Öffentliche Bauten 1900 Handel Februar 2007 C

Kleine Kulturgeschichte des Kaffees

Von Kaffa bis zum Coffee Shop

Wie hätten es die gnädige Frau und der Herr denn gern? Zurückgezogen im Lesezimmer, unterhaltsam im Spielsaal, mit Überblick auf der Galerie, oder möchten Sie in unserem malerei- und palmengeschmückten Barocksaal Platz nehmen?" So könnte ein in Höflichkeit geschulter Oberkellner des ersten Berliner Kaffeehauses im Wiener Stil die Gäste begrüßt haben.

Mathias Bauer, der 1878 Unter den Linden 26 das Café Bauer gegenüber vom Kranzler eröffnete, brachte Wiener Atmosphäre nach Berlin, das damals zu einer Weltstadt heranwuchs. Den Bürgern schuf Bauer eine Bühne, auf der sie wie in sonst keiner anderen deutschen Stadt täglich ihren gesellschaftlichen Auftritt genießen konnten.


Vor welcher historischen Kulisse sie repräsentieren wollten - ob klassisch elegant, altdeutsch-gemütlich in der Renaissancestube oder im barocken Spiegelsaal -, wählten die Gäste in den Palastcafés der Belle Epoque selbst. Vorausgesetzt natürlich, ihre Kostüme waren angemessen - feine Herren trugen Zylinder und die Damen hoch getürmte Hüte, die eher Kunstwerken als einer Kopfbedeckung glichen. Ebenso schnell wie die Mode der Kleider wechselte in der Kaiserzeit die ins Phantastische gesteigerte Kulissenarchitektur der Kaffeehäuser. Auf herrschaftliche französische Kaffeeschlösser oder orientalisch anmutende "Feenpaläste" der Gründerzeit folgten verspielte Jugendstil- und strengere Reformcafés.

Das 1878 eröffnete Café Bauer in Berlin. 
© Repro
Das 1878 eröffnete Café Bauer in Berlin.

Als Gipfel der nach Größe strebenden wilhelminischen Epoche entstanden riesige Häuser wie das Café Picadilly am Potsdamer Platz. 2.500 Gäste fasste das Kaffeehaus 1912. Es scheint, als hätte neben Malern und Literaten ein großer Teil der Bürger seine Zeit beim Kaffee, beim Billard oder debattierend im Zeitungssaal verbracht. Mathias Bauer richtete gar - und das war 1878 eine Sensation in Berlin - ein Damenzimmer für weibliche Gäste ohne Begleitung ein.

Die Biedermeiertasse zeigt einen zerstörten Kaffeepalast in Wolfenbüttel. 
© Museum Fürstenberg
Die Biedermeiertasse zeigt einen zerstörten Kaffeepalast in Wolfenbüttel.

Da die Geschichte der Kaffeehäuser im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Geschichte des Wandels war, müssen wir heute lange suchen, wenn wir im historischen Ambiente wie im Leipziger "Riquet" einen Kaffee trinken möchten. Glücklicher ist dran, wer nach Wien, Prag oder Budapest reist. Der herbe Wohlgeruch der Kaffeebohnen stellt hingegen einen unveränderten Reiz dar: Er ist ein beständigeres Stück Kulturgeschichte als die wechselnden Interieurs. Um die Entdeckung des Kaffeearomas ranken sich bis heute Legenden. Niemand weiß, wer der roten Kaffeekirsche zuerst ihren Duft entlockt hat: Ein brennender Strauch könnte äthiopische Mönche im 14. Jahrhundert darauf gebracht haben, den zweigeteilten Kirschkern, die Bohne, über Feuer zu rösten, abzukühlen, zu mörsern und mit heißem Wasser zu vermischen. Wie der Kaffee aus der Urheimat Äthiopien, den Bergwäldern des alten Königreichs Kaffa, nach Arabien kam, darüber wird ebenfalls noch immer spekuliert.

Die ersten Kaffeeschenken wurden im 15. Jahrhundert für Pilger in Mekka eingerichtet. Sie nannten sich Schulen der Weisheit, entwickelten sich mit der Zeit aber zu Lasterhöhlen. Kaffee zu trinken geriet bei den Backgammon spielenden Männern immer mehr in den Hintergrund. Statt dessen lockten die Düfte des Wasserpfeifen-Tabaks. Die Türken übernahmen neben dem Glauben auch dieses Getränk von den Arabern. 1554 eröffnete in Konstantinopel das erste wirklich prächtige, mit Teppichen und Bildern geschmückte Kaffeehaus.

Nach Europa gelangte der Kaffee im 17. Jahrhundert, fast zur gleichen Zeit wie die anderen exotischen Genussmittel Tabak, Schokolade und Tee. Die Venezianer, die mit ihrer Handelsflotte das Mittelmeer befuhren, lernten den Kaffee sehr früh kennen. 1645 eröffnete folgerichtig das erste europäische "Caffè" am Markusplatz.

Ehe sich die gepflegte Wiener Kaffeehauskultur mit ihrer verlockenden Duftmischung aus Gebäck und frischgebrühtem Kaffee durchsetzte, sollten zunächst die heute den Tee liebenden Engländer das stimulierende arabische Getränk für sich entdecken. Zwischen 1652 und 1690 öffneten in Englands Hauptstadt über 2.000 Coffee Houses, Coffee Shops und Coffee Stalls. Oft waren es Buden, in denen Kaffee serviert wurde oder "ambulante" Stationen unter freiem Himmel.

Café Möhring in Berlin-Charlottenburg 1993. 
© B. Esch-Marowski
Café Möhring in Berlin-Charlottenburg 1993.

Mit der Geburtsstunde der Wiener Kaffeekultur lösten sich die Kaffeetrinker und -trinkerinnen aus den dunklen, schmuddeligen Ecken der Städte. Das schwarze Getränk wurde gesellschaftsfähig. Kaum waren 1683 die Türken vor Wien geschlagen, gab sich der Adel dem "Türckentranck" hin und lebte bei Hofe im orientalischen Rausch die Turkomanie aus. Seit jenen Jahren wird auch in Deutschland Kaffee getrunken. Da aber die Kleinstaaten keine Kolonien besaßen, blieb der begehrte Muntermacher Luxusgut. Seinen Siegeszug verdankt der Kaffee in Preußen Friedrich Wilhelm II. Er schaffte die Kaffeesteuer 1787 nach dem Tode seines Vorgängers Friedrichs des Großen rigoros ab. Weil die Bohnen teuer eingeführt werden mussten, hatte sich Friedrich vehement gegen das Getränk gewehrt. Um die inländische, stark angegriffene Bierwirtschaft zu stärken, forderte er, dass das Volk die heimische Biersuppe, wie sie seit Hunderten von Jahren übliches Morgenfrühstück war, weiterhin zu sich nehmen solle. Aber Friedrich der Große handelte gegen den Trend der Zeit: Trotz der enormen Besteuerung und des Röstverbots setzte sich der "Ernüchterer" Kaffee gegen den Alkohol durch. Der Schmuggel blühte, als Friedrich seine Kaffeeschnüffler durch die Straßen schickte. Sie kontrollierten, ob jemand schwarz röstete. Der Preußenkönig selbst war dem Kaffee nicht abgeneigt, allerdings soll er ihn scharf mit Pfeffer gewürzt bevorzugt haben und nicht etwa süß wie die seiner Meinung nach unsoldatisch weichlichen "Kaffeesachsen". Die kursächsischen Soldaten hatten im Siebenjährigen Krieg angeblich behauptet, "ohne Gaffee gönn' mr nich gämpfen", und sich schlichtweg geweigert, auf dem Schlachtfeld ihres neuen Befehlshabers zu erscheinen.

Überhaupt waren die unter August dem Starken so sinnenfrohen Sachsen sehr früh auf den Geschmack des Kaffees gekommen. Die Witwe des Hofchocolatiers Lehmann, Johanna Elisabeth, schenkte in Leipzigs "Zum Arabischen Coffe Baum" ab 1720 Kaffee aus. August soll in dem noch heute als Café und Museum betriebenen Haus seinen Kaffee mit großem Behagen genossen und später immer mal wieder die Witwe in der Fleischergasse besucht haben. Kokett schmückte sich die Messestadt bald mit dem Titel "Klein-Paris" und besaß im 18. Jahrhundert mehr Kaffeehäuser als Berlin und Dresden, wenn deren Ruf auch zweifelhaft gewesen sein muss. Im Jahr 1715 tauchte ein völlig neues Wort im Lexikon auf: "Caffee-Menscher". Das seien "verdächtige und liederliche Weibes-Bilder, so in denen Caffee-Häusern das Anwesende Mannsvolck bedienen und ihm alle willige Dienste bezeugen". Glücklicherweise überlebte der barocke "Coffe Baum" als eines der seltenen Kulturdenkmale genauso wie die um 1735 in Leipzig entstandene Kaffeekantate von Johann Sebastian Bach. Sie gehört als Welterbe zum "Gedächtnis der Menschheit" und erzählt von Jungfer Liesgen, die der Kaffeesucht verfallen ist. Dem Originaltext von Picander fügte Bach noch eine humorvolle Strophe hinzu:

Portalplastik am Leipziger Haus „Zum Arabischen Coffe Baum“ (1719/20). 
© ML Preiss
Portalplastik am Leipziger Haus „Zum Arabischen Coffe Baum“ (1719/20).

"Nun geht und sucht der alte Schlendrian, wie er vor seine Tochter Liesgen bald einen Mann verschaffen kann; doch Liesgen streuet heimlich aus: kein Freier komm' mir in das Haus, er hab es mir denn selbst versprochen und rück es auch der Ehestiftung ein, daß mir erlaubet möge sein, den Coffee, wenn ich will, zu kochen."

Nutzten Goethe, Schiller, Händel und Bach die Leipziger "Bühnen" für den Auftritt in der Öffentlichkeit, trifft man sich heute überall in deutschen Innenstädten in Bars italienischer Couleur oder in den seit einigen Jahren florierenden Coffee Shops. Die "Tempel der Genüsse" nach amerikanischem Vorbild präsentieren sich zwar im schlichteren Kleid, aber lassen wir uns auf ihre Ästhetik ein, können wir am Tresen stehend oder in tiefen Fauteuils versunken den Weg der Bohne in die Tasse sinnlich nachvollziehen. Dort wird ein Erlebnis des Röstens, Mahlens und Kaffeekochens geboten, wo die Tradition alter Kaffeeläden und Kaffeehäuser miteinander verschmilzt

Dr. Christiane Schillig

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