Dezember 2005
MO: Wurmzerfressene Heilige, vermodernde Madonnenfiguren, zerbröselnde Kruzifixe - wer noch vor zehn Jahren Depots mit kirchlichem Kunstgut in den östlichen Bundesländern besuchte, dem bot sich ein alptraumhafter Anblick. Auch MONUMENTE berichtete 1995 über die alarmierende Lage. Wie ist die Situation heute?
Dr. Seyderhelm: In den vergangenen Jahren wurden bei uns vornehmlich Notsicherungen an kirchlicher Ausstattung durchgeführt. Direkt nach dem Fall der Mauer hatte selbstverständlich die Sicherung der Bauten, der Dächer und Türme Vorrang. Finanzielle Mittel flossen zuerst in die Erhaltung der Bausubstanz. Hier ist - mit breiter Unterstützung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz - Großartiges geleistet worden. Wesentlichen Einfluss auf die Atmosphäre einer Kirche hat aber ihre liturgische Ausstattung. Sowohl Gottesdienstbesucher als auch Touristen erwarten beim Besuch einer Kirche, dass die Bilder ablesbar und die liturgischen Geräte benutzbar sind. Die Kirchengemeinden tragen vielfach noch immer schwer an den Kosten der Bauwerkssicherung. Dennoch ist zu beobachten, dass sie zunehmend die Sicherung und Konservierung ihrer Kirchenausstattungen in Angriff nehmen wollen. Die Kirchenprovinz Sachsen bemüht sich, die Gemeinden darin zu unterstützen. Beraten und begleitet von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz haben wir eine kleine Kirchliche Stiftung Kunst- und Kulturgut (KSKK) gegründet und bemühen uns, mit einer engagierten Öffentlichkeitsarbeit auf die Schönheit, aber auch auf die Probleme der Kunst in Mitteldeutschland hinzuweisen. Zur Zeit werben wir mit unserer Aktion "Paten für Engel" erfolgreich Spenden für die Rettung der rund 200 Taufengel der Landeskirche ein. 20 bis 25 dieser Engel werden im kommenden Jahr im Magdeburger Dom in einer Ausstellung "Tausend Jahre Taufen in Mitteldeutschland" präsentiert (siehe unten). Dort werden auch hölzerne, bronzene und steinerne Taufen aus allen Jahrhunderten, Taufschalen und Kannen, Briefe, Kleidchen und Patengeschenke und vieles mehr, das zur Taufe gehört, zu sehen sein.
MO: 1995 schätzte man, dass nur zehn Prozent der kirchlichen Ausstattungsstücke in improvisierten Depots, zum Beispiel in Kohlekellern, staubigen Dachböden oder ehemaligen Kriegsbunkern lagerten. Sind viele Stücke gerettet worden?
Dr. Seyderhelm: Das in den vergangenen zehn Jahren Erreichte ist gemessen an den finanziellen Möglichkeiten schon beachtlich. Angesichts der Bedeutung des Kulturerbes, das in den Kirchen auf Rettung wartet, ist aber noch sehr viel zu tun. In den über 2.300 Kirchen unserer Landeskirche sind gotische Altäre, Heiligenfiguren, mittelalterliche Kelche, barocke Malereien und Skulpturen und vieles mehr zu sichern. Das Interesse dafür in der Bevölkerung wächst. Die Zeitungen berichten zum Beispiel über unsere Taufengelaktion und wir sind von den Reaktionen, die wir darauf erhalten, überwältigt.
MO: Heute kämpft nicht nur die Denkmalpflege mit drastischen Mittelkürzungen, sondern auch die Kirchen mit sinkenden Einnahmen. Ist dadurch die wertvolle Ausstattung von Kirchen aufs Neue bedroht?
Dr. Seyderhelm: Wir tun, was wir können! Natürlich müssen wir mit Mittelkürzungen auf allen Ebenen leben. Und die Aufgaben der Kirchen sind vielfältig. Selbstverständlich sind zuerst die Bedürfnisse der Menschen im Blick. Aber die Menschen brauchen für ihre Seele auch Räume, in denen sie zu sich selbst und zu Gott finden können. Es ist nicht unwichtig, wenn eine Kirche, die ja doch der Ort ist, an dem schon Generationen vor uns Freud und Leid Gott angetragen haben, in Würde davon erzählen kann und sie sich nicht in einem Zustand des Verfalls präsentieren muss.
MO: Gibt es trotz der schwierigen Lage positive Beispiele für Aktionen zugunsten von kirchlichem Kulturgut?
Dr. Seyderhelm: Da sind eine Reihe von Beispielen zu nennen. So ist unbedingt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zu danken, die sich immer wieder für Kirchen und ihre Ausstattung einsetzt. Sowohl in Stadt- und Domkirchen als auch in Dorfkirchen konnte schon geholfen werden. Ein besonders anrührendes Beispiel ist die Dorfkirche von Aderstedt im Kirchenkreis Halberstadt. Sie lag über Jahrzehnte im Grenz- und Sperrgebiet zwischen DDR und Bundesrepublik. Einige wenige Gemeindeglieder haben sich über viele Jahre bis 1989 gegen den erklärten Widerstand der politisch Verantwortlichen immer wieder tapfer für die Kirche eingesetzt. Nach dem Fall der Mauer konnte mit maßgeblicher Hilfe einer Stifterfamilie, der "Geschwister Laar Stiftung" in der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, nicht nur der Kirchenbau gerettet werden, wir konnten zwischenzeitlich auch den Altar und weitere Stücke der Barockausstattung sichern und konservieren.Auch an die Hilfe, die wir aus vielen Teilen Deutschlands nach den Zerstörungen der großen Flut im Jahr 2002 erhalten haben, erinnern wir uns dankbar.
Unsere Ausstellung "Goldschmiedekunst des Mittelalters" hat 2001 im Magdeburger Dom innerhalb von sechs Wochen mehr als 15.000 Besucher angezogen. Im vergangenen Jahr durften wir sie sogar in Tokio im National Museum of Western Art zeigen - und hatten dort noch einmal nahezu 40.000 Besucher. Das macht Mut und zeigt uns, dass sich die Öffentlichkeit für das Thema Kunst- und Kulturgut in Kirchen durchaus interessiert.
Kopfgrafiken: Taufengel der Kirche in Bebertal (Sachsen-Anhalt) und spätgotischer Altar aus dem Kirchenkreis Merseburg (Fotos: Ev. Landeskirche, Magdeburg)
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
In den alten Zeiten der Frachtsegler musste die gesamte Habe des Seemanns in eine hölzerne Kiste passen. Manchmal liebevoll bemalt, war sie das einzige persönliche Stück, das ihn auf seinen Reisen über die Weltmeere begleitete.
Otto Bartning gehört zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wegweisend sind seine Raumschöpfungen im Bereich des protestantischen Kirchenbaus.
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