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Loriots Taufkirche St. Gotthardt in Brandenburg

Keine Chance für die Steinlaus

Vom männlichen Standpunkt aus betrachtet", schreibt Vicco von Bülow über seine erste Liebe, "zeigte ich mich schon anläßlich meiner Taufe von einer beklagenswert unergiebigen Seite. Damals beabsichtigte noch ein weiterer, mir unbekannter weiblicher Säugling, sich am selben Tage taufen zu lassen. Kirchlicherseits war man auf diesen Andrang offensichtlich weder räumlich noch moralisch vorbereitet, denn wir wurden bis zum Beginn der Feierlichkeiten abseits in einen gemeinsamen Wagen gebettet. Für Säuglinge von heute unbegreiflich: Ich mißachtete die Gunst der Stunde."

Die Stadt Brandenburg schenkt Loriot zu seinem 85. Geburtstag die Sanierung seiner Taufkirche. 
© Vicco-von-Bülow-Stiftung
Die Stadt Brandenburg schenkt Loriot zu seinem 85. Geburtstag die Sanierung seiner Taufkirche.

Vicco von Bülow, der uns später unter dem Künstlernamen Loriot amüsante Fernsehstunden bescherte, feierte kürzlich seinen 85. Geburtstag. Die Stadt Brandenburg nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, um Spenden für die Sanierung seiner Taufkirche St. Gotthardt zu erbitten, und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) möchte sie dabei unterstützen.

Die Stiftung verdankt Vicco von Bülow sehr viel, denn ohne seinen Spendenaufruf im Jahr 1996 wäre es ihr niemals möglich gewesen, rund 2,8 Millionen Euro für die dringend erforderliche Sicherung und Sanierung des Brandenburger Dom-Ensembles bereitzustellen. Außerdem konnte die DSD aufgrund einer zweckgebundenen Spende der Vicco-von-Bülow-Stiftung - sie begleitet in Brandenburg an der Havel die Pflege historischer Bauwerke und soziale Projekte - die Restaurierung eines wertvollen Chorgitters in der Gotthardtkirche fördern.

Nun geht es um die vor 1472 errichtete ehemalige Taufkapelle von St. Gotthardt, der früheren Altstadt- und Ratskirche. Sie ist in einem beklagenswerten Zustand, kann zur Zeit nicht genutzt werden, weil ihr zum Glück mittlerweile saniertes Dach viele Jahre lang undicht war und das eindringende Regenwasser das entzückende Sterngewölbe und den Putz mit der mittelalterlichen Inschrift sehr stark geschädigt hat.

Das Altarbild ist nur eines der Ausstattungsstücke, die dringend restauriert werden müssen. 
© ML Preiss
Das Altarbild ist nur eines der Ausstattungsstücke, die dringend restauriert werden müssen.

Die Ausstattung der Kapelle hat ebenfalls dramatisch unter der anhaltenden Feuchtigkeit gelitten. Nicht ganz so schlimm hat es den monumentalen Altaraufsatz getroffen, den Carl Gottfried Pfannschmidt - einer der führenden Kirchen- und Historienmaler des 19. Jahrhunderts und Schüler von Peter von Cornelius und Johann Gottfried Schadow - 1874 für St. Gotthardt schuf. Doch auch an diesem wertvollen Stück, das sich seit 1947 an der Westwand der Kapelle befindet, haben sich einige Verzierungen gelöst, und es ist vollkommen verzogen. Schlechter dran ist das Epitaph des ehemaligen Superintendenten Andreas Prätorius aus dem Jahr 1675: Es ist stark verrußt, die Darstellung daher kaum zu erkennen, und die einzelnen Farbschichten lösen sich in großen Schollen ab. Häufchen von Holzmehl unter der Trennwand zum Kirchenraum und dem Chorgestühl - beide neobarock - zeugen von ganzen Holzwurm-Armaden, die es sich nicht nur in der Kapelle, sondern auch schon in anderen Kunstwerken der Gotthardtkirche schmecken lassen.

Unweigerlich muss man an die Geschichte von der Steinlaus denken, mit der Loriot die legendäre Fernsehsendung von Professor Bernhard Grzimek "Ein Platz für Tiere" parodierte. "Mit bloßem Auge ist die Steinlaus nicht erkennbar", lässt Loriot den Zoologen sagen. "Der Appetit einer geschlechtsreifen Steinlaus ist erstaunlich. Etwa 28 Kilogramm Beton und Ziegelsteine benötigt das Männchen zur täglichen Sättigung (...) während der Schwangerschaft verzehrt das Weibchen fast das Doppelte. Natürlich konnten die kleinen Tierchen nicht unterscheiden, ob ein Haus noch benutzt wurde oder nicht. Darunter litten allerlei öffentliche Gebäude, hier und da auch mal ein Gotteshaus", heißt es weiter. Dank tierliebender Architekten, die "in jüngster Zeit reichliche Nahrung für Tausende von Steinlausfamilien bereitgestellt haben", wachse die Population.

Die dramatischen Schäden im Inneren der Nordkapelle sind nicht zu übersehen. 
© ML Preiss
Die dramatischen Schäden im Inneren der Nordkapelle sind nicht zu übersehen.

Das Tierchen war sogar dem altehrwürdigen medizinischen Wörterbuch Pschyrembel einen Eintrag wert, wo von Studien über den Einsatz des gefräßigen Nagers bei der Therapie von Gallen- oder Nierensteinen berichtet wird.

Auch wenn der "possierliche kleine Kerl" in der ehemaligen Taufkapelle von St. Gotthardt nicht nachgewiesen werden konnte, sind die mittelalterliche Raumfassung und Ausstattung der Kapelle sehr gefährdet. Alles in allem wird die Restaurierung der Kapelle 85.000 Euro verschlingen. Jeder Euro, den die Bewohner der Havelstadt für ihren Ehrenbürger spenden, soll aus dem Stadtsäckel bis zu einer Höhe von 20.000 Euro verdoppelt werden.

Unter diesem Baldachin wurde Loriot getauft. 
© ML Preiss
Unter diesem Baldachin wurde Loriot getauft.

Wir wissen nicht, ob der Jubilar spontan "Ach was!" ausrief, als er von der Aktion zu seinem 85. Geburtstag erfuhr. Er schrieb jedoch, dass er sich sehr darüber freue. Auch wenn er nur seine ersten vier Lebensjahre in Brandenburg verbracht hat, fühlt er sich seiner Heimatstadt bis heute verbunden. Mehr als 60 Jahre nach seiner Geburt am 12. November 1923 und seiner Taufe anderthalb Monate später war er im Mai 1985 das erste Mal wieder dort - zur Eröffnung einer Ausstellung mit seinen Karikaturen im Brandenburger Dom. "Was mir dort an Herzlichkeit entgegengebracht wurde, war vielleicht das Bewegendste, was ich je erlebt habe. Dass unter dem Dach der Kirche Menschen zusammensaßen, die einander sonst nicht begegnen, die sehr verschiedener Herkunft, verschiedener politischer Ansichten waren - es war ein Augenblick großen Glücks", erinnert sich Vicco von Bülow. Drei Jahre später gab es von seinem ersten Spielfilm "Ödipussi" zwei Premieren: nachmittags um vier in einem Ostberliner Kino und abends im Westteil der Stadt.

Es mache Mut, sagte Vicco von Bülow 1993 in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung, dass es in Brandenburg noch einige Bauwerke gebe, die zu retten seien: "wunderschön wie eh und je. Aber die Aufgabe im Ganzen ist groß. Vieles ist dahin, nicht mehr zu erhalten." Daher bitten wir Sie, liebe Leserin und lieber Leser: Helfen Sie mit, Loriots Taufkirche für die folgenden Generationen zu bewahren. Damit sich unsere Kinder und Enkel nicht nur an den zauberhaften Knollennasenmännchen und hintergründigen Texten des Jubilars, sondern auch an einem kostbaren Bauwerk erfreuen können, das 1923 den festlichen Rahmen für seine Taufe bot.

Carola Nathan

Literaturtipp:
Loriot - Gesammelte Prosa

Grafik rechte Spalte: Blick auf die außen bereits sanierte Gotthardtkirche und die ehemalige Taufkapelle

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3 Kommentare

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    Friedegard Littwin schrieb am 24.03.2016 12:20 Uhr

    Mit großer Freude habe ich mir die Kirche angesehen. Ich bin zwar in Gelsenkirchen aufgewachsen, wurde aber am 20.2.1944 in dieser Kirche getauft.

    Auf diesen Kommentar antworten
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    Hans-Georg Binder schrieb am 24.03.2016 12:21 Uhr

    Loriot ist tot. Es schließt sich ein Lebenskreis, der an dieser Stelle im Mai 1985 aus Sicht von Loriot einen emotionalen Höhepunkt darstellte. Seine Schilderung des Besuches in St. Gotthardt war herzerweichend. Möge er Ruhe finden.

    Auf diesen Kommentar antworten
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    Rainer D. Lemcke schrieb am 24.03.2016 12:21 Uhr

    Wir waren ergriffen, als wir 2008 in Brandenburg-Stadt St. Gotthardt besuchten, aber auch berührt vom teilweise bedauerlichen Zustand! Nun diese Nachricht und das von unserem Lieblingshumoristen Loriot. Es gibt schöne Momente mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz!

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