Archäologie Sehen und Erkennen Material Dezember 2006 Q

Die Mauertechnik als Teil der europäischen Kulturgeschichte

Mauern als Kunstwerk

Das zusammenwachsende Europa muss sich in erster Linie seiner gemeinsamen Kultur bewusst werden, deren Anfänge weit zurückreichen. Dies ist auch an einem baugeschichtlichen Detail abzulesen, der Entwicklung der Mauertechnik.

Ruinen der Burg Tiryns auf der Halbinsel Peloponnes 
© G. Kiesow
Ruinen der Burg Tiryns auf der Halbinsel Peloponnes

Gerade die ältesten Mauern sind aus den größten Steinblöcken gefügt worden, wie die Ruinen der mykenischen Burg Tiryns auf der griechischen Halbinsel Peloponnes beweisen. Die um 1250 v. Chr. gegen die anstürmenden Balkanvölker errichtete Ringmauer wurde aus gewaltigen Steinblöcken aufgesetzt, die bis zu vier Meter lang und nur grob behauen sind. Man spricht hier von Zyklopenmauerwerk, da zu seiner Aufrichtung übermenschliche Kräfte erforderlich zu sein scheinen. Es reichte aber der Einsatz unzähliger Sklaven in langen Zeiträumen mit der Anwendung einfachster Hebelkräfte. Die griechische Baukunst behielt das große Format der Steinblöcke bei, so bei der um das Jahr 400 v. Chr. errichteten Stadtmauer von Selinunt (s. Kopfgrafik links) auf der Insel Sizilien. Man bearbeitete die treppenartig aufgeschichteten Quader so sorgfältig, dass sie glatt aufeinander lagen und keines Mörtels bedurften. Die römische Kunst fußte sehr stark auf der griechischen, sie steigerte sogar noch die Perfektion des Quadermauerwerks.

Im rechtsrheinischen Brückenkopf Mainz-Kastell führten die Römer um 20-40 n. Chr. einen Ehrenbogen für den Feldherrn Germanicus auf, dessen Reste 1986 im Boden entdeckt worden sind.

Fundament des römischen Ehrenbogens für Germanicus in Mainz-Kastell 
© G. Kiesow
Fundament des römischen Ehrenbogens für Germanicus in Mainz-Kastell

Als Fundament diente eine aus Bruchsteinen mit viel Mörtel gegossene Grundplatte von 2,50 Meter Stärke. Diese Gusstechnik nannten die Römer "opus caementitium", woraus sich unser Wort Zement herleitet. Als Bindemittel verwendete man einen natürlichen, aus Vulkangestein gebrannten, hydraulischen Zement, Trass genannt. Das aufgehende Mauerwerk war nach außen durch große, 55 Zentimeter hohe Quadern aus rotem Sandstein verkleidet, die mit Hilfe von Bronzeklammern miteinander verbunden waren. Der Kern innerhalb dieses Quaderrahmens bestand ebenfalls aus "opus caementitium". Es wäre viel zu aufwendig gewesen, das gesamte Mauerwerk in voller Stärke aus Quadern zu fügen.

Nicht nur hier, sondern in der gesamten Baukunst nach Christi Geburt begnügte man sich in den meisten Fällen mit einer äußeren und inneren, sauber aus Quadern gemauerten Schale und dem dazwischen liegenden Gussmauerwerk. Wir nennen dies Schalenmauerwerk, die Römer "opus implectum". Die Fachbezeichnungen für die einzelnen Mauertechniken verdanken wir dem römischen Baumeister Vitruv, der zur Zeit des Kaisers Augustus seine zehn Bücher über Architektur schrieb. Das Schalenmauerwerk aus großformatigen Quadern verstärkt bei der römischen Porta Praetoria von Regensburg den monumentalen, repräsentativen Eindruck, den das wehrhafte Tor auf die Barbaren zur Einschüchterung ausüben sollte.

Großformatige Quader an der Regensburger Porta Praetoria (links) und am Palazzo Pitti in Florenz 
© G. Kiesow
Großformatige Quader an der Regensburger Porta Praetoria (links) und am Palazzo Pitti in Florenz

Eine ähnliche Absicht verfolgte die zur Alleinherrschaft drängende Familie Medici in Florenz, wenn sie ihren Palazzo Pitti mit großformatigen, in den vorwölbenden Buckeln nur grob behauenen Quadern verkleiden ließ.
Diese Rustika genannte Außenschale nähert sich in der Wirkung dem Zyklopenmauerwerk der kretisch-mykenischen Kunst. Die Baukunst der Renaissance nahm programmatisch die antike Mauertechnik auf.

Die Römer waren kühne, begabte Ingenieure, die in der Lage waren, große Räume insbesondere bei Tempeln und Thermen mit Gewölben zu überdecken.

Kuppel des Diana-Tempels von Baia am Golf von Neapel (links) und Bruchsteinmauerwerk in Herculaneum 
© G. Kiesow
Kuppel des Diana-Tempels von Baia am Golf von Neapel (links) und Bruchsteinmauerwerk in Herculaneum

Der kreisförmige, stützenfreie Innenraum des Pantheon in Rom hat eine Kuppel mit einem Durchmesser von 43,20 Metern, die auf die Schalung aus "opus caementitium" gegossen worden ist. Dieselbe Technik liegt auch dem kleineren Tempel der Diana in Baia am Golf von Neapel zugrunde. Hier beträgt der Durchmesser 29,50 Meter. Am Rand der nur zur Hälfte erhaltenen Kuppel ist das Gussmauerwerk gut zu erkennen. Für den Hausbau verwendete man zunächst Bruchsteine, von Vitruv als "opus antiquum" oder "opus incertum" bezeichnet. Man findet es zum Beispiel in den unteren, älteren Mauerteilen der Häuser von Herculaneum. Die unregelmäßig im Steinbruch gewonnenen Steine wurden wie ein Puzzle so kunstvoll zusammengesetzt, dass der Anteil der Mörtelfugen möglichst gering ausfiel. Diese Technik wurde in der Architektur des 19. Jahrhunderts - wegen der Begeisterung für die Antike - wieder aufgegriffen.

Zweifarbige Steine bilden ein Schachbrettmuster 
© (C) G. Kiesow
Zweifarbige Steine bilden ein Schachbrettmuster

Auf das ältere "opus incertum" folgte im römischen Hausbau das sorgfältig aus relativ kleinen, quadratischen Quadern gefügte "opus reticulatum". Bei diesem Beispiel aus Herculaneum ergeben schwarze und ockerfarbene Steine ein Schachbrettmuster. An der Königshalle in Lorsch setzt sich das "opus reticulatum" aus rotem Sandstein und weißem Kalkstein zusammen. Die Karolinger knüpften mit diesem Bau bewusst an die Baukunst des römischen Imperiums an, das sie als christliches Reich wiederherstellen wollten.


Prof. Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow

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