1900 Design August 2007 D W

Der Deutsche Werkbund wird 100 Jahre alt

Vom Sofakissen bis zum Städtebau

Feixend rieben sich die englischen und französischen Fabrikanten die Hände, als 1876 in Philadelphia auf der Weltausstellung die deutschen Produkte von der Presse als Schund bezeichnet wurden. Auch das Londoner Parlament sprang mit ins Boot und beschloss, dass die deutschen Exportwaren im britischen Weltreich die Aufschrift "Made in Germany" tragen mussten - als Zeichen für schlechte Qualität.

Bruno Taut entwarf dieses spektakuläre Glashaus für die Werkbund-Ausstellung in Köln. 
© Werkbundarchiv, Museum der Dinge, Berlin
Bruno Taut entwarf dieses spektakuläre Glashaus für die Werkbund-Ausstellung in Köln.

Wegen dieser Schmach und begünstigt durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung zum Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich bei den Künstlern und Handwerkern, Industriellen und Politikern in Deutschland langsam, aber beharrlich der Wunsch nach Reformen durch. Um ihre Ideen besser bündeln zu können, gründeten sie im Oktober 1907 in München eine Interessengemeinschaft: den Deutschen Werkbund.


Die Liste seiner frühen Mitglieder liest sich wie ein Who is Who: Hermann Muthesius, Henry van de Velde, Peter Behrens, Joseph Maria Olbrich, Bruno Paul, Josef Hoffmann, Richard Riemerschmid, Theodor Fischer, Lilly Reich, Walter Gropius und Bruno Taut, die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, die Wiener Werkstätten, die Porzellanfabrik Rosenthal, die Puppenfabrik Käthe Kruse, AEG, Bosch, Siemens, Bayer Leverkusen und BASF, Gustav Stresemann, Theodor Heuss und Friedrich Naumann. Der liberale Politiker Naumann, der 1907 ein Reichstagsmandat gewann, gilt zusammen mit Muthesius und van de Velde als geistiger Vater der Bewegung. "Je mehr wir uns der Qualitätserzeugung zuwenden", schrieb er damals, "desto besser wird es um die Durchschnittshöhe des Deutschen Menschen stehen. Hier ist der Punkt, wo Kunst und Handelspolitik und Sozialpolitik sich berühren." Denn der Werkbund hatte sich nicht nur "die Veredelung der gewerblichen Arbeit" zum Ziel gesetzt, sondern auch die Reform der Arbeits- und Lebensbedingungen.

Die Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau gehörten zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Werkbunds. 
© ML Preiss
Die Deutschen Werkstätten in Dresden-Hellerau gehörten zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Werkbunds.

Karl Schmidt, der zu den Gründungsmitgliedern des Werkbunds gehörte, setzte diese Ideen als Gesamtkunstwerk in Hellerau bei Dresden um. Er ließ dort von Richard Riemerschmid neue Produktionshallen für seine Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst - die späteren Deutschen Werkstätten - errichten, in denen günstige, aber hochwertige Möbel maschinell hergestellt wurden. Bis heute steht das Firmensignet "DW" für gute Qualität. Schmidt legte großen Wert auf hygienische Arbeitsbedingungen und ließ als einer der ersten Unternehmer Klarglas in die Werkstattfenster einsetzen, um den gefängnisartigen Charakter der Räume zu beseitigen. Außerdem beauftragte er seinen Mitarbeiter Wolf Dohrn, der gleichzeitig Sekretär des Werkbunds war, eine Siedlung zu planen, die "Ausdruck einer neuen besseren Zeit werden" sollte. Unter der Gesamtleitung von Richard Riemerschmid bauten Hermann Muthesius, Theodor Fischer und andere namhafte Architekten ab 1909 für rund 2.000 Angestellte der Deutschen Werkstätten eine der ersten Gartenstädte Deutschlands. Dohrn überredete auch den Musikpädagogen Emile Jaques-Dalcroze, sein Institut von Genf nach Hellerau zu verlegen. Und Heinrich Tessenow erhielt den Auftrag für ein Festspielhaus, in dem die Kinder der Gartenstadt und angehende Lehrer unterrichtet wurden. Die dort ebenfalls veranstalteten Schulfeste, auf denen nach Bach'schen Fugen getanzt und Opern wie Glucks "Orpheus und Eurydike" tänzerisch in Szene gesetzt wurden, sind legendär. Die Uraufführung von Paul Claudels "L'Annonce faite à Marie" 1913 "war ein Weltereignis, und die ganze Welt strömte plötzlich" nach Hellerau.

Dass der Werkbund mit seinem Qualitätsbegriff auch Einfluss auf große Konzerne nehmen konnte, zeigt die Zusammenarbeit zwischen der Allgemeinen Elektricitätsgesellschaft (AEG) und Peter Behrens, der sich als Architekt auf der Darmstädter Mathildenhöhe und als Leiter der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule einen Namen gemacht hatte.

Als "Künstlerischer Beirat" von AEG entwickelte Peter Behrens auch Ventilatoren. 
© Elektrolux Nürnberg
Als "Künstlerischer Beirat" von AEG entwickelte Peter Behrens auch Ventilatoren.

1907 wurde er "Künstlerischer Beirat" von AEG und beeinflusste in den Folgejahren das gesamte Erscheinungsbild des Unternehmens. Er gestaltete mit der von ihm kreierten Antiqua-Schrift Werbeprospekte, Festschriften und Kataloge, entwickelte das bis heute bekannte Firmensignet, entwarf Lampen, Ventilatoren, Uhren, elektrische Wasserkessel, Fahrzeuge, Ladenlokale und vor allem Fabrik- und Wohngebäude, die seinen Ruhm als bedeutender Industriearchitekt begründeten. Die Montagehalle des Turbinenwerks, die Behrens für die AEG 1908/09 in Berlin errichtete, gilt als erstes Industriegebäude der Moderne in Deutschland. Fotos der Montagehalle und anderer Industrieanlagen bestückten zusammen mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs, Büchern und Plakaten die Vorbildersammlung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe. Das auf einen Vorschlag des Hagener Kunstmäzens Karl Ernst Osthaus 1909 gegründete Museum hatte kein eigenes Haus. Die Ausstellung wurde vielmehr auf Reisen geschickt oder an Institutionen ausgeliehen und diente den pädagogischen und wirtschaftlichen Zielen des Werkbunds, der "den Sinn für die köstlichen Werke der bildenden Menschenhand in die weitesten Kreise tragen und die Finanzkraft unseres Vaterlandes für den ihr würdigsten Gegenstand interessieren" wollte.

Dieses von Rudi Erdt 1912 entworfene Werbeplakat für die Zigarettenfabrik Mahala-Problem gehörte zur Vorbildersammlung. 
© Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld
Dieses von Rudi Erdt 1912 entworfene Werbeplakat für die Zigarettenfabrik Mahala-Problem gehörte zur Vorbildersammlung.

Der Werkbund ließ es aber bei dieser Vorbildersammlung nicht bewenden. Ab dem 16. Mai 1914 stellte er sich in Köln im Rahmen einer großen Schau vor, auf der seine Mitglieder Architektur, Kunstgewerbe, Grabmal- und kirchliche Kunst zeigten. Ein Spektrum vom "Sofakissen bis zum Städtebau, vom Dienstmädchenzimmer bis zum Empfangsraum, von der Schaubühne bis auf den Friedhof". Themen wie sportliche Ertüchtigung und Frauenbewegung kamen auch nicht zu kurz. Der damalige Beigeordnete Konrad Adenauer hatte die Ausstellung - die erste große für den Werkbund und für die Stadt - nach Köln geholt. Dort, wo sich heute das Deutzer Messegelände befindet, wurde eine Fläche von rund 350.000 Quadratmetern erschlossen. Fast fünf Millionen Reichsmark ließ sich die Stadt das Spektakel kosten und stellte 134 Beamte dafür ab. Im Gegenzug erwartete man Kompromissbereitschaft und keine künstlerischen Experimente. "... mir ist ganz schwindlig geworden, von den Leuten, die die ganze Sache dort machen", schildert Walter Gropius seine Eindrücke von den Vorbereitungen. "Schiebung über Schiebung. Cölner Finanzklüngel und von Kunstverstand keine Spur."

Daher hatten es die Architekten, deren Bauten über das Mittelmaß hinausgingen, schwer. Henry van de Velde erhielt erst Ende Februar 1914, also keine drei Monate vor Eröffnung der Ausstellung, die Genehmigung zum Bau seines Theaters, das die gesamte Schau schließlich laut Karl Ernst Osthaus durch "eine anständige Kritik" rettete. Bruno Taut musste sein spektakuläres Glashaus - ein Werbepavillon für die Glasindustrie - selbst finanzieren.

Das Plakat zur Werkbund-Ausstellung 1914 in Köln 
© Staatliches Museum für angewandte Kunst München
Das Plakat zur Werkbund-Ausstellung 1914 in Köln

Als Bauplatz wies man ihm ein Gelände hinter den Kassenhäuschen zu, also abseits des eigentlichen Geschehens - und dennoch wurde das nachts durch Hunderte brennender Glühbirnen fast wie ein Juwel funkelnde Gebäude zur Hauptattraktion der Ausstellung. Die Kölner Schau ist aber vor allem wegen eines Grundsatzstreits in die Annalen eingegangen, der sich an Muthesius' Forderungen nach einer Typisierung der Architektur und mit ihr des ganzen "Werkbundschaffensgebiets" entzündete. Streit hatte es unter den Mitgliedern des Werkbunds immer wieder gegeben, so dass Wolf Dohrn ihn als "Vereinigung der intimsten Feinde" charakterisierte. Die Auseinandersetzung in Köln hätte aber wohl zur Auflösung des Werkbunds geführt, wäre die Ausstellung nicht früher als geplant mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendet worden. Die Aussteller, die sich eine deutliche Steigerung ihres Profits erhofft hatten, standen damals am Rand des wirtschaftlichen Ruins. Das Gelände wurde zuerst vom deutschen und nach dem Krieg vom englischen Militär beschlagnahmt, die Gebäude wurden umgestaltet, erweitert oder abgerissen. In Tauts Glashaus fanden in den 1920er Jahren Auktionen zur Versteigerung der noch vorhandenen Exponate statt, bevor man es ebenfalls zerstörte.

Waren die ersten "sieben fetten Jahre" des Werkbunds vor allem vom Kunsthandwerk geprägt, traten nach dem Krieg die Architektur und der Städtebau in den Vordergrund. Als Meilenstein des Neuen Bauens gilt die Werkbund-Ausstellung 1927 in Stuttgart, aus der die Weißenhofsiedlung hervorgegangen ist. Anders als in Köln errichteten die "charakteristischsten Vertreter der neuen Bewegung" wie der Bauhausdirektor Walter Gropius, Le Corbusier, Hans Poelzig, J. J. P. Oud und Peter Behrens unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe in Stuttgart aber nicht temporäre Ausstellungsgebäude, sondern Wohnhäuser, die nach der Schau an Privatleute vermietet werden sollten. Doch es war schwer, Mieter zu finden, die sich mit der avantgardistischen Architektur anfreunden konnten. Die ausgestellten Möbel, die sie damals mit übernehmen konnten, wurden von den meisten verschmäht. Bis heute beklagen sich Bewohner der Weißenhofsiedlung über schlecht isolierte Wände und Fenster.

Das von Le Corbusier und Pierre Jeanneret 1927 entworfene Haus in Stuttgart-Weißenhof 
© Roland Rossner
Das von Le Corbusier und Pierre Jeanneret 1927 entworfene Haus in Stuttgart-Weißenhof

Die Architekten der Werkbundsiedlung mussten sich damals viel Kritik gefallen lassen. Sie wurden als "Baubolschewisten" beschimpft, und die Siedlung nannte man "Araberdorf". Der nationalsozialistische Bürgermeister von Stuttgart hätte die Häuser Mitte der 1930er Jahre am liebsten abgerissen. Dazu kam es zwar nicht, einige Gebäude wurden jedoch im Zweiten Weltkrieg zerstört, andere später abgerissen oder umgebaut. Dank der Wüstenrot Stiftung, die die originalgetreue Instandsetzung des von Le Corbusier zusammen mit seinem Cousin Pierre Jeanneret entworfenen und in den 1930er Jahren stark veränderten Doppelhauses finanzierte, ist der damals herrschende Geist einer neuen Wohnkultur inzwischen wieder erlebbar.

Das Treppenhaus im Corbusier-Haus erhielt seine ursprüngliche Farbigkeit zurück. 
© Roland Rossner
Das Treppenhaus im Corbusier-Haus erhielt seine ursprüngliche Farbigkeit zurück.

Für den Deutschen Werkbund als Wegbereiter der Avantgarde im 20. Jahrhundert brach mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten eine schwere Zeit an. 1933 wurde er gleichgeschaltet und ein Jahr später in die "Reichskammer der bildenden Künste" eingegliedert. Das 1919 von Mitgliedern des Werkbunds gegründete Bauhaus wurde ebenfalls 1933 geschlossen. Auch wenn sich der Werkbund nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten neu gründete, konnte er nicht mehr an seine große Zeit vor 1933 anknüpfen. Eine Chance, sich wieder verstärkt ins Bewusstsein zu rufen, hat er zur Zeit, da mit vielen Veranstaltungen auf das 100-jährige Gründungsjubiläum hingewiesen wird. Dazu zählt auch die geplante Werkbundsiedlung "Wiesenfeld" in München. Ob die schlanken Türme mit 400 Wohnungen für alle sozialen Schichten, die 36 Teams nach dem städtebaulichen Gesamtkonzept des japanischen Architekten Kazunari Sakamoto projektiert haben, wirklich gebaut werden, steht allerdings in den Sternen.

Carola Nathan

Literatur:
Joan Campbell: Der Deutsche Werkbund 1907-1934. dtv, München 1989.

Der westdeutsche Impuls 1900-1914. Kunst und Umweltgestaltung im Industriegebiet - Die Deutsche Werkbund-Ausstellung Cöln 1914. Kölnischer Kunstverein (Hrsg.), Köln 1984.

Kurt Junghanns: Der Deutsche Werkbund. Sein erstes Jahrzehnt. Henschel Verlag, Berlin 1982.

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