Sehen und Erkennen April 2006 K

Wie sich Kreuzbogenfriese verbreiteten

Ein Motiv auf Wanderschaft

Verfolgt man ein Architekturmotiv, zum Beispiel den Kreuzbogenfries, auf seiner Wanderung von Spanien über Italien nach Deutschland, so wird deutlich, wie eng bereits im Mittelalter in Europa die kulturellen Bindungen zwischen den einzelnen Ländern waren.

Gekreuzte Hufeisenbögen an der ehemaligen Moschee in Toledo 
© G.Kiesow
Gekreuzte Hufeisenbögen an der ehemaligen Moschee in Toledo

An der im Jahr 999 erbauten ehemaligen Moschee in Toledo taucht der Kreuzbogenfries zum erstenmal auf; hier aus Hufeisenbögen entstanden, die sich zur Hälfte ihrer Breite überschneiden. Nach der Eroberung Toledos 1085 durch die Christen wurde aus der Moschee die Kirche Cristo de la Luz. Man erweiterte sie 1187 um einen Chor und übernahm dabei die Backsteintechnik von den Mauren.


Spätere Bauten wie die nahegelegene Puerta del Sol zeigen das Motiv des Kreuzbogens in der abendländischen Form als Durchdringung von Rundbögen. Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela oder Kreuzritter als Teilnehmer an der "Reconquista" genannten Befreiung Spaniens von den Mauren brachten das Motiv nach Norditalien, wo es im 12. Jahrhundert sehr verbreitet war, so an Sant' Ambrogio in Mailand sowie an den Domen von Modena, Vercelli und Fidenza. Die Backsteintechnik wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts aus Oberitalien nach Norddeutschland eingeführt, da es im Flachland keinen Haustein gab und die von den Gletschern der Eiszeit übertragenen Granitfindlinge verbraucht waren.

Romanischer Dom im italienischen Fidenza 
© G.Kiesow
Romanischer Dom im italienischen Fidenza

Mit der ausgezeichneten Backsteintechnik brachten norditalienische Ziegelbrenner auch den Kreuzbogenfries an die 1148 begonnene Klosterkirche der Prämonstratenser in Jerichow (Sachsen-Anhalt, s. Kopfgrafik links). Wenige Jahre später taucht er am Dom in Ratzeburg (s. Kopfgrafik rechts) auf, der unter der Förderung von Heinrich dem Löwen ab 1160/70 errichtet wurde, desgleichen am Dom von Lübeck, ebenfalls eine Stiftung des Sachsenherzogs.

Dorfkirche im mecklenburgischen Vietlübbe 
© G.Kiesow
Dorfkirche im mecklenburgischen Vietlübbe

Von Ratzeburg aus gelangte das Motiv an die kleine, aber kostbare Dorfkirche von Vietlübbe, in der Nähe von Gadebusch (Mecklenburg-Vorpommern) und etwa zur gleichen Zeit an die Klosterkirche der Zisterzienser in Bad Doberan. Dort findet man den Kreuzbogenfries an der Westwand des südlichen Seitenschiffes, die als einziger Rest der ab 1186 erbauten, 1295 durch Brand zerstörten ersten Klosterkirche in den gotischen Neubau übernommen worden ist. Wenn das Motiv auch an der Klosterkirche von Danzig-Oliva auftritt, so ist hier wohl die gemeinsame Zugehörigkeit zum Zisterzienserorden das Bindeglied.
Diese Aufzählung der Kreuzbogenfriese ist natürlich unvollständig. Würde man sämtliche Beispiele nennen, wäre die Liste sehr lang. Überwiegend finden sie sich im Backsteingebiet - wohl, weil sie sich aus wenigen Formsteinen zusammenfügen lassen.

Vom maurischen Spanien über Oberitalien nach Norddeutschland wanderte der Kreuzbogenfries als ein wichtiges Schmuckmotiv der romanischen Backsteinbaukunst. Diese verschmolz in der Marienkirche von Lübeck mit dem Gliederungssystem gotischer Kathedralen von Nordfrankreich. So entstand in der sonst von Hallenkirchen geprägten Kulturlandschaft Norddeutschlands eine einzigartige Gruppe gotischer Backsteinbasiliken, die es nur zwischen Lübeck und Greifswald mit einem südlichen Ableger in Lüneburg und einem nördlichen in Malmö (Schweden) gibt. Aus der Verschmelzung von Motiven verschiedener Kulturlandschaften Europas entwickelte sich im Ostseeraum eine einmalige Bauschule. Für das zusammenwachsende Europa ist dies ein wichtiger Hinweis. Die Besinnung auf die gemeinsamen Wurzeln unserer Kultur ist entscheidend für die Zukunft, aber auch für die Erhaltung nationaler Eigenarten in den vielfältigen Kulturlandschaften Europas.

Prof. Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow

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