Wohnhäuser und Siedlungen

Interview mit Dr. Eckehart Beichler

Dorferneuerung auf dem Prüfstand

MO: Wie sieht die Situation für Denkmale in den Dörfern und auf dem Lande in Sachsen-Anhalt gegenwärtig aus?

Dr. Eckehart Beichler:  Ein vorschnelles Gesamturteil sollte niemand fällen, schon gar nicht ein "gelernter Wessi" wie ich, der gemeinsam mit seiner Frau ein dörfliches Baudenkmal im ehemaligen DDR-Sperrgebiet übernommen hat. Aber gerade aus dieser besonderen Perspektive fällt auf, dass sich die ermutigenden Ansätze bei manchen Altstadtsanierungen in Sachsen-Anhalt auf dem Lande kaum fortsetzen. Das Instrument der herkömmlichen Dorferneuerung hat erschreckend wenig an dem von Jahr zu Jahr wachsenden Problem der unbeachtet verfallenden ortstypischen Altbauten geändert, von dem gerade die Dorfkerne betroffen sind. Dadurch verlieren die Dörfer mehr und mehr ihr historisch gewachsenes Gesicht und ihre Identität. Diese hat ohnehin durch manche Bausünden aus der DDR-Zeit gelitten. Und selbst dort, wo nach 1990 restauriert wurde, geschah dies oft nicht denkmalgerecht.


MO: Welche eklatanten Problemfälle gibt es?

Dr. Eckehart Beichler: Um es aus meiner konkreten Sicht "von unten" zu verdeutlichen: von den ehemals fünf denkmalgeschützten Anwesen meines unmittelbaren Nachbarbereichs, keines weiter entfernt als 50 Meter von meiner Haustür, sind nur noch zwei bewohnt. Ein alter Vierseithof ist restlos abgerissen, ein Handwerkerhaus sowie die ortsbildprägende Dorfgastwirtschaft sind nach anderthalb Jahrzehnten Leerstand faktisch zu Ruinen verkommen, ohne dass das Denkmalamt eingegriffen hat. Wer mit wachen Augen durch Sachsen-Anhalt fährt, kennt ähnliche Bilder aus allen Landesteilen. Eklatante Problemfälle sind also allgegenwärtig, auch wenn davon meist nur die verfallenen Gutshäuser und ehemaligen Adelssitze Medieninteresse finden.

MO: Gibt es auch positive Beispiele?

Dr. Eckehart Beichler: Natürlich. Aber sie erfordern besondere Bedingungen: zumindest einen langen Atem, nach Möglichkeit die Unterstützung von Gleichgesinnten - etwa bei der "Interessengemeinschaft Bauernhaus", IGB - und im Idealfall eine breite Kooperation auf Dorfebene. Für das erste Erfordernis habe ich wiederum ein gutes Beispiel aus meinem unmittelbaren Umfeld vor Augen: die anderthalb Jahrzehnte lang durchgehaltene Renovierung des repräsentativen Reichstagsabgeordneten-Hofes Hosang - jetzt Gröbke - im Ortskern Sommersdorf. Für das zweite mag man das Beispiel von Karl Groß im "Holznagel", Heft 1/2006 nachlesen: Wiedererstehen eines schon aufgegebenen Gutsarbeiterwohnhauses mit Schwarzer Küche in Möckern/Riesdorf. Das dritte spiegeln die Gemeinschaftsobjekte des Europa-Siegerorts Ummendorf wider, darunter beispielhaft der "Heinemannsche Hof", der auch durch seine vielseitige Nutzung besticht. Wenn wie hier das große Problem der Umnutzung alter Bauernhöfe beispielhaft gelöst wird, verdient dies breite Aufmerksamkeit und Nachahmung.

MO: Welche politischen Entwicklungen und Initiativen in jüngster Zeit könnten dem Denkmalsschutz dienen, welche bringen eher Gefahren mit sich?

Dr. Eckehart Beichler: Um wieder mit der unteren Ebene zu beginnen: Der von der Kürzungspolitik des Landes vorgegebene Zwang, vor Ort mit abnehmenden Dorferneuerungsmitteln zurechtzukommen, könnte dazu verhelfen, dass gezielter und sachgerechter unter Denkmalgesichtspunkten gefördert wird. Auf der anderen Seite birgt die zur Zeit alles beherrschende Forderung nach "Bürokratieabbau" die Gefahr in sich, dass der Abriss alter Bausubstanz weiter erleichtert wird. Entsprechende Vorgaben in anderen Bundesländern haben diese Tendenz bereits in krasser Weise bestätigt. Ähnliches ist leider für Sachsen-Anhalt zu erwarten.Entgegen mancher Befürchtung sind von der flächendeckenden Einführung der "Einheitsgemeinden" durch die neue Landesregierung Sachsen-Anhalts meines Erachtens keine Gefahren für den ländlichen Denkmalschutz zu erwarten. Dazu muss allerdings das angebotene Instrument der Ortschaftsverfassung für die bisher selbstständigen Dörfer genutzt werden. Es bietet die Chance, das kommunalpolitische Engagement exakt auf die ortsnahen Themen der Dorfgeschichte, der Denkmal- und Gemeinschaftspflege zu konzentrieren, wie ich dies in meinem alten Wirkungskreis, einer zum "Stadtteil" gewordenen, aber nach wie vor lebendigen niedersächsischen Dorfgemeinde mehr als zwei Jahrzehnte lang erlebt habe und verantwortlich mitgestalten konnte.Hilfreich für die zukünftige Landesgesetzgebung könnte sich das neuerwachte Interesse der Parteien am ländlichen Raum auswirken. So beginnt der entsprechende Abschnitt im Landtagswahlprogramm der SPD - angestoßen durch die IGB und die Seniorenorganisation "60-Plus" - ausdrücklich mit dem vielversprechenden Punkt: "Neuorientierung in der Dorfentwicklung, kreative Lösungen zum Erhalt ortsbildprägender Bausubstanz und historischer Dorfkerne". Es wird dem ländlichen Denkmalschutz nutzen, die praktischen Konsequenzen aus solchen Grundsatzforderungen ständig anzumahnen und dabei die Zusammenarbeit zwischen den engagierten Fachgruppen und politischen Entscheidungsträgern zu suchen.

Positivbeispiel: Reichstagsabgeordneten-Hof, Negativbeispiel: Ruine des Handwerkerhauses 
© Dr. Eckehart Beichler
Positivbeispiel: Reichstagsabgeordneten-Hof, Negativbeispiel: Ruine des Handwerkerhauses

MO: Welche Lösungsansätze schlagen Sie vor? 

  Dr. Eckehart Beichler: Der Landesvorstand "60-Plus" hat in einem gründlichen Papier, das als Antrag an den SPD-Landesvorstand und die Landtagsfraktion gegangen ist, eine Reihe von praktischen Vorschlägen zusammengestellt. Ich greife einfach ein paar heraus. Die Bauämter sollten zur fortlaufenden Bestandserfassung verfallender Altbauten verpflichtet werden, vor Ort den Eigentümern Entscheidungshilfen anbieten, gegebenenfalls auch Druck ausüben. Vorhandene Instrumente wie "ABM", "Ein-Euro-Jobs" oder auch "Freiwilliges Ökologisches Jahr" könnten für die Rettung ortsbildprägender Bausubstanz genutzt werden. Was bei der Pflege von Grünanlagen möglich ist, wäre hier noch viel wichtiger. Die Bergung von Baustoffen für Altbausanierungen müsste weiter systematisiert werden. Zumindest bei öffentlichen Abrissmaßnahmen sollte es eine rechtlich festgeschriebene Verpflichtung geben, historische Baustoffe sicherzustellen und nicht einfach zu entsorgen. Zudem sollte die alte IGB-Forderung nach dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz für solche Baustoffe und insgesamt für Arbeiten an Denkmalobjekten endlich verwirklicht werden. Eine konsequente Zusammenarbeit der Kommunen mit den in der Altbausanierung engagierten Organisationen ist anzustreben. Deren Spezialwissen, aber auch ihre Einrichtungen wie Altbaubörsen sollten in viel breiterem Umfang genutzt werden als bisher. Der ehrenamtliche Einsatz fachkundiger Mitarbeiter aus diesem Bereich verdient Unterstützung und darf nicht vom grünen Tisch aus behindert werden. Als Beitrag der Medien zur dringend notwendigen Bewusstseinsänderung wäre die gezielte Berichterstattung über gelungene Projekte des Denkmalschutzes auf dem Lande sowie auch über regionale Schönheiten und historische Besonderheiten hilfreich.

Solche Maßnahmen - hierzu gibt es einen ausführlicher Text im "Holznagel" 1/2006 - sind durchaus geeignet, dem schleichenden Gesichtsverlust unserer Dörfer entgegenzuwirken. Auch wenn klar sein muss, dass schon angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt nicht jedes Fachwerkhaus gerettet werden kann: Die Bewahrung der historischen Ortskerne ist machbar und bleibt ein unverzichtbarer Beitrag zur zukünftigen Lebensqualität auf dem Lande.

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