Sehen und Erkennen Material Handwerk Dezember 2005 S
Schon seine aus dem Italienischen stammenden Namen zergehen leicht wie Baiser auf der Zunge: stucco, stucco lustro, scagliola. Die deutschen Begriffe Stuck und Stuckmarmor klingen noch immer ganz appetitlich, sind aber weit weniger luftig. Ernüchtert durch die Architektur-Theoretiker der Moderne, die das Ornament als Verbrechen verteufelten, überkommt wohl die meisten, wenn sie heute von Stuck hören, der Geschmack von Zuckerguss.
Eine Assoziation, die zwar einseitig, aber gar nicht so falsch ist. Denn Stukkaturen sind Schmuck wie Marzipanrosen und Nougatgirlanden, die allein der Verzierung und der Verführung dienen. Bayerische Kapellen und Darmstädter Bürgerhäuser könnten sich wie die rosa Hochzeitstorte ebenso gut ohne Dekoration aufrechthalten.
Doch Stuck ist mehr. Er ist ein kulturhistorisches Phänomen, kein Auswuchs süddeutscher Rokokohandwerker oder überspannter Jugendstilkünstler. Das erkennen wir aber erst, wenn wir uns näher mit dem Werkstoff selbst befassen, der, je nach Zusammensetzung, ganz unpoetisch und steinschwer auch Gipsmörtel und Gips-Kalk-Mörtel heißt.
Die Rohmaterialien Gips, Sand und Wasser (von den Zutaten abgesehen) waren seit jeher preiswert, und so wurde Stuck häufig als Maluntergrund, zum Modellieren einzelner Motive, für Reliefs und sogar für frei stehende Figuren genutzt. Er wurde dabei sowohl in der Alten Welt als auch in Asien in Material und Technik im Laufe der Zeiten fast unverändert verwendet.
Stuck begegnen wir allerorten - auch dort, wo wir ihn nicht vermuten: Auf den ältesten Stuck trifft man in Ägypten, wo beispielsweise in der XVIII. Dynastie (1567-320 v. Chr.) Bildhauer das Porträt des Herrschers Amenhotep II. und seines Sohnes aus Stuck herstellten. Seinen Ausdruck von Unsterblichkeit erhielt der Porträtkopf der Nofretete, weil der weiche Kalkstein mit fein bemaltem Stuck bedeckt wurde. Auch Mumienmasken modellierte man damals mit einer Stuck-Oberfläche. Im Klassischen Griechenland und in Rom überzogen Künstler ihre Kalksteinskulpturen mit einer Schicht aus Stuck, um ihre Körper fürs Bemalen zu glätten und ihre Haut weniger porös erscheinen zu lassen. Selbst die römischen Streitwagen im Gewölbe des Kolosseums bestehen aus Stuck. Mit dem Zerfall des Römischen Kaiserreichs bröckelt auch die Geschichte des Stoffes, der stucco oder stucco lustro genannt wurde. Über tausend Jahre lang lagen die Überreste klassischen ornamentalen Stuckmarmors begraben und vergessen unter den Ruinen der Bauten.
Mit dem Mittelalter schlagen wir ein nahezu unbekanntes Kapitel in der Geschichte des Stucks auf. Der meist mit Kalk vermischte Gipsmörtel jener Zeit ist kein römisches Erbe, sondern eher eine Anleihe aus dem Orient. Auch mit der schwebenden und unbekümmerten Leichtigkeit späterer Rokoko-Verzierungen hat der Stuck jener Zeit wenig gemein. Er war ein genauso "ernster" Baustoff wie Marmor, Holz und Terrakotta. Die früheste Quelle über mittelalterliche Stucktechnik stammt von Hrabanus Maurus, einem Zeitgenossen Karls des Großen, der in seinem Werk "de universo" schreibt: "Unter Plastik versteht man die Gestaltung ornamentaler und figürlicher Wanddekorationen aus Gips und farbiger Bemalung."
Wir müssen unseren Begriff von Stuck erheblich erweitern, wenn wir uns den eher spröden Hauptwerken mittelalterlicher Stuckkunst zuwenden. So erwartet uns in der Kirche St. Cyriacus in Gernrode statt schwelgerischer Schwerelosigkeit eine lichtgedämpfte, kuppelgewölbte Grabanlage mit den zerbröckelnden, schwach farbigen Stuckplastiken eines Bischofs, dreier Frauen am Grabe und einer Noli-me-tangere-Gruppe am Heiligen Grab. Ihr Reiz ist die Morbidität, nicht die ungestüme Lebensfreude. Die Skulpturen wurden, ehe sie an die Grabkammer anstuckiert wurden, vorgegossen, und Details wie Füße oder Teile der Kleidung nachträglich aufmodelliert und mit Schneidewerkzeugen bearbeitet. Der äußere Teil der Grabanlage besteht hingegen aus zusammengefügten gegossenen Relief-Stuckplatten.
Berückend ernsthaft, weltabgewandt, ja beinahe mystisch wirken in Halberstadt die in Holzarkaturen eingeschriebenen, wohl 1200 bis 1210 entstandenen Stuckfiguren des Christus und der thronenden Muttergottes zwischen den Aposteln. Man könnte solche Arbeiten für Sgrafitto-Figuren (Sgrafitto: ein in verschiedenen Schichten aufgetragener Kratzputz) halten, wenn sie nicht durch chemische Untersuchungen als Stuck identifiziert worden wären.
Erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts entdeckten Gelehrte die Stuckrezepte der Antike wieder, die die Grundlage für die spätere Blütezeit des Stucks bildeten. Der Chronist Georgio Vasari beschrieb in seinem Buch "Lives" (1550), wie Giovanni da Udine, ein Schüler Raphaels, in den Ruinen des Titus-Palastes gegraben und Räume mit Figuren und Szenen in Flachrelief-Stuck gefunden hatte. Nach langen Studien gelang es ihm, die alte Stuckformel festzustellen. Der wichtigste Zusatz, auf den er stieß, bestand in "Splittern des weißesten Marmors, der zu finden ist, zerstoßen und zu feinem Mehl verkleinert, dann gesiebt. Diese Substanz fügte er dem kristallinischen Kalkstein (Travertin) sowie Flußsand und Wasser bei."
"Es ist ihm zweifellos gelungen", schreibt Vasari weiter, "den echten Stuck der Alten nachzumachen." Mit fast unveränderter Zusammensetzung blieb dieses Verfahren als Grundformel für allen späteren Stuck in Europa erhalten. Er erlangte den Charme des Geheimnisumwitterten, der Mischung, deren Ingredienzien Eingeweihte nur Eingeweihten verraten. Auch hier ist sie, die Parallele zu den Zuckerbäckereien, zu den wohl gehüteten Originalrezepten von Lübecker Marzipan und Christstollen.
"Jeder Stuckarbeiter mischt die Zutaten so, wie er es nach seiner Erfahrung für richtig hält. Er setzt Sand, Gips und Kalk, alles gut mit Wasser vermischt, in einen Brei um. [...] Nachdem Gips schnell abbindet - was den Künstler am sorgfältigen Ausarbeiten seines Werkes hindern könnte - muss er Leimwasser beifügen, denn Leimwasser verzögert das Abbinden des Gipses", erläutert P. N. Sprengel, einer der Stuck-Theoretiker des 18. Jahrhunderts, 1772.
Neben dem von Sprengel erwähnten Leimwasser verzögerten auch andere Substanzen wie Milch, gegorener Traubensaft, Bier, Zucker und Pulver aus Eibischwurzeln das schnelle Trocknen. Weinspuren fand man vor allem in den Stukkaturen der Kirchen von Rheinau, Einsiedeln und Luzern. In Einsiedeln verarbeiteten Handwerker während der dreijährigen Bauzeit (1724-1726) immerhin 57 Eimer Wein.
Seine Blütezeit erlebte der Stuck im Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts - besonders während des Rokoko - als sich die Freude am Schmücken mit der Lust von Leichtigkeit verband, die die Anziehungskraft der Erde und die Schwere des Steines leugnete.
Gewundene Marienfiguren, feine Schnörkel und Ranken, hängende Akanthuszweige und asymmetrische Wellen sind verbunden mit den Namen süddeutscher Stukkateursfamilien, die, wie die Baumeister im späten Mittelalter, aus dem Schatten ihres Handwerks traten. Am Ende der Entwicklung des Stucks und auf ihrem Gipfel stehen Künstlerpersönlichkeiten wie die Brüder Egid Quirin und Cosmas Damian Asam, Johann Baptist und Dominikus Zimmermann sowie Johann Michael Feichtmayr, die dem steinschweren Material Flügel verliehen.
Als die Begeisterung für das Überbordende verebbte und mit dem Klassizismus in Deutschland der Verstand über die Gefühle siegte, ging es mit der Dekorationslust abermals bergab. Die Äußerung des Baumeisters Leo von Klenze zu Beginn des 19. Jahrhunderts - "jedes Ornament, alles Farbenfrohe und Glitzernde schadet dem idealen Kunstwerk" - war nur eine jener im 19. und 20. Jahrhundert immer lauter werdenden kritischen Stimmen, die Verzierung im allgemeinen und Stuck im besonderen verdammten. Aber so heftig Kritiker auch gegen türkisfarbenen Jugendstildekor oder schneeweißen Bürgerhausstuck wetterten, behaupten sich die Ranken, Girlanden und Schnörkel bis heute an Hausfassaden und in Wohnräumen. Und so mancher Städter greift gerne tiefer in die Tasche, um unter der Stuckdecke im Bürgerhaus seinen Feierabend etwas festlicher zu verbringen.
Dr. Christiane Schillig
Für die Erhaltung der sachsen-anhaltischen Stiftskirche in Gernrode wurde in der Obhut der Deutschen Stiftung Denkmalschutz die Bodenstein-Stiftung als treuhänderische Stiftung errichtet, ebenso die W.-A.-H.-Meyer Stiftung für die Erhaltung der Halberstädter Liebfrauenkirche.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
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