Kurioses Dezember 2005

Wie Uhren die Predigtlänge begrenzten

Leise rieselt der Sand

Nicht nur "umb der Kinder willen" hatte sich Martin Luther häufig über zu lange Predigten beklagt. Aus seinen "Tischreden" ist überliefert: "lange predigen ist keine kunst, aber recht und wohl predigen (...)". Offenbar neigten die protestantischen Pfarrer dazu, die neue Lehre besonders weitschweifend und selbstgefällig darzustellen, ohne dabei Rücksicht auf die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu nehmen.

Die Sanduhr an der Kanzel in der Torgauer Stadtkirche St. Marien 
© R. Rossner
Die Sanduhr an der Kanzel in der Torgauer Stadtkirche St. Marien

Deshalb sind gerade aus nachreformatorischer Zeit zahlreiche Kirchenordnungen bekannt, in denen nicht nur die Häufigkeit von Gottesdiensten geregelt wird, sondern auch strenge Angaben über die Länge der Predigten gemacht werden. Manchmal ging es aber wohl nur darum, die Gläubigen nicht zu lange von ihrer täglichen Arbeit fernzuhalten. Katholische Kirchenordnungen übernahmen derartige Regelungen mit nur geringer Verzögerung.


Als probates Mittel zur Begrenzung der Predigtzeiten wurden meist Sanduhren vorgeschrieben oder empfohlen. Noch heute finden wir einige davon in den Kirchen, oft noch unmittelbar an der Kanzel, wie in der Stadtkirche St. Marien im sächsischen Torgau. Mit ihren vier Gläsern ist die Torgauer Sanduhr nicht nur ein besonders schönes Exemplar, mit ihr ließ sich auch der zeitliche Fortgang der Predigt sehr leicht beobachten. Es ist zu vermuten, dass der Sand im ersten Glas nach genau 15 Minuten durchgelaufen war, der im zweiten eine halbe Stunde und der im dritten 45 Minuten brauchte, während das letzte untere Glas erst nach einer vollen Stunde ganz gefüllt war.

Man könnte meinen, dass die Sanduhr ein sehr altes Instrument zur Zeitmessung ist. Doch erst in Quellen aus dem frühen 14. Jahrhundert findet man entsprechende Hinweise, vor allem im nautischen Bereich. Die älteste bekannte Darstellung einer Sanduhr befindet sich auf einem Fresko in Siena aus dem Jahre 1338. Zuvor hatte man Zeitspannen mit Wasseruhren oder brennenden Kerzen gemessen, jetzt hielten die zarten Glasgefäße mit dem feinen Sand schnell Einzug. Das geschah also etwa zur selben Zeit wie die Einführung der mechanischen Räderuhren, beide ergänzten sich zunächst und waren doch Konkurrenten.

Nürnberg war im 16. und 17. Jahrhundert nicht nur ein Zentrum der Uhrmacher, sondern auch der Sanduhrmacher. Getüftelt wurde vor allem an der richtigen Zusammensetzung des Sandes, aber auch an verschiedenen Formen dieses preiswerten Zeitmessgerätes, um auf die unterschiedlichen Wünsche der Kunden eingehen zu können.

Sanduhren wurden an vielen Orten zur Begrenzung der Redezeit eingesetzt, nicht nur wie hier auf der Torgauer Kanzel. 
© R. Rossner
Sanduhren wurden an vielen Orten zur Begrenzung der Redezeit eingesetzt, nicht nur wie hier auf der Torgauer Kanzel.

Denn nicht nur die Redezeit von Pfarrern sollte mit Hilfe von Sanduhren begrenzt werden, auch in Klöstern, Gerichten, Amtsstuben und Schulen war es notwendig, Zeitspannen möglichst genau messen zu können. Bis weit ins 19. Jahrhundert wurden die Wachzeiten auf Schiffen in "Gläsern" bestimmt, teilweise wurden Sanduhren mit kurzer Laufzeit sogar zur Messung der Schiffsgeschwindigkeit eingesetzt. Und sie waren auch auf Kirchtürmen zu finden: Die Türmer prüften mit ihnen, ob denn die Turmuhren auch genau gingen.

Den Wettlauf mit der Sanduhr haben mechanische und elektronische Uhren längst gewonnen. Heute führen Sanduhren nur noch ein Nischendasein, zum Beispiel als Saunauhr, da der Lauf des Sandes von der ungewöhnlichen Hitze nicht beeinträchtigt wird. Und als spielerische Beigabe zu Zahnbürsten dienen kleine Sanduhren dazu, die Kinder anzuregen, ihre Zähne möglichst ausgiebig zu putzen.

Aber zurück nach Torgau. Die stattliche gotische Hallenkirche St. Marien hatte zur Zeit der Reformation eine besondere Bedeutung: War Torgau doch als Residenz der sächsischen Kurfürsten ein politisches Zentrum im Kernland des Protestantismus. Martin Luther predigte hier häufig. Seine Ehefrau Katharina von Bora starb 1552 in Torgau, ihr Grabstein in St. Marien ist heute ein besonderer Anziehungspunkt. 1582, in nachreformatorischer Zeit, errichtete Georg Wittenberger die reichgeschnitzte Kanzel. 1692/93 wurde sie barock umgestaltet. Dabei entstand vermutlich auch die prachtvoll verzierte Sanduhr an ihrer Brüstung. So wie sie schon seit längerem an der Kanzel befestigt ist, kann sie leider nicht mehr betätigt werden. Die heutigen Pfarrer bedürfen wohl auch nicht mehr dieses Hilfsmittels, um das rechte Maß für ihre Predigt zu finden.

Doch verfehlte die Sanduhr früher zuweilen ihre Wirkung. Eine Anekdote erzählt, dass ein wider die Trunksucht wetternder Redner in seinem Überschwang einst das Zeitglas mit dem Spruch umdrehte: "Ei, so lasset uns denn noch ein Gläschen genehmigen!"

Dr. Dorothee Reimann

Kopfgrafik rechts: Die Stadtkirche St. Marien in Torgau (Foto: R. Rossner)

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