Februar 2006

Stelzenhaus in Leipzig

Schwebende Halle der Moderne

Industriedenkmale haben bekanntlich ihren ganz eigenen Charme. In stillgelegten Hochöfen, Gasometern, Stollen oder Werkhallen spiegeln sich Jahrhunderte der Wirtschafts- und Sozialgeschichte wider. Die gerne als "Kathedralen der Arbeit" betitelten, manchmal riesigen Anlagen faszinieren uns umso mehr, wenn sie auch von architektonischer Qualität sind und ihre eigene Ästhetik entfalten. Dies gilt zum Beispiel für das "Stelzenhaus" in Leipzig-Plagwitz. Es wurde 1939 als Fabrik zur Zinkherstellung und Wellblechwerk erbaut und gilt als hervorragendes Beispiel für Industriearchitektur in der Nachfolge der klassischen Moderne.

Die restaurierten Gebäude wurden 2003 ihrer neuen Nutzung zugeführt.  
Leipzig, Stelzenhaus © Frank-Heinrich Müller, 2006@photographiedepot.de
Die restaurierten Gebäude wurden 2003 ihrer neuen Nutzung zugeführt.

Die Stahlbetonkonstruktion mit Sichtmauerwerk und Stahlfenstern besteht aus zwei Hallen, einem Verbindungsbau, einer Plattform und einem Bürogebäude. Aus Platzmangel erbaute Architekt Hermann Böttcher die Stahlbetonkonstruktion auf hohen Stelzen, die dem Komplex seinen Namen gaben: Die massive Lagerhalle schwebt gewissermaßen über dem Wasser des Karl-Heine-Kanals - eine Seltenheit.

Die Gegend hatte sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem ausgeprägten Industriestandort entwickelt. Das auf ein mittelalterliches Dorf zurückgehende Plagwitz war zuvor ein beliebtes Leipziger Ausflugsziel, wo viele Bürger ihre Landhäuser erbauten, Gärten anlegten und auf den Wasserstraßen Gondelfahrten unternahmen. Das sumpfige Gebiet wurde schließlich auf Initiative des Rechtsanwaltes Karl Heine (1819-1888) planmäßig erschlossen. Heine ließ den nach ihm benannten Kanal anlegen, 1871 kam die Eisenbahn, an der in Plagwitz der erste Industriebahnhof Europas eröffnet wurde.

Im Inneren wurde die originale Stahlkonstruktion erhalten. 
Leipzig, Stelzenhaus © Frank-Heinrich Müller, 2006@photographiedepot.de
Im Inneren wurde die originale Stahlkonstruktion erhalten.

Das "Stelzenhaus" wurde ursprünglich für die Firma Grohmann und Frosch erbaut, nach 1945 vom VEB Bodenbearbeitungsgeräte genutzt und stand schließlich leer. Erst in jüngerer Zeit kehrte wieder Leben ein: An der umfassenden Restaurierung und Umnutzung zum Kreativzentrum für Design, Technik, Kultur und Wohnen hat sich auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligt. Große Teile werden heute gewerblich genutzt, in der ehemaligen Halle 1 sind vier Wohneinheiten entstanden. Die behutsame und denkmalgerechte Instandsetzung des Architekturbüros Weiß und Volkmann ermöglichte es, den originalen Eindruck des Bauwerks in großen Teilen zu erhalten. So wurden die Klinkerfassaden und sämtliche Betonteile gereinigt und ausgebessert, die historische Dachkonstruktion erhalten, beim Einbau der Fenster behielt man die originale Aufteilung bei. Die Gestaltung des Inneren bezieht die alte Stahlkonstruktion sichtbar ein. Unterhalb der Erdgeschosse hebt ein durchlaufender gläserner Kasten - zwischen die Stelzen gehängt - den schwebenden Eindruck des Gebäudes hervor.

Das Stelzenhaus konnte 2003 nach gut zwei Jahren Bauzeit als ein qualitätvolles Beispiel der Leipziger Industriearchitektur wieder eröffnet werden. Seine prägnante und funktionale Architektur ist zu einem unverwechselbaren und wichtigen Bestandteil der industriell geprägten Kulturlandschaft entlang des Karl-Heine-Kanals geworden.

Hanna Hilger

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