Juni 2008

Der Gasthof "Zum Eichenkranz" im Wörlitzer Gartenreich verfällt

Weltkulturerbe in Gefahr!

Die Erwartungen könnten nicht höher sein, wenn sich Besucher dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich nähern. 800.000 Menschen kommen jedes Jahr mit Reisebussen oder auf eigene Faust, um sich den vielgerühmten Landschaftsgarten anzuschauen. Inzwischen wurden Prachtbände über dieses Wunderwerk der Aufklärung veröffentlicht und stimmungsvolle Dokumentationen im Fernsehen ausgestrahlt. Broschüren mit Programmen für Gondelfahrten und Konzerte machen einen Besuch noch verlockender. Was aber im Gedächtnis jedes Einzelnen hängenbleibt und wirklich zählt, ist der ganz persönliche - oft der erste - Eindruck.

Das Entree zum Landschaftspark: Der Gasthof "Zum Eichenkranz".  
© ML Preiss
Das Entree zum Landschaftspark: Der Gasthof "Zum Eichenkranz".

Wenn Touristen dann das dreiflügelige Torhaus passieren, sind viele schockiert: Das Entree zum Landschaftsgarten ist derzeit alles andere als einladend, auch wenn die Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches seit April 2005 ihr Bestes tut, um das aufgrund von Streitigkeiten der Erbengemeinschaft vernachlässigte, seit 1996 leerstehende Gebäude zu retten. Der Verein übernahm das mächtige Torhaus, das einmal als Gasthof diente, für 90 Jahre von der Stadt Wörlitz und kämpft seither um die Substanz des vermodernden Fachwerkbaus und mit dem undichten Dach. Er wurde inzwischen mit Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz notgesichert.

Um eine Idee von der einstigen Schönheit des Gasthofes "Zum Eichenkranz" zu bekommen, der ab 1785 sehr wahrscheinlich nach Plänen des Schloss-Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff errichtet wurde, muss man die Phantasie anstrengen: den abgeschlagenen Putz, das provisorisch mit grüner Folie gedeckte Dach und die verfaulten Fenster ignorieren, sich die blätternden Tapetenschichten im Inneren wegdenken, die zerstoßenen Kamine und den bröckelnden Stuck im Geist vervollständigen. Dann entsteht vor unseren Augen wieder das Bild eines Gasthofes, wie er in seinen goldenen Jahren einmal aussah: zur Stadt hin eine breitgelagerte, behäbige Dreiflügelanlage, deren Fachwerk sich an den schmucken, aber einfachen Ort anpasst, und auf der Seeseite - welche Überraschung! - ein eleganter klassizistischer Putzbau mit schlanken neogotischen Fenstern und Ecktürmen in vier Geschossen. So überliefert auf einer historischen Darstellung von Johann Friedrich Nagel aus dem Jahr 1793.

Fotografie macht das Elend erträglich: Aus der Ferne beeindruckt der verfallende Gasthof.  
© ML Preiss
Fotografie macht das Elend erträglich: Aus der Ferne beeindruckt der verfallende Gasthof.

In jenen besseren Zeiten logierten hier die Baumeister David und Friedrich Gilly, Karl Friedrich Schinkel, die Dichter Ludwig Tieck und Friedrich Hölderlin, Novalis und Theodor Körner. Johann Wolfgang von Goethe, der seine Christiane in Briefen immer wieder dazu drängte, ins paradiesische Wörlitz zu fahren, kam mehrmals, natürlich auch, um wie alle anderen mit dem Fürsten Franz und seinen Gästen über die Aufklärung zu debattieren. Die meisten dieser Wörlitz-Pilger, für die das Gartenreich gebaute Philosophie darstellte, übernachteten einst im "Eichenkranz". Damals hieß er einfach "der Gasthof". Wegen seiner romantischen Aussicht auf den Park, der geschmackvoll möblierten Zimmer und nicht zuletzt auch wegen seines Weinkellers war er berühmt. Vermutlich richtete Fürst Franz selbst die Räume ein. Er verwaltete sein Gästehaus bis 1818.

Der Fürst hatte bei seinem Aufenthalt in England die Sitte kennengelernt, Gäste in einem Seitenflügel des Schlosses oder in einer abseits gelegenen Villa einzuquartieren, damit sie, abgesehen von ein paar Stunden am Tag, die sie beim Gastgeber weilten, ihre Zeit frei und zwanglos verbringen konnten. Das dürfte den Freigeistern gefallen haben!

Nach dem Deckenstuck hieß der große Saal einst "Sonne".  
© ML Preiss
Nach dem Deckenstuck hieß der große Saal einst "Sonne".

Seine Weltoffenheit dokumentierte Franz, indem er die Suiten nicht einfach durchnumerierte, sondern ihnen die Namen bekannter Kulturmetropolen wie Amsterdam, London, Paris oder Zürich gab. Ganz nach englischem Muster stand den Gästen als Aufenthaltsraum die sogenannte Sonne bereit, ein lichtdurchfluteter Saal im Hauptgeschoss. Der heute im Raum schwebende Geruch von Schimmel und Moder treibt einem Tränen in die Augen, ganz zu schweigen von dem vielfach überpinselten Deckenstuck, dessen Tierkreiszeichen rund um die goldene Sonne so gar nichts Zartes und Feines mehr ausstrahlen.

Verständlicherweise hätte die Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches am liebsten ein Hotel im "Eichenkranz" eingerichtet, um die glückliche, gesellige Zeit wiederaufleben zu lassen. Die Räumlichkeiten entsprechen aber überhaupt nicht mehr heutigen Standards, und der Gasthof würde im Inneren zerstört, wenn man ihn wie früher nutzen wollte.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte dem engagierten Verein und der Eigentümerin - das ist die Stadt Wörlitz - helfen. Beide können das Geld für die Sanierung nicht allein aufbringen. Weltkulturerbe verpflichtet, und die Dessauer Region ist leider ein strukturschwaches Gebiet, jedoch reich gesegnet mit Kunstschätzen! Die gilt es mit vereinten Kräften zu erhalten, weil die Menschen am Ort oft überfordert sind. Im Sommer wird im Ballsaal des Gasthofes gemeinsam mit dem DeutschlandRadio ein Grundton D-Konzert der "King´s Singers" zugunsten des "Eichenkranzes" stattfinden. Denn nichts ist schlimmer für ein Denkmal als Leerstand. Das britische Vokalensemble, das am 19. September auftritt, passt perfekt zum Geist des englisch geprägten Gasthofes.

Einen traurigen Anblick bietet zur Zeit das provisorisch gedeckte Dach des Gasthofes.  
© ML Preiss
Einen traurigen Anblick bietet zur Zeit das provisorisch gedeckte Dach des Gasthofes.

Dort stehen die Zeichen auf Hoffnung: Trotz aller Schwierigkeiten wurde ein Laden im Erdgeschoss eröffnet, und im restaurierten Badehaus nebenan zog eine Glasdesignerin ein. Die grundlegende Sanierung aber braucht langen Atem und viele helfende Hände. Für Notsicherungen rief der Geschäftsführer der Gesellschaft, Dr. Walter Keddi, Freiwillige aus der Region, damit die Kosten nicht allzusehr ansteigen.

Ziel aller Engagierten ist es, den "Eichenkranz" wieder zum Mittelpunkt im Leben von Wörlitz zu machen. Besuchern soll künftig ein Tourismusbüro Auskunft über das Land Sachsen-Anhalt und seine Reize geben. Ortsansässige und Liebhaber des Gartenreiches werden einmal die Möglichkeit haben, im Sonnensaal oder in einem der Kaminzimmer private Feste zu feiern. Hier am Torhaus, an der Nahtstelle zwischen dem Ort und dem Gartenreich, geht es um weit mehr als nur um einen historischen Gasthof. Der "Eichenkranz" ist ein Aushängeschild für den Denkmalschutz, an dem Hunderttausende Besucher aus dem In- und dem Ausland jedes Jahr vorbeikommen: Helfen Sie mit, seinem weiteren Verfall entgegenzuwirken, damit ein lange übersehener Teil des Weltkulturerbes Dessau-Wörlitzer Gartenreich bewahrt werden kann!

Dr. Christiane Schillig

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