Interviews und Statements

Interview mit der Münsterbaumeisterin Yvonne Faller

Das Freiburger Münster

Interview mit Yvonne Faller, seit 2005 Münsterbaumeisterin und freie Architektin in Freiburg.

MO: Das Freiburger Münster ist ein herausragendes Beispiel für den Kunstbetrieb und das bürgerliche Selbstbewusstsein des Mittelalters. Das gewaltige Bauwerk wurde von etwa 1200 bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts aus dem Sandstein der näheren Umgebung errichtet und gehört zu den wenigen großen gotischen Kirchen, die noch in mittelalterlicher Zeit einschließlich ihres Turmes fertiggestellt wurden. Als katholische Pfarr-, Stadt- und Bürgerkirche der Stadt Freiburg erbaut, wurde das Münster 1821/27 zum Bischofssitz der neu gegründeten Erzdiözese Freiburg und aus dem Münsterpfarrer wurde der Dompfarrer. Welche unterschiedlichen Bedeutungen liegen den Begriffen Dom und Münster zugrunde?


Yvonne Faller: Auf diese Frage kann ich leider keine präzise und eindeutige Antwort geben, es bestehen nach wie vor Interpretationsmöglichkeiten, vor allem, was die Bezeichnung Münster betrifft. Beim Dom ist es etwas einfacher, ein Dom ist eine Bischofskirche, ist die entsprechende deutsche Bezeichnung für Kathedrale, es ist der Sitz eines Erzbischofes. Das Freiburger Münster könnte seit 1827 als Dom bezeichnet werden, da in diesem Jahr der Sitz des Erzbistums von Konstanz nach Freiburg verlegt wurde. Einige Institutionen am Freiburger Münster tragen auch die entsprechenden Namen so z. B. Dompfarrer, Domsingschule, Domprobst, Domdekan und einige andere. Dennoch werden viele Kathedralen, die als solche gebaut wurden, Münster genannt. So z. B. Straßburg, Basel und Konstanz. Und um die Verwirrung noch größer zu machen, wird die ehemalige Klosterkirche in St. Blasien Dom genannt, ohne dass dieser Kirchenbau jemals eine Bischofskirche war. Auf die Frage, was die Bezeichnung Münster bedeutet, gibt es keine eindeutigen Antworten. Der Name leitet sich von monasterium (Kloster) ab, obwohl der Kirchenbau z. B. in Freiburg nicht mit einem Kloster verbunden war. Viele Großkirchen in der Region werden als Münster bezeichnet (Breisach, Radolfzell), dennoch handelt es sich nicht um eine regionale Namensgebung, da auch weiter nördlich zahlreiche Kirchen als Münster bezeichnet werden.

MO: Die rechtliche Situation des Freiburger Münsters ist eine ganz besondere, denn von Beginn an gehörte das Gebäude juristisch gesehen nicht der Kirche. Wem gehört das Münster?

Wasserspeier in Gestalt grotesker tierischer oder menschlicher Wesen dienen zur Ableitung des Regenwassers. 
© Roland Rossner
Wasserspeier in Gestalt grotesker tierischer oder menschlicher Wesen dienen zur Ableitung des Regenwassers.

Yvonne Faller: Auch diese Frage ist nicht so eindeutig zu beantworten und sehr komplex. Ich kann nur eine stark vereinfachte Zusammenfassung liefern. Im Grundbuch eingetragene Eigentümerin des Münsters ist auch heute noch die Münsterfabrik ("fabrica ecclesiae"), eine Institution die bereits im Mittelalter gegründet wurde. Zwar begannen die Herzöge von Zähringen um 1200 mit dem Kirchenbau, sie trugen am Anfang den Hauptaufwand für Bau und Ausstattung, das Münster "gehörte" sozusagen ihnen. Mitte des 13. Jahrhunderts übernahm jedoch die Freiburger Bürgerschaft die Verantwortung und finanzierte über Stiftungen Weiterbau und Fertigstellung des Münsters. Bereits 1314 war zum ersten Mal von der "fabrica ecclesiae" die Rede. Diese Institution umfasst den Münsterbau und den zu seiner Erhaltung bestimmten Fonds, da für die Verwaltung und die Verteilung der Mittel eine entsprechende Organisation nötig war. Die Münsterfabrik blieb auch selbständig und baupflichtig, als das Münster 1464 der Universität "einverleibt" wurde. Schwieriger wurde es später, als 1827 das Münster zur Kathedralkirche erhoben wurde. Es wurde eine entsprechende Domfabrik gegründet, welche die Rechte am Freiburger Münster jedoch nur hinsichtlich der Nutznießung hat. Die Zuständigkeiten am Münster wurden klar aufgeteilt: Der Domfabrik obliegt es, die Bedürfnisse des Kathedralgottesdienstes zu sichern, die Münsterfabrik ist verantwortlich für den Pfarrgottesdienst. Auch die Zuständigkeiten für Orgeln, Glocken und Turmuhr sind minutiös aufgeteilt.

MO: Neben dem Münsterfabrikfonds trägt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts der Münsterbauverein zum Erhalt des Baudenkmals bei. Worin unterscheiden sich beide Institutionen, und in welchen unterschiedlichen Bereichen arbeiten sie?

Yvonne Faller: Der Münsterbauverein wurde 1890 gegründet und nimmt seitdem die Aufgabe wahr, das äußere Steinwerk zu erhalten und zu pflegen. Die Unterhaltung von Fenstern, Dächern und dem Innenraum wird vom Erzbischöflichen Bauamt koordiniert. Die Finanzierung ist, wie vorher bereits angedeutet, zwischen Münsterfabrik und dem erzbischöflichen Ordinariat im Einzelnen geregelt.

Der Münsterbauverein unterhält die Münsterbauhütte, eine Steinmetzwerkstatt, in der zur Zeit 17 Bildhauer und Steinmetze beschäftigt sind, den beschädigten Sandstein zu restaurieren oder durch neuen zu ersetzen. Finanziert wird die Arbeit des Münsterbauvereines durch Mitgliedsbeiträge von augenblicklich 5.300 Mitgliedern und von Spenden, die zusätzlich eingeworben werden. Die konkreten Erhaltungsarbeiten am Münster werden unterstützt: Zu einem Drittel durch Zuwendungen des Landes aus der Denkmalpflege, zu einem Drittel durch Mittel der Erzdiözese und zu einem Sechstel durch Zuwendung der Stadt Freiburg.

Yvonne Faller im Gespräch mit zwei Mitarbeitern in der Glockenturmschreinerei des Freiburger Münsters. 
© Roland Rossner
Yvonne Faller im Gespräch mit zwei Mitarbeitern in der Glockenturmschreinerei des Freiburger Münsters.

MO: Als Münsterbaumeisterin koordinieren Sie seit 2005 die Unterhaltung und Sanierung des äußeren Steinwerks durch die Münsterbauhütte. Welche konkreten Aufgaben gehören zu Ihrem Tätigkeitsfeld?

Yvonne Faller: Das schöne an meinem Tätigkeitsfeld ist die große Bandbreite der Aufgaben. Da sind zum einen die technischen Bereiche: das Erfassen und die Koordination der notwendigen Sanierungsarbeiten. Gemeinsam mit dem Werkmeister und Vertretern der Denkmalpflege werden die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen festgelegt und kontrolliert. Regelmäßige Begehungen der Baustellen und der Werkstatt gehören dazu. Dabei lerne ich jeden Tag Neues, was sicherlich der größte Reiz meiner Aufgabe ist. Genauso wichtig ist die Aufgabe, die Finanzierung zu sichern. Das bedeutet für mich, pünktlich und vollständig die Zuwendungsanträge zu stellen, damit die öffentlichen Gelder (s. vorhergehende Frage) tatsächlich fließen können. Das heißt aber auch offensive Öffentlichkeitsarbeit in Form von Führungen, Vorträgen und zahlreichen Aktionen in der Stadt und Region, um auf die Notwendigkeit der privaten Unterstützung aufmerksam zu machen.

MO: Haben die Witterung und die Schadstoffe in der Luft Auswirkungen auf den Sandstein des Freiburger Münsters und welche Maßnahmen erfordern sie?

Die filigrane Bauskulptur aus rotem Sandstein ist durch schädliche Umwelteinflüsse gefährdet. 
© Roland Rossner
Die filigrane Bauskulptur aus rotem Sandstein ist durch schädliche Umwelteinflüsse gefährdet.

Yvonne Faller: Sandstein ist ein relativ weiches Sedimentgestein. Aus diesem Grund gibt es auch zahlreiche Schäden, die durch die Erosion von Wind und Regen entstanden sind. Eine natürliche Verwitterung wie sie mit jedem Material geschieht. Sandstein ist aber auch sehr porös und nimmt viel Wasser auf, mit dem Wasser auch die darin enthaltenen Schadstoffe. Die schlimmsten Luftschadstoffe wie Schwefel, CO2 und Stickoxyde sind in Kohleheizungen, Kraftstoffen und in Industrieabgasen enthalten. Um 1900 wurden vom Münsterbauverein von den meisten Figuren und den wichtigsten Architekturteilen Gipsabgüsse angefertigt, die hier bei uns im Museum stehen. Deshalb wissen wir genau um den Erhaltungszustand in dieser Zeit. Viele dienen uns heute als Vorlage für Kopien, weil die Originale bis zur Unkenntlichkeit zerstört sind. Das heißt, es ist dadurch deutlich zu erkennen, dass der skulpturale Schmuck vor allem in der Zeit von 1900 bis ca. 1985 durch äußere Einflüsse zerstört wurde. Da die Luft in der Zwischenzeit sauberer wurde, haben wir die Hoffnung, dass die Substanz nun besser geschützt ist als in den letzten 100 Jahren. Unser Schwerpunkt bei den Sanierungsarbeiten liegt auch im Substanzerhalt. Erst wenn einzelne Steine so stark zerstört sind, dass wir sie nicht erhalten können, werden sie durch neu angefertigte detailgetreue Kopien ersetzt.

Für die Sanierung der originalen Steine stehen uns unterschiedliche Mittel und Methoden zur Verfügung. Langjährige Erfahrungen existieren in der Festigung des porösen Sandsteines mit Kieselsäureesther. Dieses KSE wird aufgetragen, dringt in das Sandsteinmaterial ein und ersetzt das natürliche Bindemittel, welches durch Luftschadstoffe zerstört wurde. Aber auch Risse können mit Spezialklebern geschlossen und lose Teile mittels Glasfaserstäbchen und Epoxydharz miteinander dauerhaft verbunden werden.

MO: Ein aktuelles Großprojekt ist die Sanierung des Münsterturms. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen soll die Spendeninitiative "Wir bauen mit!" zu dessen Finanzierung beitragen. Was verbirgt sich hinter dieser Kampagne?

Yvonne Faller: Mit dieser Aufforderung, die wir gerne ergänzen mit: "bauen auch Sie mit", wollen wir an die alte mittelalterliche Tradition anknüpfen, als die Bürger zum Bau des Münsters beigetragen und "ihr letztes Hemd" für den Münsterbau gestiftet haben. Es soll bewusst gemacht werden, dass es sich bei diesem Bauwerk um ein Gemeinschaftswerk handelt, und dass wir auch heute unseren Teil dazu beitragen müssen, wenn wir dieses unseren Nachkommen hinterlassen wollen. Mit dem Slogan kann sich jede/r nach eigenen Möglichkeiten und Vermögen einbringen. Wir haben eine ganze Reihe von Aktionen entwickelt, so dass für jeden etwas dabei ist. Vom Verkauf von kleinen und großen Steinen oder anderen Artikeln, über Steinpatenschaften bis hin zur Übernahme der Finanzierung eines Steinmetzes. Jeder kann irgendwie mitbauen. Detaillierte Informationen finden Sie hier:  www.wir-bauen-mit.de

Zur Person:
Yvonne Faller, Jahrgang 1961 arbeitete nach ihrem Architekturstudium als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Städtebau der Uni Stuttgart. Seit 1990 war sie freie Architektin zunächst mit einem eigenen Büro in Stuttgart und später in Freiburg. Yvonne Faller ist seit 2005 Münsterbaumeisterin und freie Architektin in Freiburg.

Das Interview führte Julia Ricker

Zeittafel

1120 Verleihung des Marktrechts an Freiburg durch Konrad von Zähringen
nach 1200
Beginn des spätromanischen Neubaus (Chor, Querhaus, Hahnentürme)
um 1270 Baubeginn des neuen Westturms
1291 Die Ausstattung der Vorhalle ab zirka 1281 ist abgeschlossen.
um 1330 Vollendung des Hauptturms
1354 Grundsteinlegung für den Neubau des Chors, spätgotischer Chor mit Umgang und Kapellenkranz durch Johannes von Gmünd
1494 Die ersten westlichen Hochchorfenster werden verglast.
1513 Weihe des Chors
1512-1516 Hans Baldung gen. Grien malt den Hochaltar.
1704 Aufstellung von Barockaltären und Entfernung eines Großteils der mittelalterlichen Ausstattung
1744 Zerstörung des südlichen Hahnenturms im Österreichischen Erbfolgekrieg
ab 1819 Durchgreifende Innenrestaurierung. Entfernung des hellen Anstrichs und von großen Teilen der barocken Ausstattung
1827 Verlegung des Bischofssitzes von Konstanz nach Freiburg. Das Münster wird Bischofskirche.
1901 Vertrag zwischen Stadt und Münsterfabrikstiftung, der das Münster als Eigentum der Stiftung anerkennt
1944 Bombardierung der Stadt am 27. November. Fast alle Häuser rund um das Münster werden zerstört.
ab 1960 Fortschreitende Zersetzung des Mauerwerks durch Abgase, sauren Regen (seitdem intensive Erneuerungsarbeiten)
1971-1982 Sicherung der durch Luftverschmutzung gefährdeten Fenster
1999-2004 Restaurierung des Hungertuches, der Westturmhalle und der Renaissancevorhalle
2003-2004 Restaurierung des südlichen Hahnenturmes mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD)
2006/2007 Neugestaltung des Altarbereichs und Einrüstung des Hauptturms für vier Jahre (Grundsanierung unterstützt von der DSD), Wiederherstellung von Strebepfeilern

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