Landschaften, Parks und Friedhöfe Dezember 2008
Ein Morgen im Herbst: Schiffe schieben sich durch den aufsteigenden Nebel übers Wasser, fahles Licht scheint durch den Dunst, das Laub der Weinberge leuchtet, Wolkenfelder geben geheimnisvoll Burgruinen frei. Wer jemals eine solche Stimmung in der dramatischen Naturkulisse des Mittelrheintals erlebt hat, der kann alle Brentanos, Heines und Mary Shelleys dieser Welt verstehen, der spürt, dass dies immer eine Gegend der Reisenden, der Schauenden und Staunenden bleiben wird; der begreift, warum der Mittelrhein ein besonderes Erbe der Menschheit ist, auch immer bleiben wird und darum besonders intensiv gepflegt werden will.
Es brauchte nur ein bisschen Geduld, bis man sich auf eine gemeinsame Art und Weise der Pflege geeinigt hat. Zumal die ersten Überlegungen zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste bereits 1977 stattfanden und erst einmal gute 30 Jahre reifen mussten. Leuchtend blau flattert die Fahne hoch über dem Rhein bei Braubach. Auf einer Zinne der Marksburg ist sie gehisst, und schaut man genauer hin, verkündet auf ihr ein stolzer Schriftzug, dass das Obere Mittelrheintal seit 2002 auf der UNESCO-Welterbeliste steht. Weit schweift der Blick über das so unzählige Male besungene, oft verklärte Flusstal: Rund 65 Kilometer Rhein und mit ihm 30 Ortschaften und ein Weinbaugebiet mit elf Großlagen gehören seit sechs Jahren zum Club der edelsten, wichtigsten und erhaltenswertesten Stätten der Menschheit. Außerdem zählen untrennbar dazu: zwei der befahrensten Bahnlinien Europas und zwei Bundesstraßen. Und mehr als 30 Burgen, die sich auf den Höhen des Mittelrheins zwischen Koblenz und Rüdesheim beziehungsweise Bingen quasi einander in die Kemenaten gucken können. Die Marksburg ist eine davon. Sie enttäuscht den mittelalterbegeisterten Besucher nicht: Die Führung beginnt bei Kanonen im Burghof, zeigt martialische Rüstungen, einen riesigen Küchenkamin, den einzigen Abort, der - Tücke des damaligen Miteinanders - über dem südlichen Zwingerweg hängt, und endet im romanischen Palas, in dem heute eine Schau-Folterkammer eingerichtet ist. Gerade hier, gegenüber von Daumenschrauben und Streckbank, hängt die Metalltafel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Aber das soll kein Zeichen zur Besorgnis sein: Schon viele Jahre arbeitet sie mit der Deutschen Burgenvereinigung zusammen, die seit 1900 Besitzerin der Marksburg ist.
Die 1899 gegründete Deutsche Burgenvereinigung und der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz von 1906 sind wohl die ältesten Organisationen, die sich um den Mittelrhein kümmern. Aber sie sind nicht die einzigen. Sechs Jahre nach der Zuerkennung des Welterbestatus stößt man auf eine verwirrende Anzahl von Initiativen. Ihre Präsenz scheint sich jedoch, real oder virtuell im Internet, auf ebenso verwirrende Weise bei näherem Hinschauen aufzulösen. So wenig der Kulturwert der Burgen - ob nun mittelalterlich ruinös oder preußisch aufgehübscht - schon allein wegen seiner Rolle für den traditionsreichen Rheintourismus angezweifelt wird, desto mehr bedrückt das Erscheinungsbild vieler Orte unten am Wasser. Manch guter Wille nach der Anfangseuphorie der UNESCO-Auszeichnung scheint am bröselnden Putz der zwischen Bahngleisen und Bundesstraßen eingezwängten Häuser aufgerieben worden zu sein. Nicht wenige Häuser starren aus toten Augen, der Leerstand ist vor allem am rechten Rheinufer erschreckend und ein Ende des Wegzugs nicht in Sicht. Ein Welterbe, in dem keiner mehr wohnen mag, von immenser historischer Bedeutung, staatlich anerkannt, aber ohne Zukunft? "Nein, überhaupt nicht", sagt Torsten Raab, der neue Geschäftsführer des Zweckverbands UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal, in seinem Büro in St. Goarshausen.
Der Zweckverband, dessen nüchterner Name hoffentlich in keinem direkten Zusammenhang mit der Rheinromantik steht, hat eine der schwierigsten Aufgaben zu lösen: Denn zum Welterbe Mittelrhein gehören nicht nur Burgen, Kirchen, Fachwerkhäuser, Weingüter und Stadtmauern, sondern auch zwei Landesregierungen, 48 Städte und Gemeinden, vier Landräte und viele Bürgermeister. Diese im Geiste und am Tisch zusammen zu bringen, erfordert Geschick und Überzeugungsarbeit. Dass etwas geschehen muss, darüber sind sich - fast - alle einig: Bausünden vergangener Zeiten entstellen das Gesicht des Tales, auf den Höhen zersiedeln Neubaugebiete die Landschaft, die Gastronomie ist bis auf wenige, ambitionierte Restaurants und Winzer hoffnungslos veraltet, der Bahnlärm ist immens, das Erscheinungsbild wirkt oft vernachlässigt.
Es hätte schon eine Weile des Anlaufs gebraucht, sagt Zweckverbandsvorsteher Landrat Bertram Fleck, aber nun sei man auf dem richtigen Weg. Die ersten Ergebnisse seien schon sichtbar, und zahlreiche Konzepte würden gerade erarbeitet. Er erzählt von den Uferpromenaden, die in mehreren Orten neu gestaltet werden. Er erwähnt den Baukultur-Wettbewerb, mit dem die Leute zu qualitätvollen Neu- und Umbauten ermutigt werden sollen und vor allem dazu, in den schwierigen Ortslagen überhaupt zu bauen.
Welterbemanager Raab berichtet von der neuen Jugendherberge in Kaub und von den zehn Bahnhöfen im Tal, die die Deutsche Bahn verkauft und die zu einladenden Vinotheken, Gaststätten oder Touristinformationen umfunktioniert werden sollen, denn ein verfallender Bahnhof sei - recht hat er - kein schönes Entree in eine Stadt. Immer mehr Gastronomen würden sich außerdem der Idee der "Welterbe-Gastgeber" anschließen. Schließlich verweist er auf das neue grün-gelbe Logo mit dem abstrahierten Rheinverlauf, das - in einem Wettbewerb ausgeschrieben und prämiert - auf Fahnen und großen Hinweisstelen entlang des gesamten Welterbebereichs Gemeinsamkeit schaffen soll. Doch wo ist das strahlende, tatkräftige Blau des ursprünglichen Logos geblieben? Abgeschafft, bald wohl auch auf der Marksburg.
Ein heiseres Hupen erklingt: für die Mitarbeiter Zeichen der nahenden Mittagspause, denn jeden Tag zur selben Zeit passiert die "Goethe", der fast 100 Jahre alte Schaufelraddampfer, St. Goarshausen. Zusammen mit der Ruine Rheinfels auf der anderen Rheinseite bildet das Schiff eine grandiose Kulisse - Rheinromantik pur als Panorama für das Zweckverbandbüro, Arbeitsmotivation zum Nulltarif. Doch der Schein trügt leider: Die "Goethe" ist wegen geplanter Umrüstung ein akut bedrohtes Denkmal. Und dreht man dem Rhein den Rücken und verlässt das Gebäude durch die Vorderseite, fällt man fast auf die B 42 und schaut gegenüber auf ein leerstehendes, gräulich-gelbes Wohnhaus mit einem großen Riss quer durch alle Stockwerke.
Das neue Logo scheint in der Tat ein Sinnbild für die Zukunft des Mittelrheintals zu sein. Denn neu ist es, aber Gemeinsamkeit schafft es noch lange nicht. Trotz Auszeichnung stößt es nicht überall auf Gegenliebe. Liegt das wirklich nur an den Farben, die vielen nicht gefallen? Für Dr. Randolf Kauer, Winzer im schmucken Bacharach und Professor für ökologischen Weinbau an der Fachhochschule Geisenheim, ist es selbstverständlich, seine Etiketten und Weinkisten mit dem Hinweis auf den Welterbestatus seiner Weinberge zu versehen. Er hat sich 2002 sehr über die UNESCO-Auszeichnung gefreut, empfindet sie als Ehre und sieht seine Weinbauer-Arbeit als das, was sie ist: aktiver Denkmalschutz.
Denn wer das Obere Mittelrheintal als Kulturlandschaft pflegen will, darf nicht nur auf die Baudenkmale, sondern muss auch auf die Weinberge achten. Gerade in Bacharach gehört das fachwerkgeprägte Stadtbild untrennbar zusammen mit dem Wein, der seit römischen Zeiten die Landschaft am Mittelrhein formt und eine einmalige Flora und Fauna hervorgebracht hat. Ein Blick auf die Zahlen lässt aber einen dramatischen Wandel deutlich werden: Im Mittelalter, zur Hochphase des hiesigen Weinanbaus, wurden 4.500 Hektar bewirtschaftet, um 1900 waren es noch rund 2.000 Hektar, in den 1970er Jahren circa 700, und heute stehen auf wenigen 430 Hektar Weinreben. Der Rest liegt brach. Viele der früheren Terrassensteillagen, so pittoresk anzuschauen wie mühselig zu bewirtschaften, wurden vor 30 Jahren flurbereinigt. Kleinere Terrassen verschwanden zugunsten größerer Parzellen, die Trockenmauern wurden abgetragen, um mechanisierter und billiger arbeiten zu können und gegenüber anderen Weinanbaugebieten eine Chance zu bewahren. Selbst an der Mosel gibt es wesentlich mehr Anbaufläche in der Ebene, erläutert Kauer und erklärt damit den dramatischen Rückgang der Winzerbetriebe.
Doch er findet: "Die Welterbegeschichte ist ein Riesenpfund. Wir müssen die Hausaufgaben machen, die uns die UNESCO aufgegeben hat" und spricht damit die Rekultivierung aufgelassener Weinberge an, aber auch den Aufbau einer hochwertigen Gastronomie für den reisenden Weingenießer. Denn an den Rhein kommen seit einiger Zeit ausgesprochene Weinspezialisten, die von der hohen Qualität der Mittelrhein-Rieslinge schwärmen, die froh sind, dass die Zeiten der legendären billigen Massenwarenproduktion vorbei sind. Und er weist auf einen Wandel der ganz anderen Art hin: Seit einiger Zeit - der Klimaveränderung ist es geschuldet - entwickeln mittelmäßige Lagen neue Qualität, das bedeute vielleicht auch neue Chancen für neue Winzer. Eine "positiv vom Menschen beeinflusste Naturlandschaft" nennt er den Steillagenweinbau am Mittelrhein, die möchte er bewahren, und es gelingt ihm mit überzeugenden Ergebnissen: Das Glitzern des Schiefers fülle er in Flaschen, bescheinigen ihm Weinkritiker.
Sechs Jahre UNESCO-Welterbe. Und keiner hat's gemerkt?", fragt provokativ Andreas Bitz vom Mittelrhein-Besucherzentrum im Bacharacher Posthof, einem idyllischen historischen Gasthof direkt unterhalb der Wernerkapelle, und bohrt damit den Finger in die Wunde. Das territorial zersplitterte Tal müsse sich endlich als zusammenhängende Region verstehen, eine eigene Identität als UNESCO-Region aufbauen, Lethargie und Stagnation überwinden. Mit seiner fordernden und selbstbewussten Art macht er sich nicht nur Freunde, aber einige seiner Ansichten werden von vielen geteilt: Zum Beispiel das Unverständnis - und das teilt er mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Professor Dr. Gottfried Kiesow - gegenüber den Befürwortern der Rheinquerungspläne über den landschaftlich so sensiblen Mittelrhein in der Nähe der Loreley, die zur ernsthaften Gefährdung des Welterbe-Status führen können und die die deutschen Vertreter des Internationalen Rates für Denkmalpflege entsetzt. Oder seine Warnung vor dem unseligen Vorurteil, Denkmalpflege und Naturschutz ausschließlich als Hemmnis für eine ökonomische Entwicklung anzusehen.
Auch Bitz liegt besonders die Förderung des Weinbaus am Herzen. "Steillagenwein" müsse ein eigenes Label werden und eine höhere Wertschätzung erlangen. Zur Zeit schickt er Ziegen in die Hänge oberhalb des Posthofes, um einer weiteren Verbuschung auf natürliche Weise entgegenzuwirken.
Das Weingebiet Mittelrhein: "Es gibt sehr gute Weingüter dort", sagt Weinkennerin Natalie Lumpp, aber es mache nicht auf sich aufmerksam, "es ist so überhaupt nicht laut". Die Einschätzung der Sommelière aus Baden-Baden ist übertragbar auf das gesamte UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal. Das klingt zunächst paradox, denn verbindet man mit dem Mittelrhein nicht gerade den lärmenden, dröhnenden Tagestourismus einer Drosselgasse in Rüdesheim, die Schunkeltruppe vom Ausflugsdampfer, die auf Landgang durch die Gassen zieht und wie ein Relikt aus vergangenen Tourismus-Jahrzehnten scheint? Das gibt es natürlich auch - aber nur in wenigen Monaten im Jahr und an sehr wenigen Stellen.
Viel häufiger findet man sich in einer erstaunlichen Einsamkeit wieder. Ein Alleinsein, das in ausgebluteten Orten ziemlich traurig werden kann, an anderer Stelle aber von erhebender Schönheit ist. Dann nämlich, wenn man sich auf die Höhen der Ufer begibt und sich aufmacht, den Wegen des Rheinsteigs zu folgen. Die Einrichtung dieses Fernwanderwegs ist das sichtbarste, bundesweit am meisten beachtete Erfolgskonzept der letzten Jahre, das den zurückgehenden Tourismus auf niveauvolle Weise wiederbelebt. Mit professioneller Pressebegleitung - nicht laut, aber überzeugend - wurde der Rheinsteig von Bonn bis Wiesbaden ausgearbeitet. Kernstück ist der Teil durchs Obere Mittelrheingebiet, unangefochtene Königsetappe die Tagestour von Kaub bis St. Goarshausen. Das touristische Angebot ist neu, die Schönheit der Landschaft nicht.
Immer wieder führt die Strecke von den Wiesen, Feldern und Wäldern der Höhe an Aussichtspunkte, die atemberaubende Blicke ins Rheintal ermöglichen. Und siehe da: Die ganzen Probleme von Bahn, Straße, Rhein und steilem Berg auf engstem Raum, hier lösen sie sich auf in eine reine Modelleisenbahn-Idylle. Ehrfurcht empfindet man vor der Natur, die in Jahrmillionen dieses schroffe Tal erschaffen hat. Verständnis hat man für die Angst der Schiffer, die hier an der Loreley um die scharfen Felsen navigieren mussten - was noch heute trotz modernster Hilfsmittel abenteuerlich gefährlich aussieht - und sich ihre Angst mit Geschichten über die geheimnisvolle blonde Frau von der Seele erzählten. Rührend erscheint die Begeisterung vergangener Zeiten über den Fortschritt der Technik, als man für die Eisenbahn nicht nur schöne Bahnhöfe baute, sondern die Tunneleingänge mit aufwendigen Portalen verzierte. Von oben sieht jede Bahn, die in diesen zinnengerahmten Mündern verschwindet, ja selbst jeder LKW, der sich auf den schmalen Straßen um die Berghänge windet, wie Spielzeug aus. Die Phantasie verwandelt die Straßen in Treidelpfade, lässt römische Transportschiffe anlegen, mittelalterliche Zollstationen auferstehen. Dazu die Städtchen mit ihren Kirchturmspitzen, die Weinhänge, die Burgen: Da ist sie, die Rheinromantik - unzerstörbar und einfach nur schön.
Beatrice Härig
Einen Literaturtipp zum Oberen Mittelrheintal finden Sie hier
- Bacharach: Postenturm und Wernerkapelle
- Bacharach-Steeg: Burgruine Stahlberg
- Boppard-Hirzenach: Dorfkirche
- Braubach: Marksburg
- Kaub: Blüchermuseum
- Koblenz-Horchheim: Mendelssohn'sches Teehaus, jetzt Kapelle und romanisches Haus
- Lahnstein: Johanniskirche, Martinsburg und Martinskirche
- Oberwesel: Stadtbefestigung und Martinskirche
- Rheindiebach: Burgruine Fürstenberg
- Spay: Peterskapelle
- Trechtingshausen: Burg Rheinstein und Alte Dorfkirche
- Stiftung Stadtmauer Oberwesel
- Dres. Ursula und Justus Keudel-Stiftung für die Peterskapelle in Spay
- Gemeinschaftsstiftung Historische Gärten für die Wiederherstellung des Renaissancegartens von Schloss Philippsburg in Braubach
Interview
Ein Expertengespräch zum Thema mit dem Vorsitzenden des UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V. lesen Sie hier
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
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