Kleine und große Kirchen Februar 2005
Im November 1990 wurde Oberstleutnant Wilhelm Wessling Kommandeur des Funktechnischen Bataillons 61 im brandenburgischen Müncheberg. "Ich wollte mich dort nicht nur um die militärischen Belange kümmern", erinnert er sich. Vor allem die Ruine der im 13. Jahrhundert errichteten, 1826 bis 1829 von Karl Friedrich Schinkel umgestalteten und 1945 in Brand geschossenen evangelischen Marienkirche hatte es ihm angetan.
Das einstige Wahrzeichen der Stadt war hinter Bäumen und wildwuchernden Büschen kaum noch zu erkennen. Nachdem Versuche, die Marienkirche in den 1970er Jahren wieder aufzubauen, fehlgeschlagen waren, hatten sich die Müncheberger an ihre Kirchenruine gewöhnt. Wesslings Idee, eine Bürgerinitiative zum Wiederaufbau, zur Pflege und Nutzung der Stadtpfarrkirche Müncheberg zu gründen, wurde aber sowohl von Pfarrer Hubert Müller als auch von Bürgermeister Dr. Hans-Jürgen Wolf nachdrücklich unterstützt. Fünfzig Interessenten aus allen Bevölkerungsgruppen folgten dem Aufruf am 12. Juni 1991 in den Rathaussaal und boten ihre Mithilfe an.
Von Anfang an stand fest, dass die Marienkirche nach ihrem Wiederaufbau nicht ausschließlich kirchlichen Zwecken dienen sollte. Denn sie wäre für die kleine Gemeinde viel zu groß und zu teuer im Unterhalt gewesen. Darüber hinaus benötigten die Müncheberger Tagungsräume, einen Konzertsaal und eine neue Bleibe für ihre Bibliothek, nachdem das Kulturhaus aus den 1960er Jahren wegen seines schlechten baulichen Zustandes keine Zukunft mehr bot. Auf Wesslings Betreiben hin ging schon im August 1991 aus der Bürgerinitiative ein Förderverein hervor, der gemeinsam mit der Kirchengemeinde und der Stadt ein multifunktionales Nutzungskonzept entwickelte.
Zunächst bekam St. Marien dank der finanziellen Unterstützung vom Bund, dem Land Brandenburg, der Landeskirche und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ein neues Dach; Turm und Außenmauern wurden saniert. Nachdem Beiträge aus einem Wettbewerb für die Umgestaltung eingegangen waren, entschied sich das Preisgericht nach intensiven Diskussionen für den Entwurf des Berliner Architekten Klaus Block. Er hatte ein 'Haus im Haus' entworfen, das sich wie eine Arche Noah an die nordwestliche Wand des Kirchenschiffes schmiegt. Der viergeschossige Einbau beherbergt nun die Stadtbibliothek sowie Tagungsräume für den Gemeinderat und Müncheberger Vereine. Wegen der außergewöhnlich guten Akustik gab bereits Justus Frantz mit der Philharmonie der Nationen ein Konzert in der Kirche. Doch auch die Gottesdienste, die in St. Marien stattfinden, werden immer zahlreicher. Eine Betreibergesellschaft, bestehend aus Evangelischer Kirchengemeinde, der Stadt Müncheberg und dem Förderverein, vermarktet das neue Begegnungszentrum.
Das Modell Müncheberg wird auch von der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz befürwortet. Sie beschäftigt sich schon seit den achtziger Jahren mit dem Problem, die Kirchen nicht mehr füllen zu können. Daher veranstaltete sie zusammen mit der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, sogenannte Berliner Gespräche, die sich mit "Neuen Nutzungen von alten Kirchen" beschäftigten. Die hohe Zahl von Kirchenaustritten einerseits und das auch dadurch immer kleiner werdende Finanzvolumen andererseits zwingen alle Landeskirchen Deutschlands, über Mischnutzungen oder gar Verkäufe der oft sehr großen Kirchenbauten nachzudenken.
Beim zweiten Berliner Gespräch im November 1988 wurde die geplante Umgestaltung der Lutherkirche in Berlin-Spandau kontrovers diskutiert, aber letztendlich von der Landeskirche akzeptiert. Man teilte das Kirchenschiff daraufhin, so dass nun lediglich ein Drittel des ursprünglichen Raumes für Gottesdienste bereitsteht. In den restlichen zwei Dritteln entstanden neun Sozialwohnungen. "Obwohl wir dieses Projekt mitgetragen haben, sind wir heute mit der Lösung nicht mehr glücklich", so Matthias Hoffmann-Tauschwitz vom Kirchlichen Bauamt. Er findet die für die Marienkirche in Müncheberg gefundene Lösung gelungener. Denn dort ließe sich der Einbau, wenn nötig, wieder entfernen. Er begrüßt, dass man heute versucht, bei einer Mischnutzung von Kirchen auf Veränderungen des Kirchenraumes ganz zu verzichten.
Die Vertreter der Landeskirche entwickelten bei den Berliner Gesprächen zusammen mit Denkmalpflegern eine "Charta der Berliner Großkirchen", die später für Brandenburger Belange ergänzt wurde. Dort heißt es unter anderem, dass die gottesdienstliche Funktion der Kirchengebäude Vorrang habe vor allen anderen Nutzungen, diese Kirchenbauten aber auch bei der Bewältigung der alten und der sich heute neu stellenden Aufgaben der Kirche und des Gemeinwesens eine zentrale Rolle übernehmen können. Andere als gottesdienstliche Nutzungen müssten sich mit der Würde des Bauwerkes und mit seiner ursprünglichen Widmung in Einklang bringen lassen. In diesem Sinne akzeptierten Kirchenvertreter und Denkmalpfleger Ende der 1970er Jahre die Umgestaltung der Dresdner Dreikönigskirche in ein kirchliches Gemeindezentrum. Es war die einzige Möglichkeit, das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Kirchenschiff vor dem Abriss zu bewahren.
Einen anderen Weg ging man bei der Wiedererrichtung von St. Petri in Lübeck und der Nikolaikirche in Berlin-Mitte. Bei der Bombennacht von Lübeck am 29. März 1942 brannte St. Petri vollständig aus. Die Kirche blieb vierzig Jahre ohne Dach und Turmhelm und wurde von 1981 bis 1987 in ihren alten Formen wiederhergestellt. "Dem alten Raum neu zugemutet wurden nur moderne Technik, Heizung, Licht und eine Beschallungsanlage. Im Turmbereich befinden sich Sanitärräume und eine Küche. Es gibt eine rein funktionale Ausstattung, bestehend aus Altar, Lesepult, 1.200 leicht beweglichen Klappstühlen, einem Scheinwerfer-Set und einem sehr variablen Podium", erläutert Pastor Günter Harig. Lübeck bekam einen großen Tagungsraum, ohne dass der Kirchenraum verändert werden musste. 2004 wurde St. Petri zur Lübecker Universitätskirche.
Auch die bereits 1934 säkularisierte Berliner Nikolaikirche wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf die Umfassungsmauern zerstört. Bei dem Wiederaufbau in den 1980er Jahren verzichtete man ebenfalls auf Einbauten im Kirchenschiff. Der Raum dient seither als Museum zur Berliner Stadtgeschichte. Viele Ausstattungsstücke der Kirche konnte die Stiftung Stadtmuseum Berlin, der die Nikolaikirche angeschlossen ist, inzwischen zusammentragen. So wurde ein 1563 in der Nikolaikirche aufgestelltes Zinntaufbecken 2003 in einer Berliner Friedhofskapelle gefunden, wo es als Blumenschale diente.
Wo aber ist die Grenze einer "angemessenen Nutzung" zu ziehen? Ist der lockere Umgang der Briten und Niederländer mit ihren Kirchenbauten, in denen sich Restaurants und Diskotheken befinden, Musicals aufgeführt und Modenschauen veranstaltet werden, auf Deutschland übertragbar? Als leicht gekleidete Models in der Kölner Lutherkirche die neuesten Modetrends zeigten und die Veranstalter anschließend zum als 'Abendmahl' angekündigten Imbiss vor den Altar baten, sprachen viele von Skandal und einem Missbrauch des Gotteshauses.
Manche Denkmalpfleger befürworten umstrittene Nutzungen von Kirchen, um deren Abriss zu verhindern. So geschehen im rheinland-pfälzischen Remagen, wo ein Kölner Architekt die 1906 nach Plänen des Neugotikers Caspar Clemens Pickel errichtete und seit Jahren leer stehende Kirche St. Anna erwarb. Der neue Besitzer möchte sie in ein Künstlercafé mit Eigentumswohnungen umwidmen, sucht aber noch einen Investor. "Wir meinen, dass durch die Bewahrung des historischen Raumes und moderne, doch dezent eingebrachte Akzente ein wirkungsvolles Spannungsverhältnis zwischen alter Bausubstanz und neuen Einbauten erreicht werden kann und der Stadt Remagen auf diese Weise ein bedeutendes Kulturdenkmal wiedergeschenkt wird", so der Denkmalpfleger Dr. Paul-Georg Custodis. Oder im hessischen Willingen, wo Gäste des Restaurants "Don Camillo" ihre Pasta in der nicht mehr benötigten evangelischen Kirche zu sich nehmen können. Oder im brandenburgischen Milow, wo in der ehemaligen Dorfkirche die Sparkasse eingezogen ist.
In Müncheberg kamen die meisten Bedenken gegen die neue Nutzung der Marienkirche zunächst von Mitgliedern der Kirchengemeinde. "Diese Kirche ist nicht mehr unsere alte Marienkirche", sagten die einen. "Der Einbau ist ein Fremdkörper im Kirchenraum", die anderen. Viele von ihnen bekamen Bauchschmerzen bei dem Gedanken, daß andere Gremien als der Gemeindekirchenrat und die Kirchengemeinde bei der Kirchennutzung mitreden und mitbestimmen durften. Heute sind diese Bedenken zum größten Teil ausgeräumt. Die Betreibergesellschaft hat aber zur Zeit Probleme mit der Finanzierung dieses gelungenen Modells, weil Subventionen weggebrochen und die Betriebskosten gestiegen sind. Dabei wird die Marienkirche von den Münchebergern und vielen Besuchern aus dem Umland sehr gut angenommen, und das 'Haus im Haus' hat vielen Nichtchristen das Betreten einer Kirche erleichtert.
Carola Nathan
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