Kleine und große Kirchen Gotik Menschen für Denkmale Dezember 2007
Im Dezember fällt das Glauben leicht. Nach diesigen Novembertagen schimmert durch Kerzenlicht Hoffnung in die dunkle Zeit und wird das Gemüt vom Punsch auf den Weihnachtsmärkten erwärmt. Das Stimmungsbarometer ist ab dem ersten Advent auf Milde eingestellt. Dann füllen sich - und dies ist schon Tradition - die Kirchen wieder. Zwar besichtigen Liebhaber sakraler Kunst im Laufe des Jahres auf Reisen oder zum Atemholen nach dem Einkauf immer mal wieder Gotteshäuser. Aber zu Beginn der Messen verlassen sie sie meist.
In Freiburg, mit dem von Bürgern errichteten mittelalterlichen Münster im Zentrum, wo sich zum Wochenmarkt jeden Tag viele Tausend Menschen treffen und die Besucherströme aus dem Schwarzwald zusammenkommen, scheint die Welt auch außerhalb der Adventszeit noch in Ordnung: Fest verankert in der Geschichte der Stadt erhebt sich der schlanke, elegante Bau - nicht so sehr himmelwärts strebend wie seine großen Brüder in Straßburg oder Köln. Er ist wie die wohlhabenden Freiburger, die ihr Geld in ihre Glaubensburg anlegten, selbstbewusst und diesseitsbezogen, geerdet durch die satte, rote Farbe des Sandsteins.
Der prägnante Maßwerkturm ist zur Grundsanierung eingerüstet. Auch das Strebewerk im Süden wird bearbeitet. Obwohl Baulärm eindringt und im Inneren die Apostel unter Plastikplanen verschwunden sind, gibt es doch im Strom der Besucher Momente der Stille und der Besinnung im Kirchenraum. Alle lassen sich von der thronenden, schimmernden Madonna anlocken, vergessen beim Anzünden eines Lichts den Alltag um sich herum. Während der Mittagsandacht werden die Touristen, darunter viele junge Leute, ins Leben der Gemeinde einbezogen und freundlich aufgefordert, Platz zu nehmen, gedacht als Einladung und nicht als Pflichtübung. Fast kein Besucher verlässt die Kirche, fast jeder genießt das von zeitgenössischen Klängen durchsetzte Orgelspiel und hört der Vorbeterin zu. Auch an einem ganz normalen Wochentag wie bei unserem Besuch im Oktober.
Andernorts muss man in "Zeiten der Ebbe", wenn, so drückt Dompfarrer Claudius Stoffel es aus, "der Glaube erlahmt", auf die Menschen zugehen, sie zu Hause besuchen, "missionieren", wie dies inzwischen Pastoren auf dem Land tun, damit ihnen die Gemeinde nicht ganz verlorengeht. In Freiburg strömen sie von selbst in die Kirche und zwar nicht nur, um die klugen Jungfrauen der Turmhalle, den Holbein-Altar oder das fein gearbeitete spätromanische Kruzifix zu bestaunen, sondern um Spiritualität zu erleben. Das Freiburger Münster ist ein schönes Beispiel dafür, wie eine Kirche als sakraler Raum und als Magnet für Kulturinteressierte eine gelungene Doppelexistenz führt. So wäre es auch anderen Gemeinden zu wünschen. Sicher, das prächtige dreischiffige Münster mit seinem langgestreckten hohen, hellen Chor und den bei jedem Schritt neue Perspektiven eröffnenden Kranz der Kapellen hat es leicht, Aufmerksamkeit zu erregen: mitten in einer lebendigen Stadt, die gesegnet ist mit ihrem angenehmen Klima und unzähligen Sonnenstunden im Jahr.
Den monumentalen Neubau der Kirche gab um 1200 vermutlich Berthold V., der letzte Zähringer-Herzog - ein Geschlecht, dessen Herrschaft Teile der heutigen Schweiz umfasste -, in Auftrag. Da Berthold ohne männliche Nachkommen blieb, starben mit seinem Tod 1218 die Zähringer aus, und die Grafen von Freiburg waren vorübergehend für den Bau verantwortlich. Ende des 13. Jahrhunderts übernahm der Stadtrat die Leitung der Arbeiten. Damit wurde das Münster Angelegenheit der durch den Silberbergbau reich gewordenen Bürger. Mit enormem Eifer und großzügigen Spenden bauten sie ihre Pfarrkirche mit nur einem Turm - zwei waren üblicherweise den Bischofskirchen vorbehalten. Und mit diesem einen Turm gelangten sie in bis dahin unbekannte Höhen von 116 Metern. Ehrgeizig ließen sie alles nach neuesten künstlerischen Entwicklungen gestalten. Zur Zeit des Münsterbaus zählte Freiburg zirka 6.000 Einwohner. Heute sind es rund 200.000.
Drei oder vier "Münsterpfleger" aus den Reihen des Stadtrates führten damals die Aufsicht über den Baubetrieb und beauftragten die Baumeister und Handwerker. Kern der "Münsterfabrik" war die Bauhütte, in der die Steinmetze organisiert waren. Bezeichnenderweise wurde sie von einem Geistlichen, dem sogenannten Fabrikschaffner oder Hüttenherrn, geleitet.
Durchschnittlich arbeiteten sieben bis zehn Steinmetze an der Kirche. Dazu kamen die anderen Bauhandwerker, die Maurer, Zimmerleute und Glaser. Zur Zeit sind wegen der Sanierung des Turms insgesamt 25 Steinmetze und Bildhauer in der Hütte beschäftigt.
Eines der denkwürdigsten Ereignisse in der Geschichte des Münsters war der Luftangriff im Zweiten Weltkrieg. Er ging nahezu spurlos an der Kirche vorüber. 15 Meter vor dem nördlichen Querschiff schlug eine Luftmine ein. Sie beschädigte zwar das Dach, und Maßwerk, Strebepfeiler, Fialen, Kreuzblumen, Galerien und Baldachine stürzten herab, aber verglichen mit den Schäden anderer Kathedralen blieb das Münster fast unangetastet. Die Freiburger glaubten sich unter dem besonderen Schutz ihrer unerschütterlichen Kirche. In wunderbarer Weise erfüllte sich die Vision des Dichters Reinhold Schneider. Er hatte zehn Monate vor dem Angriff am 27. November 1944 ein Sonett verfasst:
"Steh' unzerstörbar herrlich im Gemüte, Du großer Beter glaubensmächtiger Zeit! Wie dich verklärt des Tages Herrlichkeit, Wenn längst des Tages Herrlichkeit verglühte. So will ich bitten, dass ich treulich hüte, Das Heilige, das Du ausstrahlst in den Streit Und will ein Turm sein in der Dunkelheit, Des Lichtes Träger, das der Welt erblühte (...) Du wirst nicht fallen, mein geliebter Turm (...)."
Weil das Münster aus einer mittelalterlichen Bürgerstiftung hervorgegangen ist - inzwischen verwaltet vom Münsterfabrikfonds -, betrachten die Freiburger "ihre" Kirche noch immer voller Stolz und sehen jede Restaurierung und jedes neue Ausstattungsstück als "Bürgersache" an. Ein beeindruckender Hinweis auf diese lange Tradition sind die weitgehend originalen mittelalterlichen Glasmalereien der Seitenschifffenster. Sie wurden von den Handwerkerzünften, Bergleuten und wohlhabenden Freiburger Familien gestiftet und sind an ihren Zunftzeichen wie der Brezel am berühmten "Bäckerfenster" und dem Schuhmacherstiefel, Schmiedewerkzeugen oder den Bergbauszenen in den unteren Fensterzeilen zu erkennen. Ihr tiefrot glühendes und intensiv blaues Licht schimmert aus der hochgotischen Epoche um 1330/40 in die weltliche Jetztzeit herüber.
Glücklicherweise, so berichtet die Münsterbaumeisterin Yvonne Faller, gibt es ein reges Gemeindeleben. Dazu gehören auch zum Teil heftig geführte Diskussionen wie um den 2006 aufgestellten neuen Hauptaltar und seine kubische Form, die den meisten unbeholfen erscheint. Dass der Altarraum umgestaltet wurde, erhitzt noch immer die Gemüter. Der um 1505 entstandene Dreikönigs-Altar ist seither in eine Kapelle verbannt und nur noch zu besonderen Öffnungszeiten gegen Eintritt zu besichtigen. Heute haben Eltern keine Möglichkeit mehr, ihren Kindern den jedes Jahr als Weihnachtskrippe geschmückten Altar zu zeigen, bedauert ein Gemeindemitglied zutiefst.
Daneben gibt es viel positives Engagement und glückliches Zusammenspiel: Über das erst sechs Jahre alte Glasfenster rechts des südlichen Chorportals, das die Heilige Teresia Benedicta (Edith Stein) als barfüßige Karmeliterin verewigt, ist man allgemein begeistert. Bei der Gestaltung durch einen zeitgenössischen Künstler fällt die Spannung zwischen Natur und Vision ins Auge: Ihr Gesicht ist völlig realistisch einer Fotografie nachgebildet, während vier abstrakte Segmente eines Nimbus die Heilige wie ein Firmament umstrahlen.
Die Bäcker sind noch immer aktiv am Kirchengeschehen beteiligt. Die Innung kündigte anlässlich ihres bevorstehenden 125-jährigen Bestehens eine Stiftung an. Aus ihrer Schatulle zahlte eine Dame, die von ihrem Fenster jeden Tag auf einen nackten Strebepfeiler blicken musste, die Wiederherstellung des Schmucks. Den Pfeiler zieren nun wieder Fialen und Krabben wie vor dem Krieg. Auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützt das Rettungswerk in Freiburg mit Überzeugung. Der schlanke gotische Turm, dessen roter Sandstein zu mehr als 75 Prozent aus der Bauzeit ab 1270 stammt, trägt einen der ganz wenigen im Mittelalter vollendeten Turmhelme und ist mit seinen ausgewogenen Proportionen etwas ganz Besonderes. Der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt (1818-1897) bezeichnete ihn auf einem Baseler Vortrag euphorisch als den "schönsten Turm auf Erden". Vier Jahre soll es dauern, sein bröckelndes Maßwerk zu konservieren und zu ergänzen.
Das Münster ist ein Bau der Hoffnung, eine frohe Botschaft für alle, die zweifeln - gerade auch an der Macht der Denkmalpflege. Denn einen geweihten Raum wird man auf Dauer nur als solchen bewahren können, wenn die Münsterbauhütte und die Dompfarrei zusammenwirken, wenn Sakrales mit der kostbaren Architektur und Malerei eine Einheit bildet. Dies scheint mit der Münsterbaumeisterin Yvonne Faller, die eine gute Denkmalpflegerin ist und erfolgreich Spenden einwirbt, und dem weltaufgeschlossenen Dompfarrer Claudius Stoffel bestens zu gelingen. Da stören selbst Gerüste und Planen die feierlichen Messen nicht. Passenderweise predigt Pfarrer Stoffel an einem goldenen Oktobertag - nicht zu Weihnachten - über Glaubenszweifel und Durststrecken, die es zu überwinden gilt.
Christiane Schillig
Literatur:
Konrad Kunze: Himmel in Stein. Das Freiburger Münster. Vom Sinn mittelalterlicher Kirchenbauten. 13. Aufl. der Gesamtausgabe. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2007. ISBN 978-3-451-29254-5
Heike Mittmann: Das Münster zu Freiburg im Breisgau. Hrsg. vom Freiburger Münsterbauverein, 4. überarb. Auflage. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2007. ISBN 978-3-933784-26-1
Emil Spath: Botschaft der Liebe. Der Hauptraum des Freiburger Münsters III. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg 2007. ISBN 978-3-89870-383-3
Gottfried Schramm (Hrsg.): Das Freiburger Münster. Der "schönste Turm der Christenheit". Kleine Freiburger Reihe Band 2. Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau 2005. ISBN 978-3-7930-9429-4
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
Antwort auf: Direkt auf das Thema antworten
© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn
Spenden | Kontakt | Impressum | Datenschutz