Oktober 2007

Duderstadts Rathaus ist in Gefahr

Schönheit verdeckte den Verfall

Es ist nicht ungewöhnlich, dass man bei der Restaurierung denkmalgeschützter Bauwerke Überraschungen erlebt. Was man aber am Rathaus in Duderstadt entdeckte, löste allergrößte Bestürzung in der kleinen Stadt im niedersächsischen Teil des Eichsfeldes aus. Eigentlich wollte man im Jahr 2000 die Fachwerkfassaden der oberen Geschosse nur neu anstreichen. Doch als der Bauamtsleiter an der losen Farbe kratzte, verschwand das Messer vollständig in dem mächtigen Balken. Fäulnis und Schädlinge hatten ganze Arbeit geleistet. Schnell war von drohendem Einsturz die Rede.

Schäden an der Fassade im Hof. 
© Roland Rossner
Schäden an der Fassade im Hof.

Dabei hatte man den wunderschönen Bau zwischen 1982 und 1987 umfangreich restauriert. Ziel war es damals, das bis dahin als Verwaltungsgebäude genutzte Haus zu einem Kultur- und Kommunikationszentrum für die Stadt umzugestalten. Baugeschichliche und archäologische Untersuchungen halfen, die historische Struktur der Räume wieder herzustellen. Für die Sanierung der Fassaden hatte es dagegen weder irgendwelche Voruntersuchungen noch eine Schadenskartierung gegeben. Die Fassaden seien vielmehr nur "als Marginalie behandelt" worden, heißt es in einem Gutachten, das der Fachwerkspezialist Professor Manfred Gerner zu den Ursachen der dramatischen Schadenssituation erstellt hat. Man habe seinerzeit das bereits kranke Holz nicht vollständig entfernt, sondern geschädigte Stellen unter Spachtelmassen verborgen, was zu weiterer Fäulnisbildung geführt habe. Außerdem sei die Wasserführung auf der Fassade nur unzureichend beachtet worden, so dass einige Stellen nicht ausreichend abtrocknen konnten.

Dabei ist das Rathaus von Duderstadt jede Beachtung wert, gehört es doch zu den ältesten in Deutschland. Den Kern bildet das um 1302/03 entstandene Kaufhaus ("kophus"). Der massive zweigeschossige Saalbau aus Sandstein besteht aus einer zweischiffigen, durch runde Steinstützen unterteilten Halle im Erdgeschoss und dem höheren und ungeteilten Bürgersaal im Obergeschoss. Ab 1432 ersetzte man das ursprüngliche Rathausgebäude an der Südostecke durch einen steinernen Anbau an das Kaufhaus. Er nahm Ratsstube, Ratsarchiv und Ratsweinkeller auf. In dieser Zeit war Duderstadt, das an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen lag, mit etwa 4.500 Einwohnern beinahe so groß wie Hamburg. Im 16. Jahrhundert wurden Fachwerkgeschosse aufgestockt. Sie vor allem prägen die heutige Erscheinung des Rathauses. Die beeindruckende Fassade über der vor der Nordfassade des Kaufhauses errichteten zweigeschossigen Laube ist durch Giebel und Erker gegliedert und von drei Türmen bekrönt. Ein besonderer Blickfang ist die Überdachung des Aufgangs zur Laube mit lebensgroßen Figuren aus den Jahren 1673/74.

Das Rathaus ist der ganze Stolz der Duderstädter. 
© Roland Rossner
Das Rathaus ist der ganze Stolz der Duderstädter.

Nähert man sich heute über die Marktstraße mit ihren vielen wertvollen Fachwerkhäusern dem Rathaus, kann man es wieder in seiner vollen Schönheit erleben. Die Fassaden zu den Straßen - im Hof stehen noch immer Gerüste - wurden in mehrjähriger Arbeit sorgsam restauriert. Doch das Bild trügt. Denn die äußeren Schäden waren nur die Spitze des Eisbergs: Auch im Inneren zeigte es sich, dass besonders die Deckenbalken im hohen Maße geschädigt waren. Das hatte zur Folge, dass alle Fußböden der Räume geöffnet werden mussten, um die faulenden Balken sanieren zu können. Die aufwendigen Maßnahmen werden mit altbewährten Materialien und Handwerkstechniken durchgeführt. Das geschädigte Holz ersetzt man durch wertvolle alte Eichenbalken, für die Ausfachungen und die Fußböden kommen Lehmziegel und Lehmschüttungen zum Einsatz. In einem Raum über dem Sitzungssaal im Südflügel war die Lage besonders dramatisch. Hier stellte man fest, dass es - wie in anderen Räumen auch - mehrere Fußbodenschichten gab. Einige Tonnen Schutt mussten entsorgt werden, man fand darin Schlüssel, Scherben, Waffen und sogar große Sandsteinteile. Sie rühren von den Zinnen her, die den Südflügel vor der Fachwerkaufstockung zierten. Das Gewicht dieser Schicht drückte auf die morschen Deckenbalken. Man kann von Glück reden, dass die schöne Stuckdecke des Sitzungssaals nicht schon längst herabgestürzt ist. Damit war endgültig klar, dass das gesamte statische Gefüge des Hauses erheblich gestört war.

Noch immer gibt es viel zu tun für die Restauratoren: der Dachstuhl des Gebäudes. 
© Roland Rossner
Noch immer gibt es viel zu tun für die Restauratoren: der Dachstuhl des Gebäudes.

Die für die Standfestigkeit des Baus dringend notwendigen Arbeiten überfordern die kleine Stadt in hohem Maße. Das Rathaus gilt als Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung. Deshalb gibt es auch Unterstützung vom Bund und vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE). Doch diese Mittel und auch die 150.000 Euro, die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bereits zur Verfügung gestellt hat, reichen bei weitem nicht, um das Denkmal auf Dauer zu sichern. Dabei können die Duderstädter nicht einmal kontinuierlich arbeiten: Eine Kolonie Fledermäuse hat sich den mächtigen Dachstuhl als Wochenstube ausgesucht. Deshalb herrscht jährlich von März bis September Baustopp in den oberen Etagen. Um dem Naturschutz gerecht zu werden, kann die Sanierung erst seit kurzem wieder mit Hochdruck vorangehen. Denn das Duderstädter Schmuckstück soll hoffentlich bald wieder Mittelpunkt kulturellen, touristischen und politischen Lebens in der Stadt werden. Und auch der Standesbeamte möchte nicht mehr vor jeder Trauung nach einem Raum mit intaktem Fußboden suchen müssen.

Damit die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Duderstädtern bei den umfangreichen Arbeiten noch einmal unter die Arme greifen kann, bitten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, herzlich um Ihre Spenden!

Dr. Dorothee Reimann

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