Öffentliche Bauten Jugendstil / Art Déco Interieur Design August 2007 B S
Am Anfang versucht man sich noch gegen den so oft gehörten Vergleich mit dem "Zauberberg" von Thomas Mann zu wehren. Aber warum eigentlich, fragt sich der Besucher, wenn er das Sanatorium Dr. Barner betritt: Zu schnell ist er dieser Atmosphäre von Zeitlosigkeit und Ruhe verfallen, der der Dichter 1924 in seinem Roman so wunderbar ein Denkmal setzte.
Man muss nur das Panorama der Schweizer Alpen durch die dunklen Weiten des Harzer Hochwaldes ersetzen, in den und über den man aus allen Räumen blickt und der die Liegehallen, Lufthütten und -bäder im Sanatoriumspark mit seinem kühlen, heilsamen Klima versorgt.
Und schon ertappt sich der Gast während der Mahlzeiten in einem der prachtvollen Speisesäle dabei, dass er auf das impertinente Türeknallen einer gewissen Madame Chauchat wartet. Speisesäle, in denen von 1900 bis 1926 Dr. Friedrich Barner - Sanatoriumsgründer, Arzt, Universalist und Lebensreformer - am Tischende gütig und mahnend zugleich auf seine Heilung suchenden Patienten schaute. Und manchmal nach Tisch zu einer seiner bestaunten Hypnose-Sitzungen einlud. Schade nur, dass vor etwa 90 Jahren Thomas Mann nicht selbst an diesem Ort weilte und ihn durch seine Beschreibung adelte.
Viele seiner Zeitgenossen aber, Künstlerkollegen und die übrige gehobene Gesellschaft, verbrachten erholsame Wochen im Sanatorium Dr. Barner, dem "Rekonvaleszentenheim der besseren Stände". Die komplett erhaltene Patienten-Kartei belegt Gäste wie Paul Klee - er wollte seinen Aufenthalt mit einem Bild bezahlen, was fatalerweise abgelehnt wurde - und zahlreiche Politiker der ausgehenden Kaiserzeit. Ein ebenfalls im Hausarchiv erhaltener Briefwechsel zeugt sogar von der Liebesgeschichte zwischen dem berühmten Zoologen Ernst Haeckel und Frida von Uslar-Gleichen. Ganz und gar nicht im Sinne des Hausherrn, denn das Sanatorium war errichtet für erschöpfte Seelen, die Anfang des letzten Jahrhunderts neue Kräfte in Grand-Hotel-Atmosphäre suchten. Jener Zeit mit der eigentümlichen Mischung aus Entzücken an allem Morbiden und gleichzeitiger Aufbruchstimmung durch eine umfassende Lebensreform.
So begab sich 1903 auch der erfolgreiche und gestresste Kunstgewerbler Albin Müller, der mit seinen 32 Jahren unter Schlaflosigkeit und Magenbeschwerden litt, in das Sanatorium in Braunlage. Aus dem einen wurden mehrere Aufenthalte, und bald entwickelte sich zwischen Müller, später Leiter der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt, und dem kunstsinnigen Arzt eine Freundschaft, aus der schließlich der erste Auftrag hervorging: Noch bestand das Sanatorium aus zwei benachbarten Häusern einer Villenkolonie, der Zeit und dem Ärztegeschmack gemäß im gutbürgerlich historistischen Stil.
Dies entspreche einfach nicht mehr den neuen Gedanken der Zeit, wurde Dr. Barner aufgeklärt, neue Behandlungsmethoden wie zum Beispiel körperbefreiende Gymnastik nackt im Freien erforderten auch moderne Entsprechungen im Gebäudeinneren. Albin Müller entwarf 1905 eine an den weichen Linien Henry van de Veldes orientierte Einrichtung für die beiden Villen. 1910 wurde auf der Weltausstellung in Brüssel zudem eine Zimmereinrichtung von Peter Behrens erworben und in den Harz gebracht.
Das erfolgreiche Sanatorium benötigte bald mehr Platz, und nun, 1911, erhielt Albin Müller endlich die langersehnte Chance, auch als Architekt tätig zu werden: Ein Verbindungsbau zwischen den beiden Villen wurde geplant, und entstanden ist ein Jugendstilensemble, das seinesgleichen in Deutschland sucht. Von außen mag sich das Besondere noch nicht richtig entfalten: ein prächtiger, aber konventioneller Dreiflügelbau im Heimatstil, ein "Schloss für Patienten" mit Arztwohnung in der Beletage.
Aber um so beeindruckender das Sanatoriumsinnere: Mit den Jahren hatte sich Albin Müllers Stil zu einer, wie er selbst formuliert, "herberen" Sprache entwickelt, eine äußerst elegante, in den geometrischen Formen des späten Jugendstils. Jeder Raum ist durchgestaltet, jedes Detail - vom Boden über die Wände zur Decke, vom Türgriff über die Möbel zur Lampe und zum Geschirr - von Albin Müller sorgfältig entworfen. Bei etwa 50 Ärzte-, Behandlungs- und Wirtschaftsräumen sowie Gemeinschaftssälen und 40 Patientenzimmern jede Menge bestaunenswerte Einzelheiten. Ganz besonders wertvoll, weil nirgendwo sonst mehr vorhanden: der durchmusterte Linoleumboden, damals Inbegriff perfekter Hygiene, und die Linkrusta-Tapeten. Sie sind so selten erhalten, dass auch ein renommierter Tapetenrestaurator sich mit ihrer Instandsetzung herausgefordert sah.
Erstaunlich, dass dieses Jugendstil-Paradies die Zeiten überdauert hat. Gerade die Idee des Gesamtkunstwerks, das alle Bestandteile der Einrichtung umfasst, macht es fast unmöglich, Jugendstilensembles zu erhalten. Im Sanatorium Dr. Barner aber - in vierter Generation im Familienbesitz -, wurde das Erbe des Gründers über Kriege und den Geschmack der 1950er, 60er und 70er Jahre hinweg sorgfältig bewahrt, auch im medizinischen Sinn: Ganzheitliche Medizin hat hier bis heute einen ebenso großen Stellenwert wie die klassische Schulmedizin. Die Psychotherapie macht die Hälfte der Behandlungen aus. In den letzten Jahren wurde besonderes Gewicht auf die Trauma-Behandlung gelegt. Ein guter Teil der erfolgreichen Therapie ist wohl, ohne die Leistung der Ärzte und Psychotherapeuten schmälern zu wollen, der stimmigen Hausatmosphäre zuzuschreiben.
Natürlich ist es problematisch, dieses für heutige Verhältnisse viel zu kleine medizinische Haus aufrechtzuerhalten. Jedoch ist für die Erhaltung des Sanatoriums als Kulturdenkmal und Gesamtkunstwerk unbedingt auch der medizinische Betrieb erforderlich. Diese Doppelbelastung stand als schwierige Aufgabe für die Zukunft des Hauses vor Augen, als im Jahr 2002 die "Stiftung Sanatorium Dr. Barner" errichtet wurde. Sie liegt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) im besonderen Maße am Herzen, wurde sie doch als 100. treuhänderische Stiftung in ihrer Obhut errichtet. Und sie kann Erfreuliches vermelden, denn in beiden Bereichen ist in den letzten Jahren viel passiert: Dank des unermüdlichen Einsatzes des Hausherren und der DSD, die das Sanatorium seit Jahren regelmäßig finanziell fördert, konnte durchgehend restauratorisch am Haus gearbeitet werden. 2006 wurden diese Anstrengungen mit dem Preis der Denkmalpflege der Niedersächsischen Sparkassenstiftung honoriert. Und gleichzeitig sorgen die konstanten Patientenzahlen des Sanatoriums für eine solide Auslastung.
Wie sehr das Haus in seiner Gesamtheit überzeugt, belegt folgende Geschichte: Zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2000 trafen sich 17 gelehrte Wissenschaftler im Sanatorium, um ein Kolloquium über den nicht sonderlich gut erforschten Albin Müller abzuhalten. Nach zwei Tagen waren alle Vorträge gehalten, die einhellige Meinung über den Künstler lautete: guter Epigone der zweiten Garde des deutschen Jugendstils. Das Urteil war gefällt, man wollte aufbrechen. Doch starkes Schneetreiben hinderte an der Heimfahrt. Nach sieben Tagen schließlich - der Weinkeller war geleert -, nach sieben Tagen Leben in Albin Müllers Schöpfung war das Urteil revidiert, und es wurden weitaus wohlwollendere Worte über den Künstler gesprochen. Es ist eben nicht der einzelne Gegenstand, der dieses Denkmal ausmacht, es ist die Einheit des Ganzen.
Erkenntnisse im Schneesturm führen uns zurück zu Thomas Manns "Zauberberg". Im Hausarchiv - das förmlich dazu auffordert, durchforscht zu werden, was auch demnächst geschehen soll - befindet sich neben sämtlichen Entwurfszeichnungen die umfangreiche Korrespondenz zwischen Bauherrn und Architekt. Darunter liegt auch jene Postkarte, auf der 1952 der Schriftsteller Hans Erich Nossak so treffend formulierte: "Der Zauberberg ist ja nun einmal geschrieben, sonst würde man hier auf die Idee kommen."
Beatrice Härig
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
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Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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