Kleine und große Kirchen Februar 2009
Es ist uns die befremdliche Anzeige geschehen, dass jenseitige (d. h. die evangelischen) Kirchenpfleger sich unterstanden haben, ohne unser Vorwissen und Einwilligung zerschiednes in der Hospitalkirche verändern, und vorhabens seien, solche ausmalen zu lassen", empörten sich 1774 die katholischen Stadträte von Dinkelsbühl.
Außerdem sei "das neue Gewölbe, so und dergestalt widerrechtlich hergestellt worden, dass im Fall, so Gott verhüten wolle, eine Feuersbrunst ausbrechen würde, man schlechterdings das Gebäude nicht mehr retten könnte". Sie sollten recht behalten, andererseits auch wieder nicht. Zwar wurde nicht das gefürchtete Feuer zum Problem, dennoch rächt sich heute, 250 Jahre später, der reichlich robuste Eingriff der damaligen Bauleute in die Dachkonstruktion der Dinkelsbühler Spitalkirche: Sie musste im Sommer 2006 wegen Einsturzgefahr gesperrt werden.
Aber beginnen wir mit der Geschichte von vorne: Dinkelsbühl wird erstmals 1188 erwähnt und in dieser Zeit von Friedrich Barbarossa zur Stadt erhoben. Ab 1355 Freie Reichsstadt gibt der Rat den Gang der Dinge in der wohlhabenden Handels- und Handwerksstadt vor. Man weiß wenig über die Hospitalgründung Heilig Geist in Dinkelsbühl, auch nicht, wer den Anstoß gab, in der Nähe der Hauptkirche St. Georg ab 1282 ein ganzes Viertel für die Armen und Kranken, die Siechen und Alten zu errichten. Aber schnell ist auch der Stadtrat interessiert. Er übernimmt die Verwaltung, lässt sich das vom Papst bestätigen und stellt ab 1369 die Spitalmeister. Heute führt uns der Name Hospital schnell auf eine falsche Fährte. Denn diese Einrichtungen waren keineswegs von Anfang an zur medizinisch ausgerichteten Pflege ihrer Insassen gedacht, vielmehr bestand der Sinn darin, den Kranken Seelenheil in Form von Messen und Gottesdiensten und vielleicht noch ein Wannenbad mit auf den beschwerlichen Weg zu geben. Der Mittelpunkt eines jeden Hospitals war die Kirche, vom Krankenlager möglichst gut erreichbar oder direkt einsehbar. In Dinkelsbühl entstand um 1280 eine Spitalkirche, die, auch nachdem sie um 1380 grundlegend umgebaut wurde, vom Bettensaal lediglich durch eine Tür getrennt war.
Heute ist diese Tür hinter Putz verborgen und nur für Wissende mit dem Auge nachvollziehbar. Noch einiges mehr ist in der Dinkelsbühler Spitalkirche hinter weißem Putz verschwunden, denn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entschloss man sich, aus dem mittelalterlichen Bau eine elegante protestantische Barockkirche zu machen. Von den Protestanten genutzt wurde die Heilig-Geist-Kirche schon seit 1532 - in Dinkelsbühl gab es seit den ersten Tagen der Reformation evangelische Strömungen. Man brauchte, weil die große Stadtkirche St. Georg nach den Wirren des 30-jährigen Kriegs den Katholiken zugesprochen worden war, mehr Platz: Tiefe Emporen im Westen und Süden schufen auch im oberen Geschoss Raum für mehrere Bankreihen, die Ostwand erhielt ebenfalls eine Empore - sie trägt die Orgel mit dem barocken Prospekt -, und an die Nordwand setzte man eine Kanzel aus Stuckmarmor.
Wenig erinnert in dem nahezu quadratischen Raum seit 1773/74 an die Vorgängerkirchen. Nur den Durchgangsbogen zum Chor und diesen selbst mit seinen mittelalterlichen Wandmalereien ließ man stehen.
Die Protestanten in Dinkelsbühl hatten sich also einen sehr evangelischen Predigtsaal mit den typischen Komponenten geschaffen: den Emporen, der Kanzel und der Orgel über dem Altar. Aber man war hier in Franken auch nicht weit entfernt von den Zentren des Hochbarock, die während des 18. Jahrhunderts pulsierten und Erstaunliches vollbrachten, auch und vor allem in der Kunst der Freskenmalerei.
Mit Tiepolos Deckengemälde als Mittel- und Höhepunkt hatte um 1750 in Würzburg zum Beispiel der Fürstbischof das Treppenhaus seiner Residenz für seine politische Selbstdarstellung zu einem grandiosen Gesamtkunstwerk gestalten lassen. Die katholischen Kirchen und Klöster im Süddeutschen waren in ihren Formen immer verspielter, raffinierter, berauschter geworden. Sie versuchten, den Betrachter mittels illusionistischer Tricks in eine andere Welt zu führen.
Mit ihren Deckengemälden sprengten sie den realen Raum durch einen gemalten, inszenierten sie Himmelsausblicke, in denen biblische Gestalten direkt vom Irdischen in die göttliche Unendlichkeit oder umgekehrt zu schweben scheinen. Das reizte auch die Kirchenvorderen von Dinkelsbühl. Trotz der eher nüchternen Betsaal-Atmosphäre sollte die Spitalkirche ein prächtiges Deckengemälde erhalten.
Man beauftragte Johann Nieberlein aus Ellwangen. Er war ein erfahrener Künstler und schon in mehreren Kirchen der Umgebung als Deckenmaler tätig gewesen.
Als Malgrund benötigte er jedoch eine gewölbte Fläche: Auf eine Flachdecke, wie sie die Spitalkirche seit dem Mittelalter zu bieten hatte, konnte er nicht die Illusionen zaubern, die gewünscht waren. Auf ihr konnte er nicht mit Scheinarchitekturen den Kirchenraum gen Himmel ziehen, konnte er nicht um die gemalte Öffnung biblische Szenen anordnen, die, von Engeln begleitet, den Triumph Christi zeigen sollten. Und er hätte auf ihr auch nicht über all dem schließlich in dräuenden Wolken die Dreieinigkeit Gottes zeigen können: das Auge Jahwes, die Taube des Heiligen Geistes und Jesus am Kreuz, das auf einer Weltkugel stehend - umgeben von Personifikationen der damals bekannten vier Kontinente - vom Himmel hinab zum Rand des Gemäldes, also zu uns, weist, um Trost zu spenden.
So wurde die Flachdecke beseitigt und, wie 1775 die Dinkelsbühler Protestanten verkünden konnten, "das ganze obere Balkenwerk herausgeschnitten und ein neues Gewölb eingemacht." Wie unbekümmert man diese Maßnahme durchführte, lässt sich noch heute im Dachstuhl der Spitalkirche sehen: Die störenden Zerrbalken wurden kurzerhand abgesägt und zur Seite geworfen - zum Entsetzen der katholischen Ratsleute, die kräftig schimpften und Schlimmes vorhersahen. Wobei im Hintergrund wohl weniger die Sorge um den Kirchenbau stand als der zähe Streit um die Zuständigkeit und das ewige Misstrauen zwischen Protestanten und Katholiken in der Stadt.
Die erzürnten Herren sollten, wie bereits erwähnt, leider recht behalten. Denn die vermeintlich federleichte Deckenillusion drückt schwer auf die Kirchenkonstruktion. Ohne die Zerrbalken werden die horizontal wirkenden Spreizkräfte ungebremst auf die Außenmauern abgeleitet. 2006 stellte man bei routinemäßig geplanten Malerarbeiten mit Schrecken fest, dass sich die Wände schon um 15 Zentimeter nach außen geneigt haben, weil sich das Gewölbe gesenkt hat. Als man sich per Gerüst dem Deckengemälde näherte, sah man in tiefe und vor allem auch neue Risse - quer durch Sonnenstrahlen, Wolken und Engelsgesichter. Die Lage ließ laut Statiker keine andere Entscheidung zu: Die Kirche musste aus sicherheitstechnischen Gründen geschlossen werden.
Seitdem sind die Türen abgesperrt, ein Gerüst nimmt den gesamten Innenraum ein, der Fußboden ist sorgfältig abgedeckt, die Epitaphien liegen, Rahmen an Rahmen, im Chor. Zuganker wurden zur Notsicherung eingezogen, und es steht fest: Eine umfassende Dachstuhlsanierung ist dringend notwendig. Gefordert sind gleichermaßen die Stadt Dinkelsbühl, als Verwalterin der Hospitalstiftung für das Gebäudeäußere zuständig, und die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Dinkelsbühl als Verantwortliche für das Kircheninnere. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist man sich heute vollkommen einig, dass man gemeinsam handeln muss, denn die Kirche ist ein beliebter und eigentlich gern besuchter Mittelpunkt der Stadt. Bis heute dient das Hospital als Altenheim.
Schließlich hat man auch einen Ruf zu verlieren, steht Dinkelsbühl an der Romantischen Straße doch für ein sorgfältig gepflegtes, einmalig erhaltenes historisches Stadtbild. Vereint sucht man Förderer. Es drängt, denn schon wurden die voraussichtlichen Sanierungskosten von einer Million auf 1,22 Millionen Euro nach oben korrigiert. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte Dinkelsbühl unterstützen. Helfen Sie mit, dass die Arbeiten schnell beginnen können. Denn ein Himmelreich voller Risse kann keiner gebrauchen!
Beatrice Härig
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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