Kurioses Interieur Juni 2006 T

Eine kleine Kulturgeschichte der Tischbrunnen

Früchte sprühen Safranwasser

Alles scheint in Bewegung, schwingt und fließt. Um einen fein sprühenden Brunnen, den drei tänzelnde Grazien bekrönen, gruppiert sich im fröhlichen Reigen eine elegante Festgesellschaft. Musikanten lehnen hingestreckt am Brunnenrand, Gäste lesen entspannt im Gras oder flanieren durch den Garten. Ein Mundschenk kühlt Weinflaschen im Wasserbecken.

Unter einer begrünten Pergola tafeln noch immer ausdauernd einige Gäste, die sich, schon jenseits aller höfischen Form, zu einem lockeren Kreis zusammengefunden haben. Wir befinden uns in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts, an einem späten Sommernachmittag, auf einem Fest unter freiem Himmel. Es ist von Martinus van der Biest gemalt worden.


Fließendes Wasser war ein außerordentlich wichtiges Element bei ausgedehnten Gastmahlen. Man brauchte frisches Wasser zum Trinken und Mischen des Weins, zum Reinigen des Geschirrs und der Hände, es kühlte und befeuchtete angenehm die Luft. Und Brunnen, besonders mit Nymphen, einer Venus oder Grazien geschmückte, waren eine willkommene Augenweide. Stetiges Plätschern nährte die Vorstellung, dem Paradies, wo alles reich und fruchtbar ist, ganz nahe zu sein.

"Festgesellschaft im Garten" von Martinus van der Biest, um 1580 (Ausschnitt) 
© Germanisches Nationalmuseum
"Festgesellschaft im Garten" von Martinus van der Biest, um 1580 (Ausschnitt)

Auch für ein festliches Mahl im Ritter- oder im Schlosssaal wollten die Gastgeber der Renaissance und des Barock nicht auf das Schauspiel des Wassers verzichten. Sie holten sich die stimmungsvollen Brunnen an ihre Tafeln. Natürlich nicht an den Esstisch des Alltags. Tischbrunnen waren ein Luxusgut zu einer Zeit, als schon der Besitz eines Privatbrunnens etwas Besonderes war, da Wasser üblicherweise aus öffentlichen Brunnen geschöpft wurde. Tischbrunnen gehörten zum Tafelgerät, wenn das Festessen als kulturelles Ereignis ausgerichtet wurde, bei dem die Gastgeber sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten. 


Im Mittelpunkt des Banketts standen verschiedene Zerstreuungen. Zwischen den einzelnen Gängen gab es Musik, Gesang, Tanz und Turniere. Sie wechselten ab mit komödiantischen oder dramatischen Theateraufführungen. Überraschungseffekte wie unerwartete Tierstimmen von versteckten Automaten, derbe Scherze auf Kosten der Gäste, Wasserkünste und Feuerwerk sorgten zusätzlich für Kurzweil.


Wenige der tafelkrönenden Tischbrunnen, die aus Silber, Gold oder Glas hergestellt wurden, sind bis heute erhalten. Über ihre Technik - wie auch über ihre Verwendung - läßt sich oft nur spekulieren. Die meisten der seit dem 16. Jahrhundert stärker verbreiteten kleinen Brunnen waren Automaten, deren Mechanismus im Verborgenen lag. Sie besaßen neben einem internen Flüssigkeitsreservoir eine Vorrichtung, die für eine begrenzte Zeit Druck aufbauen konnte. 


Wenn man allerdings meint, dies sei eine typische Erfindung der barocken Hofgesellschaft, die das Exotische und Bizarre liebte, liegt man ganz falsch: Die Entwicklungsgeschichte des Tischbrunnens geht bis ungefähr 200 v. Chr. zurück. In der Pneumatik des Philon von Byzanz wird bereits über Tafelgeräte berichtet, die mit Luft und Wasserdruck arbeiten. Dreihundert Jahre später legte Heron von Alexandria mit einem Lehrbuch der Pneumatik den Grundstein für die nach ihm benannten Heronsbrunnen. Er entwickelte drei Grundtypen. Allen gemeinsam ist das Prinzip, mittels komprimierter Luft eine Flüssigkeit entgegen der Schwerkraft auf ein höherliegendes Niveau zu heben.

Tischbrunnen von Wolf Rötenbeck um 1620 
© Germanisches Nationalmuseum
Tischbrunnen von Wolf Rötenbeck um 1620

So war das Servieren von Speisen am Hofe Kaiser Neros ein Spektakel, das selbst französische Könige des Barock bestaunt hätten: Während des Essens tat sich die Deckenvertäfelung auf. Goldene Kränze wurden heruntergelassen und Parfüm über den Gästen zerstäubt. Bei leisester Berührung versprühten Kuchen und Früchteattrappen Safranwasser. Aus Tafelaufsätzen mit vier Marsyasfiguren floss pikante Fischsoße auf Fische herab, die in einem Teich aus Tunke schwammen.Im Mittelalter sprudelten solche Heronsbrunnen nicht, denn die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Antike waren nahezu verschüttet. Quellen über Mathematik, Astronomie, Physik und Mechanik wurden erst nach dem Jahr 1000 wiederentdeckt, und ab dem 12. Jahrhundert drang die alexandrinische Technik allmählich ins westliche Bewusstsein. 


Allerdings gab es wohl vorher schon die einfacheren Gefällebrunnen, aus denen nach Öffnen einer Sperre eine oben gespeicherte Flüssigkeit nach unten in ein Sammelgefäß floss. Im 15. Jahrhundert gewannen die pneumatischen Errungenschaften einen solchen Stellenwert, dass auch Leonardo da Vinci das System dieser Brunnen erforschte. Später entwarf Albrecht Dürer Tischbrunnen, die die Kenntnisse der Heronschen Lehre voraussetzten. "Sonst giebt es (...) kleine Springbrunnen, welche auf den Tafeln großer Herren zu ihrer Belustigung gebrauchet werden, in dem man sie mit Wein oder wohlrüchenden Wassern anfüllet", schrieb im 17. Jahrhundert ein Chronist.


Wenn die reine Schmucklust siegte, wurden auch Tafelaufsätze - im 19. Jahrhundert dann sogar aus Zuckerguss - kreiert, die Brunnen nur vortäuschten. Daneben kamen Weinkühler, Handwaschfontainen und Weinfässchen vor, aus denen man direkt am Tisch zapfte. Mit Beginn des technischen Zeitalters im ausgehenden 19. Jahrhundert verloren diese Miniaturbrunnen ihre Faszination. Der Name Heron von Alexandria geriet in Vergessenheit, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als der eigentliche Siegeszug des auf ihn zurückgehenden Prinzips begann: Heutige Kaffeemaschinen zehren von Herons Entwicklungen ebenso wie Parfümzerstäuber, die Siphonflasche und die Spraydose.

Teilvergoldeter prächtiger Tischbrunnen von Melchior I. Gelb (1652/53) 
© Staatliche Museen Kassel, A. Hensmanns
Teilvergoldeter prächtiger Tischbrunnen von Melchior I. Gelb (1652/53)

Wie wurden die Tischbrunnen im Detail gestaltet? Die meisten noch erhaltenen Exemplare ähneln Monstranzen. Ihre Gestalt musste - wie bei den echten Brunnen - vor allen Dingen die Erfordernisse der Wassertechnik berücksichtigen. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts tauchen in der Augsburger Goldschmiedekunst eine Reihe von Prunkgeräten auf, die als Weinmischbrunnen dienten. Charakteristisch ist ein heute in den Staatlichen Museen Kassel erhaltenes knapp 60 Zentimeter hohes, kleines Kunstwerk des Goldschmieds Melchior I. Gelb (1581-1654). Er goss seine Idee vom Fließen in eine beständige Form. Eine muschelförmige Auffangschale versinnbildlicht das Meer gemeinsam mit Neptun, der diese Woge trägt. Ein auf dem Weinfass treibender Bacchus spielt auf den Genuss des Weines an. Welch ein Schauspiel für die Tischgäste, das sich gegenseitig steigernde Funkeln des Goldes und des Weines zu betrachten! 


Sprühende Brunnen wie auf dem Gemälde des Martinus van der Biest sind Gleichnisse des Überflusses und der Fruchtbarkeit. Ihr Schmuck, und das gilt auch für Tischbrunnen, bezieht sich vielfach auf Urwünsche: Frieden, Freude und Befreiung von den Lasten des Daseins. Vorstellungen vom Paradiesquell und Lebensbrunnen werden geweckt. Das Festbankett sollte darüber hinaus irdischer Abglanz der Göttermahlzeit sein: Bacchus, Ceres und Venus, aber auch Neptun und Jupiter zieren daher viele Tischbrunnen. Die edlen Prunkgeräte verkörpern zugleich Harmonie und Gleichmaß und heben eine gewöhnliche Mahlzeit aus der banalen Welt in höhere Sphären.


Dr. Christiane Schillig

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