Handel Juni 2007 A

Eine kleine Kulturgeschichte der Apotheke

Mörser, Kräuter, Rezepturen

Berlin, Dezember 1839. Theodor Fontane, Lehrling in der Roseschen Apotheke, Spandauer Straße 77, muss bei dem gefürchteten Stadtphysikus Dr. Natorp sein Examen zum Apothekergesellen bestehen.

Nicht nur Museen bewahren heute historisches Apothekeninterieur. 
© ML Preiss
Nicht nur Museen bewahren heute historisches Apothekeninterieur.

Eigentlich wäre er viel lieber Schriftsteller, doch der Familientradition gehorsam folgend stellt er sich der ungeliebten Prüfung. "Aber wie es so geht", notiert er in seinen Lebenserinnerungen, "aus mir unbekannten Gründen war er sehr nett, ja geradezu gemütlich. Er nahm zunächst aus einem großen Wandschrank ein Herbarium und ein paar Kästchen mit Steinen heraus und stellte, während er die Herbariumblätter aufschlug, seine Fragen. Eine jede klang, wie wenn er sagen wollte: 'Sehe schon, du weißt nichts; ich aber weiß auch nichts, und es ist auch ganz gleichgültig.' Kurzum, nach kaum zwanzig Minuten war ich in Gnaden entlassen (...)."


So einfach wie bei Fontanes Gesellenprüfung war eine pharmazeutische Staatsprüfung zum "Apotheker 1. Klasse" eigentlich schon seit längerer Zeit nicht mehr, denn 1825 war erstmals in Preußen ein zweisemestriges Pflichtstudium für Apotheker eingeführt worden. Eine Lehrzeit von drei bis vier Jahren war jedoch schon lange üblich, denn der Beruf des Apothekers zählte von alters her zum Handwerk. Viele, talentiert oder nicht, übten sich in dem Metier, Heilmittel zu bereiten. Ursprünglich war es untrennbar mit der Heilkunst verbunden, die bei den frühen Völkern in den Händen der Frauen lag. Doch über die Jahrtausende avancierte sie zu einem Privileg der Männer.

In der abendländischen Kultur wandelte sie sich unter den Griechen zur Medizin, als diese damit begannen, die gesammelten Erfahrungen auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Auf den Begründer der Medizin, Hippokrates von Los (460 - 375 v. Chr.), wird noch heute der ärztliche Eid geschworen. Als Heilmittel verwendete man häufig Kräuter und Drogen wie etwa Myrrhe, Weihrauch, Styrax, Opium, Cannabis, Safran oder Muskat. Sie stammten aus fernen Ländern und waren entsprechend teuer. So konnten sich nur Herrscher und wohlhabende Menschen Leibärzte leisten, Spezialisten anfordern und die auserlesenen Ingredienzien für Heilmittel bezahlen. Die Ärzte wurden zu vielbeschäftigten Männern, die bald keine Zeit mehr hatten, selbst die Zutaten zu beschaffen und die Arzneien herzustellen. Es bildete sich ein eigener Berufstand heraus: Männer, die sich ausschließlich um die wertvollen Lager mit den Heilkräutern - auf griechisch Apotheken - kümmerten und die Arzneien zubereiteten. Später wurde in den Klöstern das Wissen um die Heilkünste durch Abschreiben der antiken Schriften festgehalten, systematisch weiter erforscht und verbreitet.

In Deutschland entstanden die ersten Apotheken, wie wir sie noch heute kennen, vermutlich Ende des 13. Jahrhunderts in den größeren, aufstrebenden Städten. Sie lagen häufig am Marktplatz, vornehmlich in der Nähe des Rathauses, von wo aus der Stadtrat sie überwachen konnte. Schon der Hohenstaufenkaiser Friedrich II. hatte 1241 im Edikt von Melfi das Medizinalwesen geregelt: So musste zum Beispiel jede Apotheke vom Landesherrn genehmigt werden, Ärzte und Apotheker durften nicht zusammenarbeiten, sondern die Ärzte sollten vielmehr die Apotheken kontrollieren, um Betrügereien und den Verkauf minderwertiger Arzneien zu unterbinden.

Die Ratsapotheke im westfälischen Lemgo zählt zu den ältesten in Norddeutschland. Das Relief des Renaissance-Erkers von 1612 stellt zehn berühmte Naturforscher, Ärzte und Alchimisten dar. 
© D. Kranz / D. Kranz
Die Ratsapotheke im westfälischen Lemgo zählt zu den ältesten in Norddeutschland. Das Relief des Renaissance-Erkers von 1612 stellt zehn berühmte Naturforscher, Ärzte und Alchimisten dar.

Eine Apotheke durfte niemand unerlaubt betreten. Die Kunden wurden durch ein offenes Fenster bedient: Patienten übergaben dem Apotheker Rezepte - von den Ärzten in Latein verfasste Handzettel -, auf denen die Anweisungen standen. Nach den überlieferten Rezepturen wurden die Heilmittel zubereitet. Während die Kunden warteten, konnten sie von draußen den Verkaufsraum, die Offizin, betrachten: Rundherum standen Schränke mit zahlreichen Schubfächern. Die bis zur Decke reichenden Regale waren angefüllt mit Gläsern, glasierten Gefäßen, Töpfen und Tiegeln aus Porzellan, Blei, Eisen, Silber, vergoldetem Zinn oder Horn - je nach Kostbarkeit und Art ihres Inhalts. Alle waren sie fein säuberlich mit Aufschriften versehen und oft auch reich verziert. An einem großen Rezepturtisch mit Waagen und diversen Mörsern wurden die Arzneien zubereitet. Um das fremdartige und kostbare Ambiente dieser Offizinen noch zu unterstreichen, präsentierten die Apotheker gerne Kuriositäten, wie etwa ausgestopfte Krokodile, die von der Decke hingen, oder Mumien, die hinter Glas ausgestellt waren. Es gab noch einen weiteren wichtigen Raum, das Laboratorium, wo die Rohstoffe mittels kunstvoller Destillierherde verarbeitet wurden. Fremde Gewürze und Drogen erhielt der Apotheker von Drogisten, die nur mit den Rohstoffen handeln durften. Die heimischen Pflanzen, wenn er sie nicht selber anpflanzte, verkauften ihm die sogenannten Kräuterfrauen.

Barockes Offizin im Kloster Reutberg bei Bad Tölz. 
© Callwey Verlag
Barockes Offizin im Kloster Reutberg bei Bad Tölz.

Aber nicht nur mit Arzneien wurde gehandelt - sie machten besonders im Mittelalter den geringeren Teil aus -, sondern der Apotheker bot auch Gewürze, Zuckerwaren, Kerzen und ähnliches an. Die Wohlgerüche in den Apotheken waren wohl sprichwörtlich. So forderte etwa der Minnesänger Ritter Steinmar (1251 - 1270) vom Wirt einen gewürzten Trank mit den Worten: "schaffe daz der munt uns als ein apoteke smekke!" Überhaupt hatten Wirte und Apotheker manches gemein. Denn oftmals erhielt der Apotheker das Privileg, Wein oder selbstdestillierten Weingeist auszuschenken. Dies führte nicht selten zu Strafen durch den Stadtrat, denn viele Stadtchroniken wissen zu berichten, dass besonders sonntags regelrechte Saufgelage in Wirtshäusern und Apotheken unterbunden werden mussten. Vielleicht stammt aus diesen Zeiten auch der Spruch: "Er ist Apotheker, und sie trinkt auch."

Das Handwerk des Apothekers hatte etwas Geheimnisvolles und Alchimistisches an sich. Kräuterhexen und Druiden geisterten durch die Köpfe der Menschen, und so entdeckten alle jene, die man unter verwünschenden Begriffen wie Quacksalber, Scharlatane oder Kurpfuscher zusammenfasste, die goldenen Pfründe für sich, indem sie Salben und Tinkturen viel billiger und en masse unter die Leute brachten. Aber es gab auch eine "echte" Konkurrenz für Ärzte und Apotheker, nämlich die Barbiere und - man staune - die Henker. Gerade diese eigneten sich ein bemerkenswertes Wissen über die Heilkunst an, lag ihnen doch daran, die Gefolterten bis zur Hinrichtung wieder auf die Beine zu bekommen. Doch die Apotheker wussten sich zu wehren, denn sie zählten zu den angesehenen und wohlhabenden Bürgern und Kaufleuten, die zudem den Ruf von Gelehrten hatten, da sie sich auch "aufs Lateinische" verstanden.

Oftmals waren sie im Stadtrat vertreten, der sehr daran interessiert war, einheitliche Bestimmungen zu erlassen. So wurde fast alles geregelt: von dem unbedingten Besitz des Bürgerrechts für Apotheker über die Höhe der Taxen für den Verkauf bestimmter Waren bis hin zur Nachfolge eines ausgeschiedenen Apothekers. Allein die Tatsache, dass im Jahre 1585 in Köln 22 Apotheken registriert waren, zeigt die Notwendigkeit einheitlicher Bestimmungen. In dieser Hinsicht war Nürnberg, im 16. Jahrhundert eine Hochburg des Medizinalwesens, maßgebend. Dort wurde 1546 das erste offizielle Arzneibuch, die Pharmacopoe, veröffentlicht und 1555 das sogenannte Nürnberger Apothekergewicht eingeführt.

Doch nach wie vor gilt auch beim Beruf des Apothekers: Man sollte ihn gerne und ernsthaft ausüben. Für Theodor Fontane oder auch Carl Spitzweg, der die Lehre in der traditionsreichen Münchner Hofapotheke gemacht hatte, war er eindeutig nicht erstrebenswert. Aber die Apothekerausbildung hat beiden auf ihrem Lebensweg dennoch geholfen: Fontane konnte sich beim stundenlangen Anrühren eines Queckenextraktes, der fässerweise für Brunnenkuren nach England exportiert wurde, seine Geschichten ausdenken, und Spitzweg, der trotz seines 1832 mit Auszeichnung bestandenen "Absolutorj für einen Schmierladen" die Malerei vorzog, mischte Farben für seine Bilder an, deren brillante Zusammensetzungen und Qualität noch heute Rätsel aufgeben.

Christiane Rossner

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

  • Die neue Lust am Bungalow 08.11.2012 Bungalows Die Leichtigkeit des Steins

    Die Leichtigkeit des Steins

    Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.

  • Mittelalterliche Wandmalereien in Behrenhoff 16.01.2018 Die Hölle Vorpommerns Die Hölle Vorpommerns

    Die Hölle Vorpommerns

    In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.

  • Albrecht Dürer und die Kartierung der Sterne 13.01.2016 Himmelskarten Der Hase am Südhimmel

    Der Hase am Südhimmel

    Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.

Service

Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


 
 
Monumente Probeheft

Probeheft jetzt anfordern!


1
Zeitschrift abonnieren
Magazin für Denkmalkultur in Deutschland
2
Monumente Abo



Möchten Sie ausführlicher über aktuelle Themen aus der deutschen Denkmallandschaft lesen? 


Dann abonnieren Sie Monumente!  


3

Newsletter

Lassen Sie sich per E-Mail informieren,

wenn eine neue Ausgabe von Monumente

Online erscheint.

Spenden für Denkmale

Auch kleinste Beträge zählen!

 
 
 
 
6 Kommentare

Lesen Sie 6  Kommentare anderer Leser

  • Kommentar als unangemessen melden
    Kirsten Bortels schrieb am 24.03.2016 12:19 Uhr

    Wer weiß näheres über Apotheken in der DDR? Waren sie staatlich oder gab es sie auch privat?

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Theo Shumacher schrieb am 30.04.2020 22:24 Uhr

    Danke für diese faszinierende Geschichte! Ich habe mich lange für die Geschichte der Apotheke interessiert. Dieser Artikel ist eine sehr gute Umfassung!

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Peter Buschman schrieb am 26.10.2020 20:08 Uhr

    Wir sind gerade umgezogen und müssen wieder an Medikamente kommen. Ich wusste nicht das Apotheker so ein altes Handwerk ist und auch heut noch sehr relevant ist. Ich hoffe wir finden eine Apotheke, die das auch so schätzt.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Joachim Hussing schrieb am 30.10.2020 20:57 Uhr

    Vielen Dank für die Weitergabe dieses Artikels über die Geschichte der Apotheken. Ein Verwandter von mir befindet sich in einem schlechten Gesundheitszustand. Ich helfe meinem Verwandten bei der Suche nach einer Apotheke, wo er die benötigten Medikamente bekommen kann.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Ferdinand schrieb am 17.12.2020 13:45 Uhr

    Diese Geschichte der Apotheke finde ich wirklich interessant. Gut, dass bereits in 1825 ein Pflichtstudium Apotheker eingeführt wurde. Man möchte natürlich gut beraten werden und die richtigen Medikamente kaufen.

    Auf diesen Kommentar antworten
  • Kommentar als unangemessen melden
    Stefan Bradley schrieb am 08.01.2021 16:08 Uhr

    Die Informationen, die Sie hier zum Thema Apotheke mitteilen, sind sehr übersichtlich. Jetzt sollte ich eine bessere Entscheidung treffen können. Meiner Meinung nach sollte man dies immer auf eine gut informierte Weise tun.

    Auf diesen Kommentar antworten

Schreiben Sie einen Kommentar!

Antwort auf:  Direkt auf das Thema antworten

 
 

© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn