Interviews und Statements

Interview mit Pater Valentin Ziegler vom Kloster Andechs

Wallfahrtsort und Wirtschaftsbetrieb

Im Mittelalter wurde das Handwerk des Bierbrauens besonders in den Klöstern gepflegt und weiterentwickelt. Pater Valentin Ziegler ist Mönch der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München und Andechs und ist Cellerar der Klosterbrauerei Andechs.

MO: Im Mittelalter wurde das Handwerk des Bierbrauens besonders in den Klöstern gepflegt und weiterentwickelt. Noch heute sind einige Biermarken nach Ordensgemeinschaften benannt. Welche Rolle spielt das Bier in der Geschichte des Klosters Andechs?


Pater Valentin Ziegler: Benediktinische Gastfreundschaft in Bayern und klösterliche Brautradition gehören seit Jahrhunderten zusammen. 1455 übernahmen die Benediktiner auf Geheiß des Wittelsbacher Herzogs Albrecht III. die Betreuung der Wallfahrt auf den Heiligen Berg. Von Anfang an sorgten die Andechser Mönche für das seelische und leibliche Wohl der Wallfahrer. Die Braukunst brachten sie aller Wahrscheinlichkeit nach aus ihrem Heimatkloster Tegernsee mit, einem der ältesten Benediktinerklöster auf bayerischem Boden.

Zunächst brauten die Mönche für den Eigenbedarf, verköstigten aber auch bald Pilger und Besucher, gemäß der Regel des Heiligen Benedikts "Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus". Der Andechser Reliquienschatz und die seit 1128 bestehende Wallfahrt zum Heiligen Berg, die älteste in Bayern, sind Ausgangspunkt für die organische und nachhaltige Entwicklung der Klosterbrauerei Andechs.

Bis heute prägen starke malzaromatische Biere die Braukunst der bayerischen Benediktiner. Pilger stärken sich auf dem Heiligen Berg mit diesem nahrhaften Getränk - und das nicht nur zur Fastenzeit. Die Klosterbrauerei Andechs ist eine von nur zwei Brauereien deutschlandweit, die Bockbiere ganzjährig brauen und national vertreiben.

Die Andechser Klosterbrauerei verfügt über modernste Technologie 
© R. Rossner
Die Andechser Klosterbrauerei verfügt über modernste Technologie

MO: Welche gastronomischen Einrichtungen zur Verköstigung der Pilger und Besucher befinden sich auf dem Klosterareal?

Pater Valentin Ziegler: Das "Andechser Bräustüberl" und der Klostergasthof stehen für die Vielfalt benediktinischer Gastfreundschaft auf dem Heiligen Berg. Bis zum Zweiten Weltkrieg schenkten die Mönche hier das Bier aus. Das ab Mitte des 19. Jahrhunderts bestehende "Ur-Bräustüberl" wurde im Laufe der Zeit zu klein für die zahlreichen Pilger und Besucher. Nach der kompletten Renovierung in den 1980er Jahren ist es heute als "Grützner-Stüberl" ein Raum für geschlossene Veranstaltungen. Als 1906/07 die neue Mälzerei gebaut wurde, konnte das Bräustüberl zunächst um das "Gewölbe" erweitert werden und 1938 um das geräumige "Salettl".

Während des Zweiten Weltkrieges war das Bräustüberl geschlossen. Am 19. März 1952, dem Josephi-Tag, wurde es wiedereröffnet. Am damals eingerichteten "Kiosk" holten sich alle Gäste ihre Speisen selbst. Steigende Besucherzahlen machten 1970 eine erneute Vergrößerung erforderlich. Dazu boten sich die Räumlichkeiten der "Alten Mälzerei" an, die am Osthang des Heiligen Berges liegen. Hier wurde früher aus Braugerste das Braumalz hergestellt; heute ist der Bereich zum geräumigen "Wappensaal" und dem kleineren "Mälzer-Stüberl" umgestaltet.

Der Außenbereich wird als "Terrasse" mit Blick auf das bayerische Voralpenland genutzt. Zu Ostern 1998 wurde die "Ostterrasse" angeschlossen. Entsprechend dem alten Wallfahrer-Brauch ist es dem Besucher hier und auch im Bräustüberl gestattet, zum Andechser Klosterbier seine Brotzeit selbst mitzubringen. Um das monastische Leben mit dem weltlichen in Einklang zu bringen, wird auf die klösterliche Ruhe durch den Schankschluss im Bräustüberl um 20 Uhr Rücksicht genommen.

Der traditionsreiche Klostergasthof, baulich älter als das Kloster, wurde erstmals 1438 urkundlich erwähnt. Mitte des 15. Jahrhunderts schenkte Herzog Albrecht III. die "obere Wirtschaft" dem neu gegründeten Benediktinerkloster Andechs. 1992 renovierte das Kloster den Gasthof unter Wahrung der historischen Bausubstanz.

MO: Nach der Säkularisierung kaufte König Ludwig I. 1846 das Kloster Andechs als Wirtschaftsgut für das Münchner Kloster St. Bonifaz auf. Seither wird es von Benediktinern betrieben. In welcher Form veränderte sich das klösterliche Brauereiwesen im 19. Jahrhundert und wurden die historischen Brauereigebäude für die damalige Nutzung verändert?

Der Heilige Berg 
© R. Rossner
Der Heilige Berg

Pater Valentin Ziegler: Herausragende Cellerare (Wirtschaftsleiter) prägten das Kloster Andechs, seit es 1850 Wirtschaftsgut der Abtei Sankt Bonifaz in München wurde. Der langjährige Cellerar Pater Magnus Sattler drückte den Klosterbetrieben seinen Stempel auf. Er modernisierte Kloster- und Wirtschaftsgebäude und legte den Grundstein für die erfolgreiche Fortentwicklung. 1871 ließ Pater Magnus die Brauerei auf Dampfbetrieb umstellen. 1893 wurden Fassstadel und Lagerhalle, 1894 das Sudhaus erneuert. Unter Pater Augustin Engl (Prior 1900-24) und Pater Maurus Rath (Prior 1924-51) entstanden unter anderem 1906 die Mälzerei, 1924 das Sudhaus sowie 1925 und 1958 neue Füllereianlagen.

MO: 1972 entschied sich der Konvent für den Bau einer völlig neuen Brauerei am Fuß des "Heiligen Berges", der 1984 fertig gestellt wurde. Geschah dies zum Schutz der historischen Gemäuer?

Pater Valentin Ziegler: Der Schutz der historischen Bausubstanz ist dem Kloster Andechs ein wichtiges Anliegen. Grund für den Neubau der Brauerei ab 1972 war allerdings der Platzmangel, unter dem die Klosterbrauerei aufgrund der stetig steigenden Biernachfrage ab der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gelitten hat. Ein risikobereiter Konvent und die Weitsicht von Pater Daniel Gerritzen (Cellerar 1968-86; Prior 1976-82) schufen der Klosterbrauerei durch den Neubau von 1972 bis 1984 am Fuß des Heiligen Berges Raum zur Fortentwicklung. Nach dem Füllereigebäude 1974 ging 1984 das Sudhaus mit Gär- und Lagerkeller in Betrieb. 1990/91 wurde die Flaschenfüllerei erneuert. Seit 1993 und 1997 werden auf Anregung von Abt Odilo Lechner helles und dunkles Weißbier gebraut.

MO: Welche Veränderungen waren in jüngster Zeit außerdem nötig, um das Bierbrauen mittels modernster Technologien aufrecht zu erhalten?


Pater Valentin Ziegler:  Mit der Erweiterung der Gär- und Lagerkapazitäten und der Erneuerung des Sudhauses 2005 und 2006 hat die Klosterbrauerei Andechs ein deutliches Signal gesetzt. Sie hält auch in einer Zeit immer härter umkämpfter Biermärkte an ihrer strikten Qualitätsphilosophie fest und setzt modernste Brautechnologie ein, um die benediktinische Brautradition fortzuführen. Aufgrund der konstanten Nachfrage nach Andechser Bierspezialitäten hat die Klosterbrauerei Andechs 2005/2006 ihre Produktionskapazitäten auf bis zu 150.000 Hektoliter erweitert. Ziel der Erweiterung war die nachhaltige Sicherung der hohen Qualität der Klosterbiere.

©  R. Rossner 
© R. Rossner
© R. Rossner

Mit den neuen Gär- und Lagerkapazitäten können auch in Zukunft die kalte Gärung und die lange Lagerzeit des Bieres von bis zu sechs Wochen eingehalten werden. Der 1984 errichtete Gär- und Lagerkeller wurde nach Süden verlängert. Vier Gärtanks mit einem jeweiligen Fassungsvermögen von bis zu 1.000 hl wurden im neuen Teil des Gär- und Lagerkellers aufgestellt. Der Erweiterungsbau ist so großzügig ausgelegt, dass zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf noch einmal vier zusätzliche Gär- und Lagertanks aufgestellt werden können.


Ausreichende Gär- und Lagerkapazitäten sind für die hohe Qualität der Andechser Klosterbiere von entscheidender Bedeutung. Anders als viele andere Brauereien wendet die Klosterbrauerei Andechs bei der Herstellung ihrer untergärigen Biere das sogenannte Zweitank-Verfahren an, bei dem das Jungbier nach Abschluss der Gärung nicht im Gärtank bleibt, sondern zur Lagerung in einen anderen Tank umgepumpt wird. Damit erreichen die Braumeister, dass das Jungbier in Ruhe bis zu sechs Wochen lagern und zu einem Premium-Produkt heranreifen kann.

Ende 2006 konnte die Klosterbrauerei die Erneuerung des Sudhauses und der angrenzenden Produktionsbereiche abschließen. Das Sudhaus kommt jetzt mit etwa 20% weniger Energie aus als zuvor. Vollständig erneuert wurden die Steuerungen in Sudhaus, Hefekeller, Gär- und Lagerkeller, Wasserhaus und beim Rohr- und Tankreinigungssystem. Mit den Umbaumaßnahmen konnten die Ziele, die bisherige Qualität zu sichern und alle Möglichkeiten zur Energieeinsparung auszuschöpfen, erreicht werden.

Aufgrund dieser weitsichtigen Investitionspolitik kann die Klosterbrauerei Andechs als die klösterliche Brauerei in Deutschland - entgegen einer seit Jahren rückläufigen Absatzentwicklung auf dem deutschen Biermarkt - auf eine konstant positive Absatz- und Ertragsentwicklung zurückblicken. Die strikte Konzentration auf die Herstellung von hochwertigen Bierspezialitäten auf der Basis einer glaubwürdigen Verbindung von benediktinischer Brautradition und modernster Brautechnologie zahlt sich aus.


MO: Das gastronomische und kulturelle Angebot von Kloster Andechs lockt jährlich etwa eine Million Besucher aus der ganzen Welt zum Heiligen Berg. Ist die barocke Bausubstanz durch die touristische Nutzung eventuell gefährdet?


Pater Valentin Ziegler:  Dauerhafter Schutz der historischen Bausubstanz ist für uns Mönche die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung des Klosters Andechs als Wallfahrtsort und Wirtschaftsgut der Abtei Sankt Bonifaz in München. Ein abgestimmter Katalog von Maßnahmen greift hier wirksam. Zum Beispiel wird die Andechser Wallfahrtskirche ihrem Zweck entsprechend genutzt. Sie ist kein Museum, sondern ein Raum für liturgische Feiern wie Gottesdienste für die weit über 120 Pilgergruppen, die jährlich auf den Heiligen Berg kommen. Führungen finden daher nur in begrenzter Zahl und außerhalb der Gottesdienstzeiten statt. Sehr genau achten wir darauf, dass der hervorragende Zustand der Wallfahrtskirche nach der Gesamtrenovierung von 2000 bis 2005 erhalten bleibt. Aus diesem Grund sind besonders sensible Bereiche wie der Altarraum, der Chorumgang und die Empore für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Um einer vorzeitigen Verrußung vorzubeugen, ist für das Abbrennen von Kerzen schon vor längerer Zeit die Versöhnungskapelle ausgestaltet worden, die an den Ostchor angrenzt und nur von außen betreten werden kann.

Blick auf die Brauereigebäude 
© R. Rossner
Blick auf die Brauereigebäude

MO: Wie bringen die Benediktinermönche das klösterliche Ordensleben mit ihrer Arbeit für das inzwischen weltweit exportierende Andechser Wirtschaftsunternehmen in Einklang?


Pater Valentin Ziegler: Wir Mönche engagieren uns in der Seelsorge für die Wallfahrer und die Pfarrgemeinden in der Umgebung des Heiligen Berges. Wir sind zugleich in verantwortlichen Positionen der Wirtschaftsbetriebe tätig: in der Klosterbrauerei, im Andechser Bräustüberl, im Klosterladen und in der Kultur- und Veranstaltungsgesellschaft.

Wirtschaftlich tätig zu sein, ist für uns Mönche kein notwendiges Übel. "Bete und arbeite", das "Leitwort" der benediktinischen Ordensfamilie, zeigt dies ganz deutlich. So schreibt auch der Heilige Benedikt in seiner Regel im 48. Kapitel über die Handarbeit und die Lesung: Die Mönche "sind dann wirklich Mönche, wenn sie wie unsere Väter und die Apostel von ihrer Hände Arbeit leben". Ebenso gilt, was Benedikt im 43. Kapitel der Regel schreibt: "Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden". Jeder Mönch und jede klösterliche Gemeinschaft brauchen diese maßvolle Zuordnung von Gebet und Arbeit für eine geistliche Entwicklung mit Bodenhaftung. Feste gemeinsame Gebets- und Mahlzeiten helfen uns, den Ausgleich zur Arbeit in der Seelsorge oder in den Wirtschaftsbetrieben zu finden und zu wahren. So entsteht zwischen Gebet und Arbeit eine fruchtbare Spannung, die die benediktinische Gemeinschaft auf dem Heiligen Berg seit nunmehr über 550 Jahren durch alle Höhen und Tiefen getragen hat.

Das Interview führte Julia Ricker

Zur Person:   Pater Valentin Ziegler, Jahrgang 1969, absolvierte eine Ausbildung zum Winzergehilfen in Sankt Martin (Pfalz). Seit 1992 ist er Mönch der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München und Andechs. Pater Valentin wirkt als Seelsorger in den Pfarrgemeinden Erling, Andechs und Machtlfing. Er ist Cellerar der Klosterbrauerei Andechs sowie Mitglied des Wirtschaftsrates der Abtei.


Zum Weiterlesen:
Eine kleine Kulturgeschichte des Bierbrauens

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