Technische Denkmale Februar 2006

Interview mit Axel Föhl

Von alten und neuen Industriebauten

MO: Zeugen der Industrie und Technik gehören sicher nicht zu den ältesten Arbeitsfeldern der Denkmalpfleger. Wann hat die Denkmalpflege Industriedenkmale für sich "entdeckt" und was waren Meilensteile in der Entwicklung bis heute?

Axel Föhl:  Doch erheblich früher, als man gemeinhin denkt. Bereits 1910 beschäftigte sich die rheinische Denkmalpflege mit sowohl historischen als auch modernen Industriebauten. In Heft 4 ihrer "Mitteilungen des rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz" findet sich als Titelbild die damals brandneue Friedrich-Alfred-Hütte von Krupp in Duisburg. Nahe den Bestrebungen des Deutschen Werkbundes ging es um die Verbesserung der Qualität zeitgenössischen Industriebaus. Der nächste Schwerpunkt lag am Ende der 1920er Jahre. Im Zuge moderner Entwicklungen drohten die letzten Zeugen der vorindustriellen Technikwelt unterzugehen: Wind- und Wassermühlen, Schmieden, Kanaltrassen, usw. Westfalen, das Rheinland, Sachsen und Oberschlesien waren hier Schwerpunkte. Der Verein der Deutschen Ingenieure VDI versuchte zusammen mit den Denkmalpflegern Inventare technischer Denkmale zusammenzustellen, wiederum mit Schwerpunkt auf der frühindustriellen Welt. Eine Industriedenkmalpflege im modernen Sinne, die nun auch Zeugen der Hochindustrialisierung wie Zechen, Eisenwerke, Bahnhöfe oder Textilfabriken berücksichtigt, gibt es in Deutschland dann allerdings erst ab 1970. Als Alarmzeichen fungierte der drohende Abbruch der "Jugendstil"-Maschinenhalle der Dortmunder Zeche Zollern 2/4. Lernen konnte die damals noch unerfahrene Nation von Großbritannien, dem Mutterland der Industriellen Revolution, das gleichermaßen auch Geburtsort der "Industriearchäologie" war.


MO: Burgen, Schlösser, Kirchen verbindet man in der Öffentlichkeit immer noch primär mit dem Denkmalschutz, bei Zeugen der Technikgeschichte stößt man hingegen oft auf fragende Gesichter. Wie definiert man den Denkmalwert eines Industriedenkmals?


Axel Föhl: In dem Moment, wo man sich die Definition des Denkmals als geschichtliches Zeugnis, als Dokument vergangener Zeiten zu eigen macht, wird eigentlich die Beschränkung auf das "schöne", das Kunstdenkmal ganz unverständlich. Eigentlich haben das die großen Theoretiker der Denkmalpflege um 1900 auch schon klar gesehen. Es brauchte nur seine Zeit, bis sich diese Erkenntnisse verbreiteten - auch unter den Denkmalpflegern selbst. Heute sind Bauten der Industrie und Technik - auch wegen weithin bekannter Beispiele wie dem Bonner Wasserwerk, das als Parlament diente, oder dem Oberhausener Gasometer, der als Ausstellungsort fungiert - allgemein als "denkmalfähig" anerkannt. Die große Zahl ganz selbstverständlich gewordener neuer Nutzungen hat dazu beigetragen. Das gilt für die Wiener Großgasbehälter, in denen heute Menschen wohnen, genauso wie für die Tatsache, dass die venezianische Architekturfakultät in einer ehemaligen Baumwollspinnerei residiert. Es gibt heute Weltkulturerbestätten wie die Hütte Völklingen oder die Essener Zeche Zollverein, die auch die internationale Bedeutung von Industrieanlagen verdeutlichen.
Kriterium für die Bedeutung eines Industriedenkmals ist z.B. seine Wichtigkeit für technische Innovation oder eine pionierhafte Problemlösung. So schuf ein Aachener Professor, Otto Intze, 1883 das patentierte Muster eines Wasserturmes, das in der Folge in ganz Europa in Hunderten von Exemplaren gebaut wurde. Typisierung und Standardisierungen sind Kernbestandteile der Industrialisierung, was natürlich einen gewissen Gegensatz zum "künstlerischen Unikat" schafft. Die besonders günstige, da flexiblere Neunutzungsmöglichkeit von Industriedenkmalen hat ihnen aber wachsende Akzeptanz verschafft.


MO: Erfordern Denkmale der Industrie- und Technikgeschichte eine eigene Methodik?


Axel Föhl: Es bedarf schon spezifischen Vorwissens, um die Bedeutung von Bauten der Industrie und Technik mit Blick auf ihren Denkmalwert definieren zu können. Hier war die Situation anfangs der 1970er Jahre in Deutschland noch schwierig. Es war zu lernen, dass oft die Baugestalt eng mit den technischen Zwecken, die man natürlich kennen musste, zusammenhing. Unser Fachwissen ist hier aber enorm gewachsen, vor allem darüber, wen man im Zweifelsfall befragen kann, da niemand in einem Denkmalamt die ganze Bandbreite der technischen Entwicklung der letzten 200 Jahre überblicken kann. Als sehr hilfreich hat sich hier die 1983 gegründete Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege erwiesen, die von der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger als bundesweite Informationsdrehscheibe genutzt werden kann. Leider verfügt auch heute noch nicht jedes Landesdenkmalamt der Republik über einen ausgewiesenen Fachmann auf diesem Gebiet, wenn die Lage auch besser geworden ist.


Die Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege sondiert planmäßig das ganze Gebiet historischer Technik auf halbjährlichen Sitzungen und vermittelt Fachwissen von innerhalb und außerhalb der Denkmalpflege. Die 1994 und nochmals 1996 vom Deutschen Nationalkomitee ermöglichte Publikation der Arbeitsgruppe "Bauten der Industrie und Technik" hat mit einer Auflage von über 50.000 Exemplaren vor allem bei den Unteren Denkmalbehörden im Land viel Informationsarbeit leisten können.


MO: Welchen Stellenwert hat die Industriedenkmalpflege in anderen europäischen Ländern?


Axel Föhl: Wie schon gesagt, hatte Großbritannien eine Pionierrolle inne. Auch Schweden, die Niederlande, Belgien und die damalige DDR lieferten kräftige Impulse. Das 1973 gegründete "International Commitee for the Conservation of the Industrial Heritage - TICCIH" , die seither alle drei Jahre weltweit tagt, hat die Botschaft weitergetragen. In Ländern mit empirisch-rationalistischer Ausrichtung wie den angelsächsischen, waren technische Leistungen schon früher als in Deutschland Teil des nationalen kulturellen Profils. Hier lag die Akzeptanz von Anfang an höher. Die Zahl erhaltener und genutzter Denkmale der Industrie und Technik sowie die Fülle von auch populären Publikationen zu diesem Gebiet ist aber in ganz Europa seit 1970 enorm gestiegen. Angebote wie die "Route der Industriekultur durch das Ruhrgebiet" oder zahlreiche über mehrere Standorte verfügende Industriemuseen gibt es in Nordrhein-Westfalen genauso wie im spanischen Katalonien, in ähnlicher Weise auch in den Niederlanden, Belgien, Frankreich oder Italien. Die neu hinzutretenden Länder Mitteleuropas holen rapide auf, so Polen oder die Tschechische Republik, wo es in Oberschlesien und Mähren ja jeweils noch einmal so etwas wie unser "Ruhrgebiet" gibt.


Deutschland mit Schwerpunkt NRW kann sich in diesem Rahmen mehr als blicken lassen. Vor allem die 1970er und 1980er Jahre waren hier sehr erfolgreich. In den heutigen Zeiten knapper Kassen gilt es, diese Errungenschaften entschieden zu verteidigen. Sie können auch in gewissem Maße dazu beitragen, einen qualifizierten Tourismus zu entwickeln.


MO: Die staatliche Denkmalpflege ist heute von drastischen finanziellen Kürzungen betroffen. Sind auch Industriedenkmale dadurch wieder stärker gefährdet?


Axel Föhl: Ja, ganz gewiss. Da sich die Industrie selbst, um deren Geschichte es ja geht, wie übrigens auch die Gewerkschaften, denen die historische Arbeitswelt eigentlich ein Anliegen hätte sein müssen (in Schweden war sie dies auch), stets vornehm zurückgehalten hat, lag die Finanzierung der Erhaltung vor allem großer Industriedenkmale bei der öffentlichen Hand, wie die 10-Jahres-Unternehmung "Internationale Bauausstellung Emscher Park" des Landes NRW von 1989 bis 1999 deutlich gezeigt hat. Da diese Quellen im Moment ziemlich trocken liegen, muss die Denkmalpflege zunehmend Dialoge mit Investoren eröffnen, da hier das finanzielle Potential zur Erhaltung von neu nutzbaren Industriedenkmalen zu finden ist. Glücklicherweise mehren sich gerade von letzterer Seite seit längerem Stimmen, die die Rentabilität von Investitionen in historische Bauwerke günstig einschätzen. Die Denkmalpflege kann hier immer wieder mit dem Hinweis auf gelungene und funktionierende Beispiele einwirken. Dies hat zum Beispiel die für die Leipziger Messe "denkmal" entwickelte Ausstellung der Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege "Neuer Nutzen in alten Industriebauten" geleistet, die seit 2002 ohne Unterbrechung auf Reisen ist. Von Berliner Umspannwerken bis zu südenglischen Hopfendarren wird die Zahl erhaltener und neu genutzter Beispiele von Industriedenkmalen immer größer.
Natürlich gibt es auch heute zu oft unabwendbare Verluste. Aber mittlerweile steht einem Verlust meist auch ein Erhaltungserfolg gegenüber. Wurde die Leipzig-Zwenkauer Großförderbrücke beispielsweise abgebrochen, hat die "IBA-Fürst-Pückler-Land" beim brandenburgischen Finsterwalde ein mehr als 500 Meter langes Exemplar dieser Gattung erhalten und erschlossen. So hält sie die Erinnerung an den ostdeutschen Braunkohlentagebau mit seinen enormen technischen Leistungen für Bewohner und Besucher wach. Fielen auch zahlreiche typische Fördergerüste des Ruhrbergbaus, so hat die nordrheinwestfälische "Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur" wertvolle Zeugen dieser Epoche unter ihrer Obhut.


Wenn es gelingt, nicht hinter das erreichte Niveau zurückzufallen - und das wird nicht einfach werden - kann Deutschland im europäischen Rahmen auf eine über 30-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken, was die Komplettierung des nationalen Geschichtsbildes durch Denkmalschutz betrifft: Nicht Kirche oder Schloss gegen Wasserturm und Textilfabrik ist die Parole, sondern beide vereint als Gesamtpanorama der Vergangenheit ist das Resultat aus 30 Jahren Industriedenkmalpflege in Deutschland.

Zur Person

Axel Föhl, geb. 1947, ist seit 1974 im Rheinischen Amt für Denkmalpflege zuständig für Industriedenkmale. Er ist Sprecher der bundesweiten Arbeitsgruppe Industriedenkmalpflege der VDL. Er ist Mitherausgeber von "Industrial Archaeology Review" und hat seit 1992 einen Lehrauftrag für Industrie-Denkmalpflege und Baugeschichte an der TU Braunschweig. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Industriearchitektur und Technikgeschichte.

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