April 2005

Interview mit Dr. Jakob Johannes Koch

"Eine Aufgabe von gesellschaftlicher Relevanz"

MO: In den letzten Monaten ist oft darüber berichtet worden, dass in Deutschland viele Kirchengebäude von Verfall, Verkauf oder gar Abriss bedroht sind. Wie beurteilen Sie aus Sicht der Bischofskonferenz die aktuelle Situation?

 Dr. Koch: Die katholische Kirche ist in Deutschland neben dem Staat und den Kommunen die größte Eigentümerin denkmalgeschützter Bausubstanz. Sie hat die Baulast von mehr als 60.000 Einzeldenkmälern zu tragen. Nur ein gutes Drittel davon sind Gotteshäuser. Vielen ist gar nicht bewusst, dass auch unzählige kirchliche Krankenhäuser und Wohnstifte, klösterliche Wirtschaftsgebäude, Pfarrhäuser, ehemalige Zehnthöfe und Spitäler den Status von Einzeldenkmälern im Sinne des staatlichen Denkmalschutzes haben und die Kirche mithin zu deren Erhalt gesetzlich verpflichtet ist. Schwindende Personal- und Finanzressourcen zwingen zu Strukturreformen, die dazu führen, dass viele gottesdienstliche Räume (Kirchen und Kapellen) nicht mehr unterhalten werden können oder gar nicht mehr benötigt werden. Die deutschen Bischöfe haben diese Problematik bereits 2003 beraten und einen konstruktiven Maßnahmenkatalog zur "Umnutzung von Kirchen" verabschiedet. Demnach können liturgisch nicht mehr genutzte Gotteshäuser durch Vermietung oder Verkauf einer weltlichen Nutzung zugeführt werden, wenn diese dem Ethos der katholischen Lehre nicht entgegensteht. Eine Umnutzung als Büro, Galerie, Autohaus oder ähnlich ist folglich nicht ausgeschlossen, gleichwohl haben kulturelle Nutzungen wie zum Beispiel als Museum, Konzertsaal oder Bibliothek grundsätzlich Vorrang. Der Abriss eines Gebäudes sollte immer die absolut letzte Maßnahme sein. Man muss immer erst nach reversiblen Alternativen suchen.

MO: Wodurch hat sich die Situation in den letzten Jahren derartig verschlechtert?

Dr. Koch: Die katholische Kirche hat allein in den Jahren 1996 bis 2000 mehr als zwei Milliarden Euro in ihre Denkmalpflege investiert. Diese Mittel speisen sich vornehmlich aus den Kirchensteuern. Seit einigen Jahrzehnten jedoch bahnt sich ein tief greifender demographischer Wandel an, der die Kirche stärker als die Gesellschaft als ganze betrifft und der auf lange Zeit nicht aufzuholen sein wird. Die Steuerreform und die schlechte Beschäftigungssituation sowie die Umkehrung der Alterspyramide vermindern die Zahl der Kirchensteuerzahler. Zugleich brechen auch die Denkmalfördermittel der öffentlichen Hand zunehmend weg. Sie machen im denkmalpflegerischen Gesamtvolumen der Kirche nur noch einen winzigen Bruchteil aus, der nicht mehr verlässlich kalkulierbar ist. Staatlicherseits wird offenbar nicht mehr wahrgenommen, dass kirchliche Denkmäler nicht nur praktizierenden Christen zur Verfügung stehen, sondern der Gesamtgesellschaft eine kulturelle Identität verleihen. Was wären unsere Städte und Dörfer ohne die Kirchtürme? Immerhin besuchen allein in Deutschland rund 90 Millionen Menschen pro Jahr kirchliche denkmalgeschützte Gebäude, darunter viele Touristen, Bildungsreisende oder zufällige Passanten, die kirchlich kaum oder gar nicht gebunden sind. Somit stellt die Zangenbewegung - schwindende Eigenmittel einerseits und schwindende öffentliche Zuschüsse andererseits - für den kirchlichen Denkmalbestand eine unleugbare Bedrohung dar.

MO: Wer ist für die Denkmalpflege von Kirchen eigentlich zuständig?

Dr. Koch: In Deutschland gilt die Sorge um das kirchliche Kulturgut auf der Grundlage der staatskirchenrechtlichen Verträge als "res mixta", d.h. es besteht eine "gemischte" Zuständigkeit von Staat und Kirche gleichzeitig. Staatlicherseits werden bei dieser Rechtslage kirchliche Denkmale nicht wie profane Kulturdenkmale behandelt. Dennoch behält sich der Staat die gesetzliche Hoheit über den gesamten Denkmalschutz - also auch der Kirchen - vor. Eine Einschränkung dieser staatlichen Zuständigkeit besteht in Form von sogenannten "Berücksichtigungsklauseln" darin, dass bei sakralen Bauwerken gottesdienstliche Belange vorrangig zu beachten sind. Für die Finanzierung aber müssen die Diözesen, Ordensgemeinschaften und katholischen Körperschaften mittlerweile größtenteils aus eigener Kraft aufkommen. In den Stammhaushalten der deutschen Bundesländer sind denkmalpflegerische Subventionsmittel zwar grundsätzlich fest verankert, gleichwohl hat das staatliche Denkmalförderprogramm rechtlich in der Regel den Status einer freiwilligen Leistung. Insofern kann der drastischen Kürzung der staatlichen Fördermittel für kirchliche Baudenkmäler nicht rechtsfähig Einhalt geboten werden. Neben den kircheneigenen Baudenkmälern gibt es freilich auch einen kleinen Teil an Kirchengebäuden, für deren denkmalpflegerische Instandhaltung der Staat aufkommt: Für diese ausgewählten kirchlichen Denkmalobjekte - wie zum Beispiel den Kölner Dom - trägt der Staat vertraglich festgeschriebene Baupflichten. Sie gehen zum Teil auf Vermögensausgleichs-Verhandlungen im Zuge der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts zurück.

MO: Wie verteilte sich die Vergabe der Mittel?

Dr. Koch: Erhielt die katholische Kirche noch vor 15 Jahren für ihr denkmalpflegerisches Engagement eine staatliche Refinanzierung in Höhe von 10 bis 15 Prozent, so wurden diese Zuschüsse in den letzten Jahren von allen Bundesländern mit Ausnahme Hessens unter die Fünf-Prozent-Marke reduziert, zum Teil sogar gegen Null zurückgefahren. Die Baulasten der vorhin erwähnten Patronatskirchen, die freilich im Gesamt aller kirchlichen Denkmäler nur ein kleines Splittersegment sind, werden zwar noch von der öffentlichen Hand finanziert, allerdings muss dies kirchlicherseits immer wieder neu eingefordert werden. So unverzichtbar staatliche Zuschüsse sind, so problematisch ist zugleich das Missverhältnis von Zuschuss und Steuerlast: Die katholische Kirche in Deutschland muss für denkmalpflegerische Maßnahmen das bis zu 19-fache der erhaltenen Zuschüsse indirekt an die öffentliche Hand zahlen, nämlich in Form von Umsatzsteuer auf sämtliche von Fachbetrieben durchgeführte denkmalpflegerische Dienstleistungen. Die kirchliche Denkmalpflege steigerte in den vergangenen Jahrzehnten die Steuereinnahmen des Staates um ein Vielfaches dessen, was sie als Subventionen in Anspruch nehmen konnte. Da auch die kircheneigenen Ressourcen immer geringer werden, ist die katholische Kirche kaum noch in der Lage, die ihr auferlegte Last denkmalpflegerischer Projekte zu schultern.

MO: Könnte die vor einigen Jahren vorgeschlagene Halbierung der Mehrwertsteuer eine Lösung des Problems sein oder gibt es weitere Ideen?

Dr. Koch: Die von Ihnen angesprochene Mehrwertsteuer-Halbierung hat das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz bei seiner Jahrestagung 2001 in einer Resolution gefordert. Leider hat die Deutsche Bundesregierung darauf nicht reagiert, obwohl der Rat der EG bereits 1999 eine Richtlinie verabschiedet hat, welche die EU-Mitgliedstaaten ermächtigt, versuchsweise einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen anzuwenden. Der Staat schreckt offenbar vor den damit verbundenen vermeintlichen Steuerausfällen zurück. Diese Furcht ist allerdings unbegründet. Es ist nämlich für den Bereich der Denkmalpflege empirisch erwiesen, dass der Steuerausfall, den die Steuervergünstigung zeitigt, durch die in Folge des gesteigerten Investitionsvolumens bedingten Steuermehreinnahmen anderer Stellen - wie zum Beispiel durch Lohn-, Gewerbe-, Einkommens- und Umsatzsteuer - nicht nur ausgeglichen, sondern überkompensiert wird. Alle in Frage kommenden Lösungskonzepte haben zu berücksichtigen, dass die Pflege kirchlicher Denkmäler von ihrem Grundprinzip her gesamtgesellschaftliche Relevanz besitzt und eben nicht nur für binnenkirchliche Belange, sondern für das Fortbestehen einer gemeinsamen kulturellen Identität bedeutsam ist. Es geht um jene Stätten die "über Jahrhunderte das erste und das letzte waren, was man sah, wenn man sein Dorf verließ oder sich ihm mit klopfendem Herzen nach Jahren wieder näherte" - so hat es Gottfried Kiesow einmal ausgedrückt. Wäre es wirklich Verschwendung, durch eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung jene Stätten zu pflegen und ihre kulturelle Bedeutung damit zur Geltung zu bringen? Erfreulicherweise erwacht in der Bevölkerung eine neue Sensibilität für dieses Thema, wie etwa die Aktionen der Bürger- und Heimatvereine rund um das vom Bund Heimat und Umwelt (BHU) für 2005 ausgerufene "Kulturdenkmal Dorfkirche" zeigen. Auch die Spendenkampagne "Rettet unsere Kirchen" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ist ein ermutigendes Signal der Unterstützung, für das wir dankbar sind. Wir hoffen, dass solches Engagement zunehmend fantasievolle Nachahmung findet.

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