oder in der Mitte der Randleisten angeordnet.

Dies in Stuck auszuführen, erforderte eine besondere Meisterschaft, die in der Schlosskapelle von Sünching, Kreis Regensburg (s. Kopfgrafik links) deutlich zu spüren ist. Auch hier leitete François de Cuvilliés in den Jahren 1760-62 die Arbeiten. Er brachte mit Franz Xaver Feichtmayr d. J. einen der brillantesten Stukkateure Deutschlands in das abgelegene Schloss. Man erkennt, dass der frei angetragene Stuck im Prozess der Abbindung geformt werden musste und der Stukkateur sich deshalb nicht korrigieren konnte. Schon der erste Schwung musste sitzen, anderenfalls blieb nur das Abschlagen und der Neubeginn.

Rokoko in Hessen: Details aus Schloss Wilhelmsthal in Calden und aus dem Festsaal im Lauterbacher Palais Hohaus 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Rokoko in Hessen: Details aus Schloss Wilhelmsthal in Calden und aus dem Festsaal im Lauterbacher Palais Hohaus

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Innenräume immer sparsamer dekoriert, und es traten im Zuge der zunehmenden Naturbegeisterung neben den Rocaillen und Profilrahmen wieder mehr naturalistische Motive auf. Ein besonders entzückendes Beispiel dafür ist in Schloss Wilhelmsthal in Calden unweit von Kassel zu finden. Für die Ausstattung der Innenräume in den Jahren 1756-61 hatte auch hier François de Cuvilliés die Leitung; die Stukkaturen stammen aus der Hand von Johann Michael Brühl. Hier hängt an einem aus der mittleren Volute herauskommenden Strick ein Ring, auf dem ein Papagei sitzt und an der Traube einer Weinrebe knabbert.

Wie sparsam die Wandgliederungen aus Stuck in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tatsächlich werden, demonstriert der Festsaal im Stadtpalais Hohaus in Lauterbach (Hessen, Vogelsbergkreis), das 1769-73 von Georg Veit Koch für General Freiherr von Riedesel erbaut wurde. Die Stukkaturen schuf Andreas Wiedemann aus Fulda. Noch beherrscht die Rocaille den oberen und unteren Teil der Wandfelder. Sie ist leicht und spritzig geformt, erhält nicht nur durch ihre malachitgrüne Farbe, sondern auch durch die blattartigen Endungen etwas Vegetabiles.

Die Rocaille ist zwischen 1735 und 1775 das dominierende Ornament des Rokoko, bei dem es sich um die Spätphase des Barock und nicht um einen eigenen Stil handelt. Von einem selbständigen Stil kann man nur dann sprechen, wenn er in allen Kunstgattungen, also auch in der Architektur und dem Städtebau, festzustellen ist. Rokoko ist aber fast ausschließlich eine Stilrichtung zur Dekoration von Innenräumen.

Mit Festons, Vasen und Friesen steht der Festsaal des Schreiberschen Hauses in Bad Arolsen für den sogenannten Zopfstil. 
© G. Kiesow
Mit Festons, Vasen und Friesen steht der Festsaal des Schreiberschen Hauses in Bad Arolsen für den sogenannten Zopfstil.

Zugleich leitete es im sogenannten Louisseize - benannt nach dem französischen König Ludwig XVI. (1774-92) - zum Klassizismus über. In Deutschland spricht man vom Zopfstil, bezogen auf die damals herrschende Mode des Zopftragens. An die Stelle der Asymmetrie in den Wandfeldern trat jetzt wieder die Symmetrie, an die Stelle der geschwungenen Formen Rechtecke. Alles wird einfacher und nüchterner, worin der Geist der Aufklärung mit der Abkehr vom üppigen Barock des Absolutismus seinen Ausdruck findet.

Der Stuck der "Bagno" genannten Konzertgalerie von 1774 (s. Kopfgrafik rechts) im Schlosspark von Burgsteinfurt (Westfalen) zeigt das Lieblingsmotiv des Zopfstils: Die langen, schmalen Laubgehänge, die man auch Festons nennt. Sie stammen aus der Antike wie auch andere Formen dieser Zeit, zum Beispiel die für die Klassik typischen Vasen und Friese aus Akanthusblättern. Man findet diese im Festsaal des Schreiberschen Hauses im hessischen Arolsen, das wahrscheinlich 1785 von der fürstlichen Rentkammer angekauft und erweitert wurde. Im Unterschied zur Prachtentfaltung im Rokoko, wie sie in der Münchner Amalienburg zum Ausdruck kommt, dominieren nun feine Zurückhaltung, zarte Formen und delikate, pastellhafte Farben. Es handelt sich bei den Wanddekorationen nicht um Stuck, sondern um Holzschnitzereien aus der Hand des Hofbildhauers Christian Friedrich Valentin, dem Lehrer des berühmten preußischen Hofbildhauers Christian Daniel Rauch. Ihm werden deshalb auch einige Teile der Reliefschnitzereien zugeschrieben.

Klassizistische Eleganz im Weimarer Schloss: der von Heinrich Gentz geschaffene Festsaal 
© G. Kiesow
Klassizistische Eleganz im Weimarer Schloss: der von Heinrich Gentz geschaffene Festsaal

Auf dem Höhepunkt des Klassizismus tritt die Ornamentik immer weiter zurück, und es dominiert auch in Innenräumen die Säule als Lieblingsmotiv einer Zeit, deren Ideal der griechische Tempel war. Goethe persönlich wirkte beim Innenausbau des Schlosses in Weimar durch den Architekten Heinrich Gentz in den Jahren 1800-03 mit. Der Festsaal besticht durch die großartige Reihung der frei vor dem schlichten Hintergrund der Wände stehenden Säulen, die nicht wie im Barock in die Wanddekorationen eingebunden sind. Der elegante Greifenfries, die in Nischen aufgestellten Statuen und die ornamentierten Kassetten der Decke sind der einzige Schmuck. Schon Winckelmann als Wegbereiter des Klassizismus pries die "Simplizität der Alten", und deshalb beschränkte man sich auf wenige Formen nach dem Vorbild der griechischen Tempel, in denen man jenen Satz des Plato verkörpert sah, "dass es notwendigerweise nur eine höchste, wahre Schönheit geben könne, und dass die Vielheit der Formen auf der Verdunklung dieser höchsten, in der Idee lebenden Urform beruhe".

Lange kann die Menschheit die Askese aber wohl nicht durchhalten, und so kehrt man im romantischen Historismus ab ungefähr 1835 wieder zu reicheren Wanddekorationen zurück. Das lässt der ehemalige Tanzsaal im Stadtschloss der Herzöge von Nassau in Wiesbaden spüren. Erbaut 1838-41 nach Plänen von Georg Moller aus Darmstadt wurde der Saal von den Brüdern Ludwig und Friedrich Wilhelm Pose aus Düsseldorf mit tanzenden Frauengestalten in reichen Ornamentrahmen ausgestaltet.

Historistisch reich geschmückt: der Tanzsaal im Wiesbadener Stadtschloss 
© G. Kiesow
Historistisch reich geschmückt: der Tanzsaal im Wiesbadener Stadtschloss

Nachdem man 1748 das 79 n. Chr. verschüttete Pompeji wiederentdeckt hatte, brach ein wahres Fieber nach seinen Wandmalereien aus. Man grub die Häuser aus, fertigte Kopien der Malereien und verbreitete sie in Stichwerken. Ludwig Pose hatte selbst Pompeji besucht und huldigte wie viele seiner Zeitgenossen der Antikenverehrung.

Die an den romantischen Historismus anschließende Gründerzeit benutzte in ihren oft überreich dekorierten Innenräumen die Summe aller Kulturepochen in einer Stilvielfalt, zu der bald auch wieder die zwischen 1775 und 1875 so verpönten Barockformen gehörten.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow

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1 Kommentare

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  • Kommentar als unangemessen melden
    Patrick Damiaens schrieb am 24.03.2016 12:23 Uhr

    Sehr interessant und angenehm zu lesen, auch eine sehr schöne Website.

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