Öffentliche Bauten Renaissance Juni 2007

Der Schönhof in Görlitz

Ein Museum für alle Schlesier

Viele Schlesier, die am Ende des Zweiten Weltkriegs vor der Roten Armee flüchteten, schlossen zuvor sorgfältig ihre Haustüren ab und steckten die Schlüssel ein - in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr. Später, als die organisierte Vertreibung begann und das Mitnehmen von Haustürschlüsseln verboten wurde, hielten sich die meisten nicht daran.

Alle Objekte des Schlesischen Museums werden auf polnisch und auf deutsch beschrieben. 
© ML Preiss
Alle Objekte des Schlesischen Museums werden auf polnisch und auf deutsch beschrieben.

Einige Schlüssel - große und kleine, rostige und blank polierte - wurden schließlich dem Schlesischen Museum übergeben, das sich seit Mai 2006 im Görlitzer Schönhof befindet. Die Idee zu einem Museum, in dem die Geschichte und Kultur Schlesiens dokumentiert und weiter erforscht werden sollte, kam in den 1970er Jahren auf - allerdings nur im Westteil Deutschlands. In der damaligen DDR war alles Schlesische von Staats wegen verpönt, durften die Restaurants noch nicht einmal "Schlesisches Himmelreich" anbieten.


Das Museum sollte in Hildesheim entstehen. Nach dem Fall der Mauer einigte man sich auf Görlitz als neuen Standort, da die Stadt von 1815 bis 1945 zu Schlesien gehörte. Mit dem Schönhof, einem der ältesten Renaissancebauten Deutschlands, fand sich auch schnell ein geeignetes Ausstellungshaus. Das Gebäude war nach einem verheerenden Stadtbrand, der 1525 rund 180 Häuser vernichtet hatte, unter der Leitung des Werkmeisters Wendel Roskopf d. Ä. errichtet worden. Der Schönhof gehörte auch vor dem Stadtbrand den vornehmsten Görlitzer Familien und diente dem Rat der Stadt als fürstliches Gästehaus, in dem zum Beispiel die böhmischen Könige Wenzel IV. und Albrecht II. logierten. In den 1980er Jahren führte das sächsische Institut für Denkmalpflege erste Untersuchungen zur Baugeschichte durch. Mit seinen prächtigen bemalten Holzdecken und Wandmalereien gilt der Schönhof inzwischen als repräsentatives Beispiel für bürgerliche Innenraumdekorationen der Frührenaissance.

Einst fürstliches Gästehaus, heute Museum: der Görlitzer Schönhof 
© ML Preiss
Einst fürstliches Gästehaus, heute Museum: der Görlitzer Schönhof

Der Komplex besteht heute aus drei Gebäuden und erstreckt sich von der Brüderstraße bis zum Fischmarkt: Der Renaissancebau ist über zwei Höfe mit einem 1832 entstandenen Malzhaus und einem Brauhaus aus der gleichen Zeit verbunden. Mit der Sicherung des Schönhofs, der viele Jahre leergestanden hatte, begann man Mitte der 1980er Jahre. Die Kosten für die Sanierung - sie wurde nach der Wende durchgeführt - und den Umbau zum Museum teilten sich der Bund, der Freistaat Sachsen, die Stiftung Schlesisches Museum, das Regierungspräsidium Dresden sowie die Altstadtstiftung und die Stadt Görlitz als Eigentümerin des Schönhofs. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligte sich - auch dank großzügiger Spenden der Peter Blancke-Stiftung - an der Sanierung von Fassaden, Eingangsportalen und -toren sowie an der Restaurierung von Holzbalkendecken und Wandmalereien mit rund 133.000 Euro.

Auf 2.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden dem Besucher nun rund 1.000 Exponate aus der schlesischen Kulturgeschichte präsentiert, die das Museum in den letzten sieben Jahren zusammengetragen hat. Schwerpunkte sind Kunsthandwerk und Kunstgewerbe des 17. bis 19. Jahrhunderts, Industriekultur, Großstadtleben und Kunst der klassischen Moderne. Ein besonderer Bereich ist dem Thema Flucht und Vertreibung gewidmet. Viele der dort gezeigten Museumsstücke stammen von alten Schlesiern, wie auch 13 Einzelschlüssel und Schlüsselbunde, die eine ganz eigene Geschichte von Hoffnung, Widerstand und Verzweiflung erzählen.

Carola Nathan

Weitere Infos im WWW:

www.schlesisches-museum.de

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