Interviews und Statements

Interview mit dem Industriedesigner Otto Sudrow

Der Deutsche Werkbund heute

Interview mit Otto Sudrow der neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Industrie-Designer Lehrbeauftragter an verschiedenen Designhochschulen und Gastprofessor für Designtheorie an der Hochschule der Künste in Berlin ist. Er war Mitgründer der MAGAZIN Warenhandelsgesellschaft für technische Güter und Einrichtungsbedarf mbH Stuttgart - für Designliebhaber eine feste Größe in Deutschland.

MO: In dem Beitrag "Vom Sofakissen zum Städtebau" erfahren die Leser in Monumente Online von den Kernideen und Aktivitäten des Deutschen Werkbunds (DWB) in den ersten Jahren nach seiner Gründung. Die Weißenhofsiedlung in Stuttgart oder die gestalterischen Tätigkeiten von Peter Behrens für die AEG gehören zu den bekannteren Ergebnissen dieses Zusammenschlusses aus Künstlern, Architekten und Unternehmen. Oftmals gerät dabei aus dem Blick, dass die vor 100 Jahren in München gegründete Interessengemeinschaft noch heute fortbesteht. Wie haben sich die Akzente des Werkbunds in der Nachkriegszeit gegenüber den Vorstellungen der frühen Jahre verschoben?


Otto Sudrow: Der Werkbund wird heute von Architekten und Hochschullehrern dominiert. Kunsthandwerker, Maler und Bildhauer, Handels- und Industrieunternehmer sind weitgehend abgewandert. Die vollmundig großen Worte der Gründungsphase und der Revitalisierung in den 1950er Jahren atmen heutzutage Ernüchterung. Aber den ursprünglichen Impuls zur Anhebung der Lebensqualität durch bessere Gestaltung empfinde ich noch immer als wirksam. Wenn auch das thematische Spektrum des DWB sich mit der Zeit wandelt, erscheint mir das Programm universell und überzeitig gültig. Auch wenn der Kontrast zwischen dem, was der Werkbund fordert, und dem inzwischen erreichten Gestaltungsniveau des Umfelds geringer geworden ist. Aber gerade das ist ja das angestrebte Ergebnis und der Erfolg unserer Bemühungen.

Computerarbeitstisch MINIC, Design: Otto Sudrow 1998 im Auftrag von Richard Lampert GmbH & Co. KG, Stuttgart 
© Otto Sudrow
Computerarbeitstisch MINIC, Design: Otto Sudrow 1998 im Auftrag von Richard Lampert GmbH & Co. KG, Stuttgart

Nach dem Zweiten Weltkrieg traten die Begriffe Landschaft, Umwelt, Ökologie, Politisierung und der Anspruch der Demokratisierung in unseren Gesichtskreis. Der damit verbundene Trend zur Theoretisierung und Politisierung unserer Gestaltungspraxis beflügelte das Geschehen. Alternative Projekte, der Gang durch die Institutionen, soziales Engagement kamen in Mode. Die industrielle Formgestaltung der 1950er Jahre erfuhr in der Ölkrise der 1970er enorme Schubkraft. Durch die Designförderung der 1980er Jahre fest etabliert, ist Industrial Design heute kein Fremdwort mehr. Die Industrieproduktion wurde so gut wie flächendeckend auf gestalterischen Professionalismus umgestellt. Und solange es technische Innovationen und Verbesserungen gibt, bleibt Gestaltung unentbehrlich. Eine der offenen Fragen lautet aber immer noch: Gestaltung, wozu? Die Frage nach Sinn und Qualität der Industrieerzeugnisse gilt bekanntlich als unerschöpflich. Die Antworten jedoch müssen abhängig von den aktuellen Aufgaben und den Köpfen, auch den Ressourcen, gefunden werden.

Das klingt so, als sei nach hundert Jahren alles bestens und der Werkbund habe sich überflüssig gemacht. Wenn ich heute beispielsweise vom Hohenasperg einen Rundblick hinab ins "Ländle" riskiere oder mich zwei Tage lang dem globalen Angebot der Mailänder Möbelmesse aussetze, dann verengt sich meine professionelle Zuversicht. Angesichts des Gewordenen, kommen mir doch Zweifel am großflächigen und nachhaltigen Erfolg unserer Reformbemühungen. Ist doch unübersehbar, dass auch wir Gestalter uns nur punktuell durchsetzen. Ist nicht Professionalität gerade sogar rückläufig, wenn jedermann am Computer schon durch Anschaffung von Software zum Grafik-Designer mutiert? Ist kohärent gestaltete Vielfalt als qualitative Ganzheit schließlich doch ein Trugbild? Bei all den durchdachten Zielsetzungen und guten Vorsätzen grenzen selbst Produkte von Unternehmen, die sich dem Werkbund verpflichtet fühlen, oft an faule Kompromisse. Das reicht von Gebrauchswertheuchelei und Styling bis zu Qualitätskitsch. Doch auch hier ist der Werkbund weiterhin notwendig, denn was wäre die Alternative zur interdisziplinären Verständigung unter den Machern? Es gibt immer wieder auch wegweisende Beispiele, wie sie etwa der Hugo-Häring-Preis (Architektur) oder der Bundespreis Gute Form (Serienprodukte) herausgefiltert.

MO: Sie selbst sind als Industriedesigner Mitglied des Werkbunds. Was hat Sie dazu veranlasst, dieser Vereinigung beizutreten?

Otto Sudrow: Den Werkbund lernte ich als Student kennen. Fast jeder meiner Lehrer war Mitglied und sah es als Ehrensache an, ihm anzugehören. Es war 1980, denke ich, als mich Gina Köhler aus dem Vorstand ansprach, ob ich mich im Werkbund engagieren möchte. Dann wurde ich schließlich mit Hilfe zweier "Paten" kooptiert. Seither bin ich dabei, zuweilen aktiv.

Außenmöbel SKWER, Design: Alfons Bippus und Otto Sudrow 1999 im Auftrag von Habit Ulrich Lodholz GmbH, Kürten 
© Otto Sudrow
Außenmöbel SKWER, Design: Alfons Bippus und Otto Sudrow 1999 im Auftrag von Habit Ulrich Lodholz GmbH, Kürten

Im Werkbund wurde man wahrscheinlich auf mich aufmerksam, weil die MAGAZIN Warenhandelsgesellschaft für technische Güter und Einrichtungsbedarf in Stuttgart - deren Mitgründer ich bin - ein unkonventionelles Einrichtungskonzept für die Wohnung und den häuslichen Arbeitsbereich propagierte. Wir begeisterten uns für die Umnutzung von Produktionsgütern nach dem Motto "Was man in der Werkstatt ehrt, ist für die Wohnung nicht verkehrt!" Dann, seit dem ersten Warenkatalog auf Umweltpapier Mitte der 1970er Jahre, entwickelte sich eine Kundenakzeptanz, deren Dynamik bisher ungebrochen ist. Seither hat sich meine Tätigkeit im Handel, die zu einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Nutzerinteressen und dem Nutzerblick auf die Produkte führte, auf meine Tätigkeit als Gestalter immer sehr stimulierend ausgewirkt. Meine Motive, im Werkbund mitzuarbeiten, sind seit damals unverändert. Dieser Zusammenschluss ist eine einzigartige kulturelle Plattform. Sie bietet Möglichkeiten zum interdisziplinären Gedankenaustausch unter Gestaltern, aber auch solche der außerparlamentarischen Einmischung in den gesellschaftlichen Diskurs. Und schließlich gibt es immer wieder Projekte, sozusagen im "gesellschaftlichen Auftrag", bei denen mitzuarbeiten einfach mehr Spaß macht als bei rein kommerziellen Aufgabenstellungen.

MO: Kann man Bezüge zwischen Ihren eigenen Entwürfen und den Konzepten des Werkbunds herstellen?

Otto Sudrow: Berufstheorie und -ethos des Industriedesigners sind für mich untrennbar mit dem Werkbundgedanken verbunden. Die ehrwürdigen "Werkbund-Gerechtigkeiten" gebrauchsgerecht, materialgerecht, herstellungsgerecht usw. sind immer noch verlässliche Basis jeder professionellen Produktkonzeption. Im Gegensatz zu früher spielen heute energetische und umweltökologische Gesichtspunkte zwar eine wichtigere Rolle. Aber den Gestaltungsstil der Serienerzeugnisse dominiert - nach wie vor - Schnörkellosigkeit und Simplizität nach dem Motto: Sowenig wie möglich, nicht mehr als nötig. Und auch das sehr aktuelle Prinzip der "Selbstreferentialität" bei Industrieerzeugnissen geht auf die alte Forderung nach Authentizität bzw. Selbstbezüglichkeit und Selbstverständlichkeit zurück.

Ein aktuelles Beispiel aus meinem Arbeitsumfeld mag das belegen: Die Kompaktküche UNIT im Auftrag der Firma Eisfink, an deren Entwicklung ich beteiligt war. Sie hat die bisher beste erreichbare Energieeffizienz. Das Herz dieser Küche ist ein Aggregat, das die Abluft vollständig absaugt, reinigt und geruchsneutral an die Umluft zurückführt. Kalte Außenluft muss nicht zugeführt und auf Raumtemperatur aufgeheizt werden. Der eingebaute Keramikfilter ist verschleißfrei und wird in der Geschirrspülmaschine gereinigt. Diese Technologie - sie setzte in der Gastronomie bereits neue Standards - wurde mit der UNIT erstmals für den privaten Nutzer erreichbar. Sie besteht aus hygienischen Gründen vollständig aus Edelstahl und kann daher durchaus als Langzeitprodukt bezeichnet werden.

Herd-/Spüle-Module UNIT, Design: Ulrich Burchardt, Max Maier, Christian Rummel, Tim Storti, Otto Sudrow 2005, im Auftrag von Eisfink Max Maier GmbH & Co. KG, Ludwigsburg 
© Otto Sudrow
Herd-/Spüle-Module UNIT, Design: Ulrich Burchardt, Max Maier, Christian Rummel, Tim Storti, Otto Sudrow 2005, im Auftrag von Eisfink Max Maier GmbH & Co. KG, Ludwigsburg

MO: Wie haben sich die Aufgaben und Ziele des Werkbunds vor dem Hintergrund unserer ökologisch, gesellschaftlich und kulturell gewandelten Lebenswelt verändert?

Otto Sudrow: Sicher, veränderte Randbedingungen führen meistens zu anderen Aufgabenstellungen, neuen Konzepten oder Instrumenten. Aus meiner Sicht behielt der Werkbund, trotz allen Wandels, seine ursprünglichen Absichten zur Produktqualität, Wohnqualität, Arbeitsplatzqualität, städtischen Aufenthaltsqualität im Auge, und das Verantwortungsgefühl gegenüber dem anonymen Nutzer blieb erhalten. Exemplarisch für diese Kontinuität erscheinen mir die Bauausstellungen: "Die Wohnung" (Weißenhofsiedlung Stuttgart) 1927, "Wohnung und Werkraum" (Breslau) 1929, " Wohnen in unserer Zeit" (Interbau Berlin Hansaviertel) 1957. Sie thematisierten beharrlich das Wohnen. Ich denke, die jetzt in München geplante Werkbundsiedlung folgt solchen Vorläufern. Handelt es sich doch um Demonstrationen, für die alle Gebrauchsgegenstände "vom Sofakissen bis zum Städtebau" neu durchdacht und auf den jeweils zeitgenössischen Stand befördert werden. Die Öffentlichkeit hält sie leider für Architekturausstellungen, weil ihre gebauten Artefakte den Prozessen des Wohnens gegenüber nicht genügend transparent sind. Ein Gebäude, ein möblierter Raum, - solange sie nicht wirklich bewohnt sind - müssen als Skulptur, Environment, Installation erscheinen, können also lediglich visuell wirken. Dennoch: Hier ist die klassische Denkfigur, die auf die Ganzheit dinglicher Gestaltung zielt, am stärksten spürbar.

MO: Gibt es aktuelle Projekte, die diese veränderten Grundprinzipien beispielhaft umsetzen?

Otto Sudrow: Die neue Werkbundsiedlung "Wiesenfeld" in München-Schwabing und die neue BauWohnberatung in Karlsruhe, die das Problem "Gemeinsam wohnen im Alter" in den Vordergrund stellt.

Zur Person:
Otto Sudrow, Jahrgang 1941, war nach seinem Studium der Industriellen Produktgestaltung Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart und Assistent am Lehrstuhl für Produktgestaltung der Akademie der bildenden Künste Stuttgart sowie geschäftsführender Gesellschafter der MAGAZIN Warenhandelsgesellschaft für technische Güter und Einrichtungsbedarf mbH Stuttgart. Otto Sudrow ist Mitgründer der Designer Societät und der Produktionsgesellschaft Lampert&Sudrow in Stuttgart. Neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Industrie-Designer ist er Lehrbeauftragter an verschiedenen Designhochschulen und Gastprofessor für Designtheorie an der Hochschule der Künste in Berlin.

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