Landschaften, Parks und Friedhöfe Barock Herrscher, Künstler, Architekten Gärten Juni 2005 F
Kein Vergnügen ohne einen Hauch von Erziehung. Über all den wunderbaren Schloss- und Parkanlagen, die die preußische Prinzessin Wilhelmine - Markgräfin von Bayreuth von 1731 bis 1758 und Schwester Friedrichs des Großen - uns hinterlassen hat, scheint ihr mahnender Zeigefinger zu schweben. Er erwischt uns auch in Sanspareil, diesem idyllischen Dorf, etwa vierzig Kilometer westlich von Bayreuth gelegen.
Auf dem Weg von der Stadt bis dorthin breitet sich ein Oberfranken wie aus dem Bilderbuch aus: eine satte Hügellandschaft, in der hier und da ein friedlicher Weiler grüßt. Sanspareil selbst ist klein, ordentlich. Ein blumengeschmücktes Wegekreuz steht am Brunnen in der Dorfmitte. Überragt wird der Ort von der Burg Zwernitz, einer im Kern romanischen Anlage. Burg Zwernitz war alter hohenzollernscher Besitz und wurde im Zuge der Parkausgestaltung (1744 -1746) instandgesetzt. Vom Burgturm - der Aufstieg ist unbedingt zu empfehlen - kann man einen wunderbaren Blick über die Landschaft - Fichtelgebirge und Fränkisches Jura - genießen.
Zu Füßen der Burg, am Dorfrand, befindet sich ein kunsthistorisches Kleinod - der Felsengarten. Stünde da nicht der sog. Morgenländische Bau, wäre es leicht zu übersehen. Denn er zeichnet sich weniger durch raffinierte und aufwändige Architektur aus, als durch die Natur, die mittels behutsamer Eingriffe in ihrer Schönheit optimal präsentiert wird. Der Morgenländische Bau - so bescheiden in seinen Ausmaßen, dass er kaum als Schloß bezeichnet werden kann - spielt nicht die Hauptrolle im Ensemble. Er ist eher das Entree zu einem kleinen Naturschauspiel:
Er besteht aus bizarr geformten Felsen, die eine Eigenart des Fränkischen Juras sind. Die Felsen sind nicht mühsam aus Tuffstein geformt worden wie die Felsengruppen in der Bayreuther Eremitage und in einigen anderen barocken Gärten, sondern vor Jahrmillionen aber nicht weniger überraschend natürlich entstanden - für jeden Geologen eine Freude und für alle anderen Besucher eine interessante Naturszenerie.
Das allein würde aber die historische und kunsthistorische Bedeutung des Felsengartens von Sanspareil nicht erklären. Markgräfin Wilhelmine hätte sich kaum für diesen Ort so begeistern können, nur weil er eine - schon zu ihren Zeiten ziemlich verfallene - Burg und ein paar außergewöhnlich geformte Felsen aufzuweisen hatte.
So fortschrittlich sie auch mit dem Ausbau der Parkanlagen in der nahen Bayreuther Eremitage wirkte, gedanklich war sie tief in ihrer Zeit verwurzelt. Begeisterung für ´Natur pur´ war ihr nicht bekannt. Die Eremitage scheint mit dem Fehlen aller Symmetrie und den Achsen, die sich auf Schloß und Orangerie beziehen, zwar geradezu revolutionär im kontinentalen barocken Gartenbau, aber letztendlich war die "Landschaft" ein kunstvolles Arrangement aus Wasserspielen, Pavillons, Bellevues, Einsiedeleien und dem Parnass.
Auch in Sanspareil wurde die Natur von Wilhelmine "eingerichtet", bis sie ihren intellektuellen und ästhetischen Sehnsüchten entsprach, aber hier wurde der Natur eine außergewöhnlich eigenständige Rolle zugestanden. Natur "an sich" sagte dem barocken Menschen nicht viel. Der Weg von Bayreuth bis nach Sanspareil, der heute als Genuss empfunden wird, war damals ausschließlich eine beschwerliche Tagesreise durch uninteressantes Land. Natur war Stoff, aus dem geformt wurde. So beschrieb Wilhelmine im August 1749, kurz nach Fertigstellung der Anlage, ihrem Bruder in wenigen Sätzen das Kuriose des Felsengartens: "Die Lage des Ortes ... ist einzig. Die dort aufgeführten Bauten sind von sonderbarem Geschmack. Die Natur selbst war die Baumeisterin." Eine Beschreibung, die einige Jahrzehnte später jedem Romantiker das Herz aufgehen ließ.
Leider sind von den von Wilhelmine erwähnten Bauten kaum noch welche erhalten, denn während des 19. Jahrhunderts wurden viele von Unwetter und Baufälligkeit zerstört oder auf Abriss verkauft. Trotzdem ist das ikonographische Programm des Parks durchaus noch lesbar:
Das Stück, das in und mit der Staffage aufgeführt wird, heißt "Les aventures de Télémaque" und war ein Roman aus dem 17. Jahrhundert. Der französische Erzbischof François de Salignac de la Mothe Fénelon hatte ihn 1699 in seiner Funktion als Erzieher des französischen Kronprinzen im Dienste Ludwigs XIV. geschrieben und sich damit viel Ärger eingehandelt. Die Erzählung, eine Fortsetzung des vierten Buchs aus Homers Odyssee, sollte seinem Zögling zu einem tugendhaften Leben verhelfen. Das Werk war als staatspolitisch-pädagogischer Erziehungsroman gedacht, der das Idealbild eines weisen Königs entwirft. Es erregte große Aufmerksamkeit. Aber der Papst zensierte es, und der Sonnenkönig entließ Fénelon, da er den Roman als Kritik an seiner Person auffasste. Fénelon ließ die Restauflage vernichten. Nachdem 1717 das Druckverbot aufgehoben wurde, trat der "Telemach" rasch seinen Siegeszug an. Seine Erziehungsmaximen fanden lebhaften Anklang, vor allem in den deutschen Ländern. Er wurde vom preußischen Kronprinzen Friedrich und seiner Schwester Wilhelmine sehr verehrt, wie sie in ihren Memoiren erwähnt.
Die Geschichte erzählt von der Suche Telemachs nach seinem Vater Odysseus. Begleitet von dem weisen Mentor, eigentlich die Göttin Athene in Gestalt eines alten Mannes, landet er nach einigen Abenteuern auf der Insel Ogygia, auf der schon Odysseus auf seinen Irrfahrten einst sieben Jahre verbracht hatte. Dort wird er, wie sein Vater zuvor, gastfreundlich von der Nymphe Kalypso aufgenommen, die sich nun auch in Telemach verliebt. Es ist schließlich Mentor, der aus Furcht, die eifersüchtige Kalypso könne sie festhalten, Telemach und sich ins Meer wirft, wo sie von einem vorüberfahrenden Schiff aufgenommen werden und nach weiteren Erlebnissen in ihre Heimat, auf die Insel Ithaka, zurückkehren.
Wilhelmine verwandelte den fränkischen Felsenhain in die Insel Ogygia. Es ist gar nicht die Idee an sich, die Sanspareil zu einem wirklich unvergleichlichen Garten macht. Der Felsenhain war schon immer bewundert und bereits 1604 mit den griechischen Landschaften des Homer in Verbindung gebracht worden. Es ist vielmehr die Idee, einer Landschaft durch Staffagen ein literarisches Programm zu geben - ein Gedanke, der seiner Zeit weit voraus war und erst in den romantischen Landschaftsparks Allgemeingut wurde. Auch der Einfall, eine mittelalterliche Burg als "natürliche" Ruinenarchitektur ins Gesamtbild einzupassen, spielte eigentlich erst fast ein Jahrhundert später eine Rolle im kontinentalen Europa.
Die Bauleitung für die Arbeiten in Sanspareil ("ohnegleichen") - diesen Namen erhielten der Park und auch das Dörfchen Zwernitz im Jahr 1746 - hatte der Bayreuther Hofarchitekt Joseph Saint-Pierre. Es war seine erste Zusammenarbeit mit Wilhelmine und offensichtlich eine sehr zufriedenstellende, denn bis zu seinem Tod 1754 blieb er ihr wichtigster Architekt. Und ein vielbeschäftigter dazu: Er errichtete, neben den Arbeiten in Sanspareil, in Bayreuth das Markgräfliche Opernhaus, war unter anderem für den Bau des Neuen Schlosses in Bayreuth ab 1753 verantwortlich. Er gestaltete von 1753 bis 1754 auch die ehemalige Schlosskirche neu, in der sich die Gruft mit den Gräbern des Markgrafenpaares und ihrer Tochter befindet, und er entwarf das sogenannte Neue Schloß in der Eremitage um 1750.
Am Morgenländischen Bau in Sanspareil finden sich an den Mauern Inkrustationen aus bunten Steinen und Kristallen. Diese Art von Dekoration war bis dahin nur in den Grottenräumen der barocken Schlösser bekannt. Am Neuen Schloss in der Eremitage wiederholte Saint-Pierre dieses Gestaltungselement des Morgenländischen Baus. Es sollte hier wie dort den erwünschten orientalischen Charakter verstärken, der durch die ursprünglichen (leider nicht erhaltenen) Dachformen einmal gegeben war. Das Schlösschen wurde früher von drei Gebäuden flankiert, die um ein abgesenktes, 1987 rekonstruiertes Blumenparterre gruppiert waren. Die beiden Markgrafenhäuser existieren nicht mehr, das Küchengebäude ist heute - in leicht veränderter Form - Schlosscafé.
Trotz dieser Anlage ist der Morgenländische Bau mehr raffinierte Gartenarchitektur denn ein Landschlösschen. Im Grundriss ein Dreiflügelbau, ordnen sich mehrere in Rokokoformen gestaltete Räume um einen überhöhten Saal, an den sich ein kleiner Innenhof anschließt. Der Clou und Überraschungseffekt des Morgenländischen Baus ist dieser Innenhof, in dem eine große Buche steht. Es ist schon eine sehr ausgefallene Idee, eine einfache Buche die Hauptrolle in einer fürstlichen Architektur spielen zu lassen. Um diesen Baum herum wurde tatsächlich das gesamte Gebäude gestellt. Hof und Saal bieten eine außergewöhnliche Sichtachse, die von einer natürlichen Felswand, die hinter dem Gebäude aufragt, abrupt gestoppt wird.
Ein Zeitgenosse beschrieb: "Angenehm täuschend ist der Durchblick durch die Glasthür ..., man erblickt wie ein Gemälde ... einen stolzaufragenden Buchenstamm mit seiner gegen das Felsendunkel contrastirenden Silberrinde." Man mag in diesem "Gemälde" die Essenz der Anlage Sanspareil sehen: Der Blick wird gerahmt von der eleganten Rundbogentür des Rokokosaals, der Hintergrund gefasst von einer weiteren Bogenöffnung, diesmal in rustizierter Ausführung. Sie bereitet den Blick auf die unbehandelte Natur vor. Denn wie in einer Theaterkulisse rahmt sie eine wahrhaftige Felswand, die so gleichsam in die Architektur hineingeführt wird.
Die arrangierte Szenerie mit dem einzelnen Baum erinnert an asiatische Zeichnungen. Betrachtet man Stiche, die Johann Gottfried Köppel 1793 von Sanspareil anfertigte und die zum Teil im Morgenländischen Bau hängen, dann wird die Intention deutlich:
Die bizarren Felsen von Sanspareil waren ideale Kulisse für eine gigantische Chinoiserie. Eine ganze Landschaft wurde in das im Barock so bewunderte Reich des Konfuzius übergeleitet, in das utopische Ideal der Schönheit.
Aber zurück zum Bildprogramm des Felsengartens. Unmittelbar hinter dem Gebäude beginnt das antike Schauspiel: Etwa 800 Meter lang ist das Gelände, und über ein Dutzend mythologische Szenen wurden aus den geologischen Begebenheiten herausgearbeitet. Einem Weg folgend, der sich durch die Felsen schlängelt, werden die einzelnen Stationen der Telemach-Abenteuer in Erinnerung gerufen. Für den Besucher in der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Situation, dass er einem vorgegebenen Weg folgend in regelmäßigen Abständen auf effektvolle Ansichten stößt, eine neue Erfahrung. Erst viele Jahre später wurde dieses Gestaltungselement mit den aus England übernommenen Landschaftsgärten allgemein in Europa begeistert aufgenommen.
Ausreichend für die Phantasie waren kleine Schilder, die Wilhelmine an verschiedenen Punkten aufstellen ließ. Der Roman Fénelons war in ihren Kreisen Allgemeingut. Es gab zum Beispiel einen Pansitz und eine Dianengrotte. Auf dem Felsen ihr gegenüber sollte man sich Mentor vorstellen, der gerade Telemach von den Klippen gestürzt hat und selbst im Begriff ist, sich in ins Meer zu werfen, um sich und Telemach auf das vorbeifahrende Schiff zu retten. Unterhalb eines Belvederes auf einem der Felsen liegt Kalypsos Grotte, ein niedriger Durchgang zwischen Steinwänden, zu dem wohl damals ein Gemälde die Szene beschrieb, in der Kalypso sich von Nymphen bedienen läßt, während Telemach vor ihr auf Knien um Gnade fleht.
Vor Kalypsos Grotte befindet sich das Ruinentheater. Es war der Höhepunkt auf dem Bildungspfad durch den Felsenhain und stellt quasi ein "Theater im Theater" dar. Es ähnelt in seiner Anlage dem Ruinentheater, das ab 1743 in der Eremitage gebaut worden war. Aber anders als in der Eremitage, wo lediglich der Bühnenprospekt Ruinenattribute aufweist, gehörte in Sanspareil der Zuschauerraum selbst zur Szenerie. Das Publikum saß in der Kalypsogrotte und sah auf die vier aus unbehauenem Tuffstein errichteten Bögen, die geschickt perspektivisch angeordnet sind und direkt aus den Felsen zu wachsen scheinen. An den Bögen sind Masken eingearbeitet - ein Medusenhaupt und zwei Büstenreliefs mit Bildnissen von Homer und Vergil.
Felsengärten, das war bekannt, spielten auch in der fernöstlichen Gartenkunst eine große Rolle. Wie passt nun das poetische Überthema des griechischen Telemachs mit östlichen Gärten zusammen? Die Antwort liegt in der Zeit selbst. Wilhelmine und ihre Zeitgenossen empfanden in der Zusammenführung verschiedener kultureller Motive keinen Widerspruch. So wurde die gesamte Anlage von Sanspareil im Übrigen pragmatisch weiterhin als Jagdgebiet betrachtet - besonders von Markgraf Friedrich, dem Ehemann Wilhelmines - auch nach der Umwandlung in die Insel Ogygia und in exotischere Welten. Davon zeugt auch heute noch das Jagdzimmer im Morgenländischen Bau, mit seinen kapitalen Hirschgeweihen und Jagdgemälden.
Obwohl der Felsengarten von den vielen Staffagen nur noch wenige besitzt, trägt er immer noch unverkennbar Wilhelmines erzieherische Handschrift und ist in seiner Originalität und kulturhistorischen Bedeutung wirklich "sanspareil", ohnegleichen.
Beatrice Härig
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Fast 17 Millionen Dollar. Das ist auch für das Auktionshaus Christie's keine alltägliche Summe. Bei 16,8 Millionen Dollar ist im Mai bei einer Auktion in New York für Nachkriegs- und zeitgenössische Kunst der Zuschlag erfolgt, und zwar für - und das ist ebenso ungewöhnlich - ein Bauwerk. Nicht einmal ein besonders großes.
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