Sehen und Erkennen Renaissance Oktober 2006
Die Renaissance als Wiederbesinnung auf die Kunst der Antike entstand in Italien bereits im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, als Filippo Brunelleschi in Florenz 1418-36 die Kuppel des Domes und ab 1420 die Kirche San Lorenzo erbaute. Nach Deutschland gelangte sie erst ein Jahrhundert später. Die ersten Beispiele sind die Fuggerkapelle in Augsburg (1509-12) und der Fürstenhof in Görlitz (1525).
Wegen der besonders großen Konzentration von Schlössern und Bürgerbauten der Renaissance im Weserraum hat man den Begriff der Weserrenaissance geprägt, womit aber kein eigener Stil, sondern eine Baugruppe mit eigener stilistischer Ausprägung gemeint ist. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre Formen weniger direkt aus Italien - wie Augsburg und Görlitz -, dafür aber stärker über die Niederlande und nach Stichvorlagen deutscher und niederländischer Zeichner bezog. Auch leben in ihr noch viel deutlicher Bauformen der Gotik weiter. Dazu gehören Treppentürme, Zwerchhäuser, Lukarnen, Erker und Ausluchten.
Eines der ersten Schlösser der Weserrenaissance entstand ab 1534 in Stadthagen durch den Baumeister Jörg Unkair. Auf einen gotischen Treppen- oder Staffelgiebel, wie er um 1480 in Lemgo an der Ratskammer des Rathauses entstanden war, setzte Jörg Unkair an die Stelle der gotischen Fialen bei seinen Giebeln Halbkreise, auf denen Kugeln so balancieren, dass sie jederzeit herunterzufallen drohen. Im Schlosshof von Bückeburg wurde das Motiv an einer Lukarne insofern weiterentwickelt, als die Begrenzung der ersten Staffel durch zwei Voluten erfolgt, womit die Entwicklung zum Schweifgiebel eingeleitet wurde (s. Kopfgrafik links). Eine Lukarne ist ein steinerner Dachausbau, der direkt auf der Mauerkrone des obersten Geschosses aufsitzt, im Unterschied zur Gaube, die aus Holz besteht, auf dem Dachstuhl ruht und durch einen Ziegel- oder Schieferstreifen von der Mauerkrone getrennt ist.
Der in Bückeburg geschaffene Ansatz zum Schweifgiebel wird beim Rathaus in Rinteln weitergeführt. Hier entstand der Giebel der rechten westlichen Fassade unter dem Einfluss des Schlosses bereits um 1540-50, wie man an den Halbkreisen auf dem Treppengiebel erkennen kann. Der linke, östliche Giebel wurde 1598 geschaffen. Er lässt die Herkunft aus dem Staffelgiebel kaum noch erkennen, denn durch die an ihren Enden frei herausgedrehten Voluten wurde ein Schweifgiebel geschaffen, der durch die aufgesetzten Obelisken eine sehr bewegte Silhouette erhalten hat. Den mittleren Vorbau an der linken Fassade fügte man Anfang des 17. Jahrhunderts hinzu, die beiden der rechten Fassade 1581-83. Man nennt sie Ausluchten. Diese steigen vom Erdboden aus auf, während die ihnen verwandten Erker stets erst im Obergeschoss auf Konsolen ansetzen.
Der Giebel der Apotheken-Auslucht des Rathauses von Lemgo von 1612 bedeutet gegenüber dem vorigen Beispiel aus Rinteln noch einmal eine Steigerung an Bewegtheit, Plastizität und Formenreichtum. Die geradezu dramatisch gekrümmten Voluten überziehen die gesamte Giebelfläche und drehen sich an den Enden ihrer inneren Schnecken plastisch aus der Fläche heraus. Wir haben es hier 1612 wie auch schon in Rinteln 1598 nicht mehr mit der Renaissance, sondern mit der Stilphase des Manierismus zu tun. Der bekannte Florentiner Architekt und Kunstschriftsteller Giorgio Vasari (1511-74) benutzte als erster den Begriff Maniera, den er auf den Spätstil von Michelangelo anwandte: So sind beispielsweise beim Moses vom Julius-Grabmal in Rom bereits erste frühbarocke Anklänge festzustellen. Die neuzeitliche Kunstgeschichte übernahm den Begriff für die Übergangsphase zwischen Renaissance und Frühbarock. Sie beginnt um 1590 und reicht bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618, in Gegenden, die nicht unter den Kriegswirren zu leiden hatten, bis zum Frieden 1648. Danach wirkte sich die entsetzliche Dezimierung der Bevölkerung und damit auch der Künstler und Handwerker so stark aus, dass man für den Wiederaufbau auf italienische Kräfte angewiesen war, die dem in Italien längst ausgeprägten Barock auch nördlich der Alpen zum Durchbruch verhalfen.
Um die Entwicklung von der Renaissance zum Manierismus noch stärker zu verdeutlichen und um eine Datierungshilfe zu geben, sollen hier noch die wichtigsten Ornamente zwischen 1550 und 1630 vorgestellt werden. Am Anfang war besonders das Beschlagwerk verbreitet, wie es an dem Brunnentrog im Hof des Schlosses Lichtenberg (s. Kopfgrafik rechts) aus der Zeit zwischen 1570 und 1581 alle Außenflächen überzieht. Die Bezeichnung leitet sich von den eisernen Bändern der Beschläge hölzerner Truhen und Torflügel ab. Es ist ein ganz flächiges, im dünnen Flachrelief aus dem Stein herausgearbeitetes Ornament, das sich aber auch vielfach an Holzarbeiten findet. So rahmt es an der um 1570 entstandenen Kanzel in der Stephani-Kirche von Osterwieck (Sachsen-Anhalt) die halbrunden Nischen. Diese schließen mit einem weiteren, in der Hochrenaissance zwischen 1550 und 1590 sehr beliebten Motiv ab, der Muschel. Sie wurde bereits in der römischen Antike für diesen Zweck eingesetzt und war das Vorbild für die Ausbildung der halbrunden Rosetten im Fachwerkbau der Renaissance. Unterhalb der Nische erkennt man ein ornamental gerahmtes, Kartusche genanntes Feld mit der Inschrift S. Lukas, dessen Statuette zur Zeit der Aufnahme zur Restaurierung entfernt war. Die Kartusche besitzt bereits das Rollwerk genannte Ornament, das nicht mehr rein flächig angelegt ist, denn die Voluten rollen sich deutlich aus der Fläche heraus. Derartiges Rollwerk wurde bereits von dem niederländischen Stecher Virgil Solis 1555 dargestellt und ist bis in die Zeit nach 1600 als Ornament zu finden.
Eine Besonderheit der Weserrenaissance sind Kerbschnittornamente, die häufig, wie am Hochzeitshaus in Hameln 1610-17, alle gebänderten Flächen der Fassaden bedecken. Hier in Hameln kommen zu den Kerbschnittornamenten an der Bänderung noch Beschlagwerk und Rollwerk am Gesims hinzu. Aus dem Rollwerk entwickelte sich der Ohrmuschelstil, indem die kreisförmigen Voluten in ovale umgeformt und spiralförmig übereinander gelegt wurden.
Das Bürgermeister-Hintze-Haus von 1621 am Wasser West in Stade ist dafür ein gutes Beispiel. Während das Rollwerk von der Renaissance zum Manierismus überleitet, gehören die Ohrmuschelornamente ebenso eindeutig dem Manierismus an, wie auch der aus ihnen hervorgehende Knorpelstil, bei dem die äußeren Ränder der Ohrmuscheln mit Knorpelschnüren besetzt werden.
Georg Dehio bildet dazu in seiner Deutschen Kunstgeschichte einen Ornament-Stich von Rutger Kaßmann (1630) ab und schreibt: "Das letzte und unbändigst barocke Ornamentsystem, von 1600 bis über den Dreißigjährigen Krieg hinaus herrschend, ist das Knorpelwerk, in einer speziellen Erscheinungsform auch Ohrmuschelstil genannt. Es ist ebenso ungeometrisch wie naturfremd, eine jeder Regel spottende Verknäuelung und Verfilzung kleinteiliger, gequetschter, qualliger, gekrösiger Formen, geknetet, nicht gezeichnet; eine zerwühlte, durchaus verlebendigte Innenfläche, bei der der Kontur zu sprechen gänzlich aufgehört hat, jeder aus der Pflanzen- oder Tierwelt hinzugebrachte Schmuck verschwunden ist - absolutes Ornament." In dieser sehr treffenden Charakterisierung schwingt allerdings Dehios Abneigung gegen den Manierismus durch, der sich bei ihm zum Teil auch noch auf den Barock als die "welsche Kunst" erstreckte.
Ohrmuschel- und Knorpelwerk sind die charakteristischen Ornamente des Manierismus, der besonders in Bückeburg in der Kapelle und an der Götterpforte des Schlosses, an der Fassade der dortigen Stadtkirche sowie in Stadthagen mit den Bronzefiguren des Adrian de Vries im Mausoleum einen Höhepunkt in der deutschen Kunst erreichte.
Professor Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow
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Ein großes Kompliment dem Autor und ehemaligen Kommilitonen aus Göttinger Studienzeiten! Traurig, dass es ihn nicht mehr erreicht. - So viel Klarheit sollte in der Fachliteratur weiter verbreitet sein...
Susanne Lücke-David
Endlich einmal jemand der die Ohrmuschel erklärt. Aber gehört die Ohrmuschel nicht zu den Fächerrosetten, wie Palm- und Muschelrosette auch? Und wurde die Ohrmuschel im Kontext zu den Figuren oder auch Leerräumen ideengeschichtlich untersucht? Als erste Figur tritt Jupiter auf seiner Ohrmuschel auf, wie auf alten Fotografien des Pellerhauses in Nürnberg zu sehen ist. Dann z. B. Apollon von Jacopo Sansovino in Vededig. Das Juliusgrab in Rom wird von weiteren Ohrmuscheln geschmückt, sie gehören den alttestamentarischen Figuren Lea und Rachel. Auch ist im gleichen Grabmal Maria mit Kind und Ohrmuschel zu sehen. Jesus Christus ist mit seiner 7-teiligen Ohrmuschel am sogenannten Hexenbürgemeisterhaus in Lemgo zusehen. Friedrich IV. ist mit Ohrmuschel -11-teilig- in der Ahnengalerie des Friedrichsbaus am Schloss Heidelberg zu sehen. An vielen Fachwerkhäusern sehen wir Blendarkaden, sie sind leer. Sind es nicht diese fehlenden Ohrmuscheln mit Figuren, die in Zukunft kommen werden?
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