Februar 2007
MO: Die Hanse wird stets als eine der positiven Erscheinungen unserer Geschichte gewertet. Ehemalige Hansestädte gelten als weltoffen und urban. Ihre Stadtbilder sind noch heute durch große Gemeinsamkeiten geprägt. Gibt es einen aktuellen Anlass, über die Hanse zu sprechen?
Dr. Robert Knüppel: Ein erfreulicher Anlass ist die kürzlich beendete Restaurierung des Lübecker Holstentores, das im Laufe der Jahrhunderte vom Wahrzeichen der Verteidigungsbereitschaft zum Wahrzeichen der reichen Hansestadt und zum Symbol von Stadtfreiheit und bürgerlicher Unabhängigkeit wurde. Heute setzt es der Deutsche Städtetag als Signum städtischer Eigenständigkeit und bürgerlicher Freiheit werbewirksam ein. Ein Denkmal mit solcher Aussagekraft zu erhalten, ist eine Verpflichtung jeder Generation. Dem haben die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Possehl-Stiftung in Lübeck und viele Bürger in und außerhalb der Stadt entsprochen, indem sie die Mittel zur Sanierung dieses stadtbildprägenden Wahrzeichens der Hansestadt Lübeck aufbrachten.
MO: Wie kann man den Begriff der Hanse und seine Bedeutung erklären?
Dr. Robert Knüppel: Gehen wir vom Wortbegriff aus: Hanse heißt Genossenschaft, und in der Tat, die Kaufmannsgenossenschaft gilt als Urzelle der Hanse und sie tritt vor allem da auf, wo sich städtische Siedlungen als Ausgangspunkt eines raumübergreifenden Handels bilden: in Nordwesteuropa, am Niederrhein und in Flandern. Das Entstehen mittelalterlicher Stadtlandschaften ist ohne Exportproduktion von Gütern wie Wein, Tuchen, Eisen- und Messingwaren ökonomisch nicht denkbar. Der Kaufmann wandert aus dem Bedürfnis nach gegenseitigem Schutz gemeinsam in Gruppen von Köln, Utrecht, Hamburg und anderen dieser Städte nach London, Regensburg und Schleswig. Diese Gruppen von Kaufleuten sind genossenschaftlich organisiert und nennen sich Hanse. Das mittelalterliche Städtewesen bildet also die Grundlage, auf der sich die Hanse entwickeln konnte.
MO: Wie hat sich die Hanse entwickelt?
Dr. Robert Knüppel: Besonderen Auftrieb erhielt die Entwicklung der Kaufmannshanse um die Mitte des 12. Jahrhunderts mit dem Einsetzen der europäischen Ostkolonisation, durch die das Ostseegebiet politisch, wirtschaftlich, kulturell und sozial an das Abendland angegliedert wurde.
Mit der Sesshaftwerdung des kaufmännischen Geschäftes und der Entwicklung technisch fortschrittlicher Schiffstypen verliert die Wandergenossenschaft der Kaufleute nach und nach an Gewicht, und an ihre Stelle tritt dann um die Wende zum 14. Jahrhundert die Hanse der Städte. Lübeck, das damit einhergehend die bisherigen Befugnisse der Kaufmannsorganisation aus Gotland an sich zieht, steigt nunmehr unbestritten zur Führerin des Hansebundes auf. Eine Position, die Lübeck nie mehr abgab. Selbst dann nicht, als mit der Erschließung neuer Welthandelswege und dem Erstarken selbstbewusster Nationalstaaten das hansische Fernhandelssystem nach und nach abgelöst wurde und insbesondere, nachdem die Holländer und Engländer mit der Forderung nach "Freihandel" und "Freiheit der Meere" eine neue Epoche des Welthandels einleiteten. Der Lübecker Hansetag von 1669 bleibt die letzte gemeinsame Versammlung der Hansestädte. Zwar gab es noch verschiedene Ansätze für ein weiteres gemeinsames Handeln, aber sie führten im Ergebnis nicht weiter. Die Hanse gab es von da an nur noch in dem seit 1630 bestehenden Dreierbund der Städte Hamburg, Bremen und Lübeck. Und diese Städte sind nie aus der Erbschaft der Hanse entlassen worden.
MO: Wie war die Gemeinschaft der Hanse organisiert?
Dr. Robert Knüppel: Die Hanse hatte keine feste Organisationsstruktur, obgleich ihr in ihrer Blütezeit nahezu 200 See- und Binnenstädte angehörten. Sie besaß keine eigene Souveränität, und sie verfügte über keine eigenen Finanzen, sie arbeitete ohne eigene Verwaltung und hatte weder ein eigenes Heer noch eine Flotte, sie besaß nicht einmal ein eigenes Dienstsiegel. Die einzige Institution, die ihrem Handeln gemeinsame Richtlinien und ein geschlossenes Auftreten als Gemeinschaft ermöglichte, war der Hansetag, der zudem noch sehr unregelmäßig und niemals vollzählig zusammentrat. Trotz dieser strukturellen Schwächen in der Organisation behauptete sich die Hanse über fünf Jahrhunderte in einem Gebiet, das von der Zuidersee bis nach Russland reichte und das sie im 14. Jahrhundert sogar noch durch ihre Landverbindungen nach Süddeutschland und Italien und ihre Seeverbindungen entlang der Atlantikküsten Frankreichs, Spaniens und Portugals wesentlich erweiterte. Als Gemeinschaft übte die Hanse in ihrem Aktionsraum einen wirtschaftlichen und politischen Einfluss aus, der durchaus einer europäischen Großmacht entsprach.
MO: War die Hanse somit ein Vorläufer der Europäischen Union?
Dr. Robert Knüppel: Auch wenn der Staatenbund für die Hanse niemals geschichtliche Realität war - sie ist stets nur als Gemeinschaft der Städte aufgetreten - so ist zweifellos richtig, dass sie grundsätzlich über nationale Grenzen hinaus dachte und nationale Vorurteile sowie religiöse Gegensätze nicht gelten ließ. Sie handelte in vielfältiger Weise durchaus europäisch, nur bietet sich die Hansegeschichte nicht ohne weiteres als Quelle für schwärmerische Europaenthusiasten an, denn es gibt auch genügend Zeugnisse, dass die Hanse ganz uneuropäisch denken und handeln konnte.
MO: Welche Strukturen der Hanse wirken bis in die Gegenwart fort?
Dr. Robert Knüppel: Die Einrichtung ihres Netzes von Kontoren und städtischen Stützpunkten zur dauernden Aufrechterhaltung eines regelmäßigen Handels in ganz Nordeuropa ist wohl die erste der vielen europäischen Leistungen der Hansekaufleute gewesen. Ihre Kontore in London, Brügge, Bergen und Nowgorod stehen aber noch für eine zweite europäische Errungenschaft der Hanse. Die Hansekaufleute unterwarfen ihr Leben in der Gemeinschaft bestimmten Rechtssatzungen. Diese Kontorrechte sind nach vielen vorangegangenen Einzelerlassen die ersten umfassenden Kodifikationen eines Handelsrechtes in Europa. Ihre Vorschriften zählen noch heute zum Grundstock des Handelsrechtes nordeuropäischer Staaten.
MO: Gibt es entsprechend auch Zeugnisse einer durch die Hanse beeinflussten europäischen Kulturgemeinschaft?
Dr. Robert Knüppel: Die Hanse wagte nicht nur den Schritt vom Binnenmarkt zu einem kontinentalen Wirtschaftssystem in europäischem Maßstab, sondern sie begründete mit dieser Entwicklung einhergehend zugleich eine Kultur- und Lebensgemeinschaft, die aus Europa nicht wegzudenken ist, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihren bleibenden Ausdruck auch im Bauwillen unserer Städte gefunden hat. Nur aus der Kulturgemeinschaft heraus lässt sich erklären, dass in vielen Hansestädten das architektonische Erscheinungsbild, das Bild der Häuser, Kirchen, Straßen und Plätze ein so hohes Maß an Gemeinsamkeit aufweist. Einer Gemeinsamkeit, die allein schon deshalb jeder Vordergründigkeit entbehrt, weil sie Ausdruck einer gleichen Geisteshaltung und Lebensform gewesen ist. Die Baudenkmale sind Träger von Botschaften der Vergangenheit, die uns die Verpflichtung ihrer Erhaltung für die folgenden Generationen auferlegen.
MO: Hat der Begriff der Hanse auch für das moderne Europa noch eine Aktualität?
Dr. Robert Knüppel: Aktuelle Initiativen wie die in den Niederlanden gegründeten "Hansetage der Neuzeit", die "Hanse Wirtschaftstage", die von Finnland und Schweden ausgehende "Neue Hanse" oder die "Ars Baltica" des Landes Schleswig-Holstein bemühen sich darum, den Geist der Hanse für die Annäherung von Nord- und Osteuropa an Westeuropa nutzbar zu machen. So kann es bei der Wiederbelebung der Hanse nicht darum gehen, die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung zurückzugewinnen. Es geht vielmehr darum, den Geist der Geschichte, den Geist der Hanse, als Lebens- und Kulturgemeinschaft für die heutige Politik wieder nutzbar zu machen. Ihren Bürgersinn, in Jahrhunderten erprobt, die Identifizierung des Bürgers mit seiner Stadt und ihren Aufgaben, das grenzüberschreitende Denken und Handeln, ihre Vorurteilslosigkeit und Toleranz im Umgang mit Fremden, das ist das Vermächtnis aus der Vergangenheit, das ermutigen sollte, auch heute im Geiste der einstigen Hanse tätig zu werden.
Kopfgrafik rechts: Der Hafen in Wismar.
Dr. Robert Knüppel, Jahrgang 1931, ist seit 2003 Generalsekretär der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. 1976-1988 war er Bürgermeister und Oberer Denkmalpfleger der Hansestadt Lübeck und seit 1992 Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sowie der Brandenburgischen Schlösser GmbH. Darüber hinaus war er 1973-1999 zunächst Vorstandsmitglied und später Vorstandsvorsitzender der Possehl-Stiftung in Lübeck.
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Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
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