1850 Interieur Material Handwerk April 2007 P
In umschmeichelnden Gewändern, mit Blumengirlanden geschmückt, tanzen Mädchen in den Landschaften Illyriens vor dem Tempel der Athene. Die liebestolle Göttin Calypso lässt nichts unversucht, um den jungen Helden Telemach auf ihrer Insel zu halten, Amor und Psyche schwören sich ewige Liebe, und die berühmten Bauwerke von Paris zeugen von der Hochblüte europäischer Kultur. Diese und ähnliche Szenarien spielten sich hinter oftmals verschlossenen Türen ab, wohl bewahrt vor neugierigen Blicken und stolz gezeigt bei besonderen Anlässen.
Die Rede ist von Papiertapeten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihren unvergleichlichen Siegeszug in die Wohnzimmer Europas antraten. Zur Verzierung der Wände zog man neben Kalkfarben die unterschiedlichsten Materialien heran wie gegerbte Häute, Binsen, Bast, gewebte Tücher, Leder, Seide oder Federn.
Als im 17. Jahrhundert die Kaufleute der Ostindischen Kompanie handgemalte Rollbilder aus China mitbrachten, wurden auch sie bald begehrte Schmuck- und Sammlerstücke, die jedoch so wertvoll waren, dass sie nur an den reichen Fürstenhöfen Europas zu finden waren. Da sie aus Papier bestanden, und Papier seit dem 13. Jahrhundert auch in Europa immer gebräuchlicher wurde, dachten bald findige Köpfe darüber nach, ob sich wohl Tapeten aus diesem Material im eigenen Land und womöglich günstiger herstellen ließen. Im Gegensatz zu Asien, wo Papier bemalt wurde, verbanden die Europäer es mit der Druckkunst, und so kam man auf die Idee, bedrucktes Papier an die Wände zu kleben. Die aufwendig hergestellten Tapeten waren zwar immer noch teuer, aber zumindest für den Adel und das Großbürgertum wurden sie erschwinglich.
Zwei französische Firmen - Zuber & Lie im elsässischen Rixheim und Dufour & Leroy in Paris - waren es, die den papiernen Bildtapeten zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu ihrem Erfolg verhalfen. In Frankreich wurden die Tapeten "papier panoramique" genannt, da sie nicht ein Muster endlos wiederholten, sondern in immer neuen, vielfältigen und farbig gestaffelten Szenen Geschichten erzählten. Die beiden Konkurrenten überboten sich in Menge und Auswahl der Themen, wobei sie die zu dieser Zeit bestehende Schwärmerei für die Antike und ihre Mythen aufgriffen.
Beim Entwurf kam ihnen sehr gelegen, dass die Wandflächen in den Wohnräumen üblicherweise in Felder aufgeteilt waren. So ließen die Tapetenkünstler die Wandsockel in Augenhöhe enden, um dem Betrachter zu suggerieren, er säße auf einer säulengeschmückten Veranda oder stünde an einer Brüstung und blicke durch eine üppige Vegetation auf Szenen, die sich oft vor prächtigen, idealisierten Architekturkulissen abspielten.
Unter dem strahlenden Himmelsblau, das zu den unendlichen Weiten des Universums hin immer heller wurde, nahmen die Betrachter teil an griechischen Göttergeschichten, napoleonischen Befreiungskämpfen, an edlen Jagdgesellschaften, lauschten Liebesgeflüster und Racheschwüren oder ließen ihre Blicke durch exotische Landschaften schweifen. Mit den in Felder aufgeteilten Darstellungen wurden mehrere Effekte erzielt: Mittels der rahmenden Vegetation und der Himmelszonen füllten die Tapetenkünstler elegant und maßgeschneidert die unterschiedlichen Wandhöhen und -breiten der zu schmückenden Räume aus. Darüber hinaus ließen sie die zweidimensionale Wandfläche durch die Aufteilung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund verschwinden und erreichten stattdessen reizvolle Illusionen optischer Tiefe.
Für Supraporten und kleine Eckflächen hatten Tapetenmanufakturen ebenfalls entsprechende Motive wie Vasen, Stilleben oder Statuen anzubieten. Themen wie "Amor und Psyche" (1815), "Vue d'Italie" (1824), "Die Monumente von Paris" (1814), "Paul und Virginie" (1824) oder "Les Incas" von 1819 waren bei den Kunden sehr beliebt. Die Herstellung der bedruckten Papiertapeten blieb bis zur Erfindung der Papiermaschine 1830 sehr aufwendig und langwierig. Bis dahin wurde im Handdruckverfahren auf einzelne Bogen gedruckt. Die Bogen waren ungefähr 50 Zentimeter breit und 15 Zentimeter hoch und wurden zusammengeklebt. Zunächst grundierte man die Papierbahnen mit Leimfarbe und bedruckte sie dann mit Holzmodeln. Je nach der Gestaltung der Motive waren 1.000 bis 4.000 Model notwendig, da für jede Farbe eigene Druckstöcke geschnitzt wurden. Künstler, Formstecher und Drucker mussten höchste Genauigkeit aufbieten. Kein Wunder, dass die Kunden nur ihre Festräume und "guten Stuben" mit diesen besonderen Tapeten schmücken ließen.
Da gerade die Ausstattung der Wohnräume dem Zeitgeschmack unterworfen ist, gibt es von den Bildtapeten heute zwar eine große Anzahl von Fragmenten, wie sie zum Beispiel im Tapetenmuseum Kassel, im Museum für Hamburgische Geschichte oder auch im Musée du Papier Peint im französischen Rixheim bei Mühlhausen zu sehen sind. Doch nur wenige Bildtapeten befinden sich noch an den Wänden, an die sie ursprünglich angebracht waren.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ist stolz darauf, dass zu ihren Förderprojekten zwei Herrenhäuser gehören, in denen sich Papiertapeten der Firma Dufour & Leroy noch an Ort und Stelle bewundern lassen. Dies ist an sich schon eine Sensation. Doch darüber hinaus haben die Papiertapeten die Zeiten erstaunlich gut überstanden und sind nahezu vollständig erhalten.
Diese Tapeten zeigen die beliebtesten Themen der Pariser Manufaktur. Im Herrenhaus Borghorst bei Eckernförde in Schleswig-Holstein ziert die Bildtapete "Die Reise des Telemach auf die Insel der Göttin Calypso" von 1825 den Festsaal zum Garten, und im Herrenhaus Rüdigsdorf nahe bei Koren-Sahlis in Sachsen sind es die "Griechischen und olympischen Feste" von 1818. Auch die einstigen Auftraggeber repräsentieren die klassischen Kunden. So zählte der Besitzer vom Herrenhaus Borghorst, 1742 erbaut, vermutlich zum niederen Adel.
Er könnte sich für die farbenprächtige Telemach-Tapete entschieden haben, weil sie 1823 nach der Vorlage eines "Fürstenspiegels" entstand. 1699 hatte der französische Schriftsteller und Theologe François Fénelon "Les aventures de Télémaque" verfasst. Sein Werk zählt zu den sogenannten Bildungsromanen, die im 19. Jahrhundert sehr geschätzt wurden. Fénelon berichtet von Telemach, dem Sohn Odysseus', der "in der Berührung mit kulturgeprägter Umwelt durch Lernen und Erfahrung" einen gereiften Charakter ausbildet und damit, wie es ein Literaturlexikon damals ausdrückte, "eine bestehende Bildungsidee verwirklicht". Fénelons Absicht ist eindeutig: Er schrieb seinen Roman als Erzieher des französischen Thronfolgers, des Enkels Ludwigs XIV., nieder.
Andere Beweggründe hatte vermutlich der Leipziger Verleger Dr. Wilhelm Leberecht Crucius, als er sich 1823 das Herrenhaus Rüdigsdorf zum Sommersitz herrichten ließ. Für den Festsaal wählte er die in Grisaille-Technik hergestellte Bildtapete der "Olympischen Feste" von 1824. Was lag für den Kunstmäzen näher, als sich mit der klassischen Antike die Wiege der europäischen Kultur und Zivilisation in sein gastfreundliches Haus zu holen, in dem berühmte Künstler, Dichter und Komponisten wie Moritz von Schwind, Ludwig Richter oder Felix Mendelssohn Bartholdy ein- und ausgingen. Sicher waren die bei besonderen Festlichkeiten gezeigten Bildtapeten ein Garant für ausgesuchte Konversation. Wenn sie nicht gar wie bei "Amor und Psyche" so manchem Galan das ersehnte Stichwort gaben.
Christiane Rossner
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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