Sehen und Erkennen Juni 2008 P
Die Gestalt von Kirchen wird sowohl im Äußeren, besonders aber im Inneren von der Gottesdienstordnung der jeweiligen Konfession bestimmt. Dabei stehen die katholischen Sakralbauten in der Tradition des Mittelalters. Sie haben dennoch eine spürbare Entwicklung durchgemacht, zuletzt ausgelöst durch die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962-65.
Die Reformation war für die sakrale Baukunst der stärkste Einschnitt, jedoch nicht gleichermaßen für alle protestantischen Gemeinden, sehr viel stärker für die reformierten als für die lutherischen. Im Marburger Religionsgespräch konnten 1529 Luther und Zwingli in der Abendmahlslehre zu keiner Einigung gelangen, was die Spaltung der Protestanten und damit unterschiedliche Konzepte im Kirchenbau zur Folge hatte. Während sich Luther gegen einen Bildersturm wandte, führte das absolute Bilderverbot der Reformierten zum Ausräumen der mittelalterlichen Kirchen. Calvin und Zwingli wollten die Rückführung auf die reine Lehre des Frühchristentums, das gemäß dem Ersten Gebot wie die beiden anderen im Vorderen Orient entstandenen großen Religionen keine Bildnisse duldete. Dies war die Reaktion auf die Vielheit der Götter in der ägyptischen, griechischen und römischen Kultur, auf die unzähligen Statuen, die in allen Tempeln und auf den Marktplätzen standen. So vertrieb Paulus um 54 n. Chr. in Ephesos die Devotionalien-Händler aus dem Tempel der Diana mit den Worten: "Es sind nicht Götter, die von Händen gemacht sind" (Apostelgeschichte 19, 26). Die griechisch-orthodoxe Kirche tolerierte schließlich das gemalte Bildnis Gottes, die weströmische auch das plastische. Die Reformierten aber halten wie Juden und Muslime bis heute am strikten Bilderverbot fest, nicht dagegen Katholiken und Lutheraner.
Da beide protestantischen Glaubensgemeinschaften in Ostfriesland nebeneinander bestehen, ist diese dicht mit Kirchen besetzte Kulturlandschaft zum Vergleich besonders geeignet, um die Unterschiede für den Kunstreisenden auf den ersten Blick deutlich zu machen. Als 1962 in der reformierten Kirche von Eilsum in der Apsis figürliche Wandmalereien mit dem Bildnis Christi entdeckt wurden, durften sie auf Anweisung des Kirchenpräsidenten nur sichtbar bleiben, wenn der ehemalige Chor durch eine verglaste Sprossenwand abgetrennt wurde, die Bilder also nicht im eigentlichen Kirchenraum zu sehen sind.
Außer dem Bilderverbot ist der zweite Grundsatz der calvinistischen Lehre die Ablehnung eines steinernen Altars, wie er dem Urchristentum als Reaktion auf die heidnischen Opferstätten fremd war. Die Reformierten haben anstelle eines steinernen Altarblocks einen hölzernen Abendmahlstisch. Für sie ist die Kirche kein geheiligter Raum, der geweiht oder bei Aufgabe der religiösen Nutzung entweiht werden muss. Deshalb lehnen sie auch einen besonderen Chorraum ab. Als sich ihre Gemeinden nach der Reformation in den mittelalterlichen Kirchen einrichteten, entfernten sie nicht nur alle figürlichen Darstellungen, sondern trennten wie in Hinte den ehemaligen Chor durch eine hölzerne Schranke vom Kirchenschiff ab. Er dient hier als Grablege für die örtlichen Häuptlingsfamilien und mit der umlaufenden Bank für die Sitzungen des Kirchenvorstands. Weil er nicht zur eigentlichen Kirche gehört, konnte die spätgotische Malerei mit Christus als Weltenrichter im Gewölbe bei der letzten Innenrenovierung freigelegt werden.
Bei der Dorfkirche von Buttforde erkennt man schon auf den ersten Blick, dass sie lutherisch ist, denn man sieht an den Wänden und an der Brüstung der Orgelempore viele Bilder, ferner durch den Mittelbogen des Lettners die steinerne Mensa eines mittelalterlichen Altars und darauf den geschnitzten Schrein eines gotischen Flügelaltars in einer 1656 geschaffenen frühbarocken Rahmung. Man behielt hier also die mittelalterlich-katholische Ordnung bei, funktionierte nur den Lettner zu einer Orgelempore um, während er ursprünglich den liturgischen Gesängen der Priester und dem Verlesen der Bibeltexte diente.
Analog zur unterschiedlichen Neugestaltung bestehender mittelalterlicher Sakralräume gingen Calvinisten und Lutheraner auch bei den wenigen großen Neubauten des 17. Jahrhunderts verschiedene Wege.
Für die Reformierten nimmt dabei die 1642-48 in Emden erbaute Neue Kirche eine Schlüsselrolle ein. Zwar konnte sich der Baumeister Martin Faber am Vorbild der Norderkerk von 1621-23 in Amsterdam orientieren, gestaltete den Bau jedoch noch konsequenter im Sinne der calvinistischen Lehre, denn er verwendete nur drei statt der in Amsterdam vier Flügel eines griechischen Kreuzes, da ja ein besonderer Chor nicht gewünscht war. So stehen Kanzel, Taufständer und Abendmahlstisch vor der Mitte der Südwand, zumal die Reformierten einen Zwang zur Ostung wie im Mittelalter ablehnten. In die Winkel des T-förmigen Baues fügte Faber in niedrige Annexräume die Eingangsportale und die Treppen zu den Emporen ein. Diese umschließen an drei Seiten den quergerichteten Raum (s. Kopfgrafik links) und dienen dem gewachsenen Platzbedarf, ähnlich wie auch im lutherischen Kirchenbau. Im Unterschied dazu vermeiden katholische Kirchen bis heute Emporen als Sitzplätze für Kirchenbesucher.
Zieht man zum Vergleich die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel heran, fällt schon beim Patrozinium dieses protestantischen Neubaues von 1608-26 die größere Nähe der Lutheraner zum Mittelalter auf, gleicht sie doch im Grundriss einer gotischen dreischiffigen Hallenkirche mit Querschiff und polygonaler Chorapsis. Anstelle eines zentralen Predigtraums verwendet der Baumeister Paul Francke den langgestreckten, auf das Allerheiligste im Chor ausgerichteten Prozessionsraum. Vom Charakter einer gotischen Hallenkirche trennen nur die Pfeiler mit ihren hohen Postamenten und antikisierenden Kapitellen die großartige Schöpfung Paul Franckes. Auch darin äußert sich der konservative Geist der Niedersachsen und die zunächst von den Lutheranern eingenommene Mittlerrolle zwischen Katholizismus und Calvinisten.
Die Entwicklung zu einem eigenständigen lutherischen Kirchenbau begann in den Schlosskapellen der lutherischen Landesherren, in denen wie 1588-90 in der Schmalkaldener Wilhelmsburg doppelgeschossige Emporen alle Seiten des Raumes umschließen. An der einen - dem Fürstenstuhl gegenüberliegenden - Seite sind übereinander Altar, Kanzel und Orgel angeordnet als die drei Elemente protestantischer Gottesdienstordnung von Liturgie, Wortverkündigung und Kirchenmusik.
Von hier aus führt der Weg über Zwischenstufen zu der Inkunabel lutherischen Kirchenbaus, der 1726-43 von George Bähr erbauten Frauenkirche in Dresden. Als konsequent geformter Zentralbau mit einem kreisförmigen Inneren, umschlossen von vier Treppenhäusern, drei Risaliten für die Eingangsportale und einem aus dem Kreis entwickelten Chorraum ermöglicht er, sehr viele Menschen auf begrenztem Raum so unterzubringen, dass alle eine gute Sicht auch von den Emporen auf die Chorapsis (s. Kopfgrafik rechts) mit der Kanzel ganz unten, dem darüberstehenden Altar und der bekrönenden Orgel haben.
Wie froh und dankbar können wir sein, dass die Dresdner und alle ihre Helfer von fern und nah nicht müde wurden, diese einmalige Realisierung lutherischen Kirchenbaues wiedererstehen zu lassen.
Professor Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
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